Väter der Zukunft? Altes in neuem Gewand.

gesellschaftkultur

Wie kann eine zeitgemäße Vaterrolle aussehen? Dieser Frage geht der Philosoph Björn Vedder in seinem neuen Buch >>Väter der Zukunft<< nach und entwickelt eine, wie er es nennt, angemessene Rollenbeschreibung von Vaterschaft. Der Versuch ist ambitioniert, allerdings zum Scheitern verurteilt – weil sich wieder alles nur um die Abgrenzung von der Mutter(-rolle) dreht.

von Cornelia

Aber. Aber. Aber! Bei vielen Sätzen von Björn Vedder brennt ein Aber auf den Lippen. “Väter der Zukunft” heißt das neue Buch des deutschen Philosophen und er spinnt dabei Gedanken über das Elternsein, an deren Anfang Fragen stehen, die an feministische Annäherungen an Mutterschaft erinnern. Er versucht sich aus philosophisch-therapeutischer Perspektive an einer Rollenbeschreibung, die zeigt, was und wie ein Vater heute sein könnte. Damit will Vedder eine Lücke füllen, gewissermaßen das vererbte Defizit von Männern, die zu einer Vielzahl selbst väterliche Zuwendung vermissen würden. Dabei legt er schon in der Einleitung Wert darauf, dass er keineswegs festlegen will, welche Aufgaben Männer und Frauen als Eltern erfüllen sollen: “Wenn ich von Vater und Mutter spreche, tu ich das vor dem Hintergrund einer idealtypischen Unterscheidung von komplementären Rollen, wie sie Psychologie und Gender-Forschung etabliert haben”, schreibt er. Das ist so ein Satz, der ein Aber provoziert. An dieser Stelle ein enttäuschtes. Nein, Vedder sagt nicht, welche Rolle welches Elternteil vor dem Kinde einnehmen soll. Doch er beharrt auf zwei unterschiedliche Rollen an sich, die sich nicht in einer geschlechtslosen Elternschaft auflösen ließen.

BJÖRN VEDDER/BÜCHNER

Auch wenn ich die Vaterrolle nicht exklusiv als Männerrolle verstehe, glaube ich, dass das Fehlen einer angemessenen Vaterrolle die Emanzipation von Männern behindert, etwa in der Weise wie die Dominanz einer bestimmten Mutterrolle die Emanzipation von Frauen behindert.

Das erinnert dann doch sehr an jenen Feuilleton-Diskurs vor ein paar Jahren, als das Leben des “neuen” Mannes, der nicht mehr sein will wie die Generation vor ihm, beklagt wurde (hier zum Beispiel: Ein Leben auf der Streckbank). Aber wozu diese krampfhafte Suche nach neuen Rollenbildern? Sind wir nicht noch genug mit der Dekonstruktion der alten beschäftigt?

Vedders Antwort folgt sogleich: Die Vaterrolle, die er in seinem Buch vorschlägt, ist für Männer, die sich vom tradierten Bild des Patriarchen emanzipieren, aber nicht einfach die Mutterrolle kopieren wollen.

Wumm! Das sitzt.

Also irgendwie, denn neu ist diese Abgrenzung keineswegs. Wer kennt sie nicht, die Väter, die keine “Muttis” sein wollen? Die sich beschweren, dass am Spielplatz und beim Babyschwimmen ja “nur” lauter Mamas seien. Mütter, einfach nur unter der Würde von Vätern, nicht?

Nicht doch, schreibt Vedder beruhigend. Er beruft sich auf “moderne” Bindungsforschung, die belege, dass Kinder idealerweise zwei verschiedene, komplementäre Bezugspersonen brauchen, um erwachsen zu werden: eine für die symbiotische Beziehung, das sei die Mutterrolle, und eine, die diese Beziehung in der Figur eines Dritten (Auftritt: “Vater der Zukunft”) öffne – zur Welt und zur Gesellschaft hin (ein entsprechender Literaturverweis fehlt leider ausgerechnet an dieser Stelle, die Reduktion kindlicher Bezugspersonen auf die Eltern erscheint verkürzt.) Die Welt der Mutter ist demnach das Private, die Gesellschaft außen ist dem Vater vorbehalten – das als progressiv zu labeln ist … nun ja … zumindest kreativ. Gleichwohl räumt der Autor ein, dass diese beiden Rollen in der Realität nicht so klar zu differenzieren seien und es Überschneidungen gäbe. Auch verweist er auf “kuschelige” Väter, Mütter, die keine symbiotische Beziehung zu ihren Kindern hätten und Männer, die die Mutterrolle einnehmen. Trotz all dieser Einschränkungen beharrt Vedder auf den zwei idealtypischen Kategorien von Eltern – Mutter und Vater.

Mit Vater- und Mutterrolle bezeichne ich also verschiedene Codes, die Versorgung und Erziehung des Kindes zu organisieren. (…) Die unspezifische Rede von Eltern fällt hingegen hinter das von den Genderstudien etablierte Unterscheidungsniveau zurück. Wer so tut, als wären die Rollen von Vater und Mutter dieselben, verschleiert wichtige Unterschiede.

Darin scheint mir ein großes Missverständnis zu liegen. Während die Gender Studies per se keine Utopien schmieden, untersuchen sie bestehende gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse und Schieflagen, die mit Rollenzuschreibungen zu tun haben. Um diese demaskieren zu können, braucht es natürlich die Kategorien “Mann” und “Frau” als Analyseinstrumente. Für eine philosophische Auseinandersetzung mit Elternschaft und wie diese besser gelingen kann, müsste man nicht auf diese schädlichen Konstrukte zurückgreifen, sondern könnte sie hinter sich lassen, sich von ihnen befreien – und damit nicht zuletzt auch der Realität von Ein-Eltern-Familien, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtlichen Eltern, Mehr-Eltern-Familien sowie generell der existierenden Vielfalt an Familienmodellen gerecht werden. Stattdessen versucht Vedder seine Überlegungen in das althergebrachte binäre System von Mutter und Vater zu drücken – alles nur, damit der “neue” Mann sich auch als Vater wohlfühlen kann?

Aber warum ein neues theoretisches Konzept wieder nur in die derart vorbelasteten Kategorien Vater und Mutter pressen? Eine Antwort bleibt aus. Die Utopie ist keine für alle. Denn was ist, wenn in einer Heteropaarbeziehung mit Kind(ern) weder die Frau noch der Mann die Mutterrolle einnehmen will? Wenn der Mann bestimmte Aspekte von Elternschaft von sich weist? Business as usual. Heute können sich Väter schon längst entscheiden, die Elternrolle nicht analog zu patriarchalen Vorstellungen von Familie auszufüllen. Aber die Frau ist in der Ausgestaltung ihrer Rolle meist immer noch davon abhängig, was ihr Partner will. Was er nicht übernimmt, bleibt wie selbstverständlich an ihr hängen.

Heldenmythos Vaterschaft

Die Väter der Zukunft sind furchtlose Gesellen. Sie laufen vor bis zum Tode und blicken von dort gelassen zurück. Sie sitzen mit ihren Kindern am Fluss und schauen zu, wie alles vergeht. So lehren sie diese, die einzelnen Vollzüge ihrer Handlungen zu übersteigen und das Leben als Ganzes zu begreifen. Sie unterstützen sie dabei, eine Ordnung des Herzens auszubilden und sich selbst ernst zu nehmen. Zu verwirklichen, was sie lieben, und fallen zu lassen, was nicht mehr zu ändern ist.

Wenn Vedder über die Väter der Zukunft schreibt, dann tut er das mitunter einem pathetischen Heldennarrativ folgend: Die Rede ist von “furchtlosen Gesellen”, die sich nicht an Recht und Ordnung halten und die “sehenden Auges in den Abgrund” blicken. So gelinge es ihnen, aus ihren Kindern “halbwegs anständige Menschen” zu machen, die “den Herausforderungen der Zukunft nicht nur mit der Hoffnung auf Wachstum und einer Erweiterung der Optionen begegnen können, sondern auch mit Demut und Verzicht”. Möglich mache das die Übertragung der Geschlechterspannung zwischen Mutter und Vater auf die Grundspannung des Lebens zwischen Geburt und Tod. Das alles sei notwendig, um – von der Logik des Kapitalismus abrückend – den Herausforderungen der Gegenwart durch Klimawandel, Wohlstandsverluste, Postmoderne etc. begegnen zu können.

In Vedders Vision ermöglichen all dies die “Väter der Zukunft”; und zwar indem sie den Umgang mit Verlust wieder in unser Leben integrieren. Angesprochen werden dabei Väter, wie er selbst einer ist. Orientierungslos und – im weiteren Sinn – des “white hetero cis male”-rules-Selbstverständnisses beraubt, Vorbilder vermissend. Dabei blendet er aus, dass jedes Elternteil, das für sein Kind emotional greifbar ist, tagtäglich damit beschäftigt ist, mit Verlust und Verzicht umzugehen. Nicht nur die entsprechenden Erfahrungen und Enttäuschungen des Kindes abfedernd, sondern auch mit eigenen biografischen Erfahrungen von Verlust und Verzicht durch Elternschaft.

An einer anderen Stelle im Buch verknüpft Vedder die Mutterrolle mit Hannah Arendts vita activa – der selbstverantwortlichen aktiven Mitwirkung am gesellschaftlichen/politischen Leben -, um den Platz der Mutter auch im Öffentlichen zu unterstreichen und sie nicht zurück ins Private zu stoßen (das Vorhaben wirkt halbherzig, nachdem er diesbezüglich auf den vorangegangenen Seiten schmerzlich vage geblieben ist bzw. sich seine Rollenbeschreibung mit Verweis auf die Bindungsforschung fast konträr dazu liest). Dem Philosoph geht es bei diesem Vergleich vor allem darum, zu verdeutlichen, was er meint, wenn er Mutterschaft mit dem Leben und Vaterschaft mit dem Sterben – im Sinne einer vita contemplativa, eines Vorlaufens zum Tod, das aus der Vergegenwärtigung des Todes im Leben den Impuls gewinnt, sich im Leben zu engagieren und für sich selbst zu sorgen – in Beziehung setzt.

Sie [Anm.: die ethische Grundhaltung, die der Vater vermitteln soll] besagt, dass mir das Gelingen meines Lebens in großen Teilen unverfügbar ist, dass nichts bleibt, wie es ist, und ich Verluste hinnehmen muss; dass ich mein Leben nicht nur vom Anfang her begreifen kann als offenen Horizont unendlicher Möglichkeiten, sondern auch vom Ende her denken muss. Denn nur so gewinne ich die Entschlossenheit, es selbst zu gestalten.

Letztlich bleiben die Ausführungen zu ungenau, um nachvollziehen zu können, weshalb die in seiner Konzeption nicht unbedingt als unvereinbar ausgestalteten vita contemplativa (Vater = das übende Leben = zum Tod hin gedacht) und vita activa (Mutter = das schaffende Leben = von der Geburt her gedacht) zwei verschiedenen Elternrollen zugeschrieben werden müssen.

Das Politische überlässt übrigens auch Vedders “Vater der Zukunft” – bei aller Komplementarität – nicht der Mutter allein. Dieser pflege demnach nur eine andere Form des politischen Handelns, nämlich “eine Politik, die die Löcher flickt und die Wunden verarztet, die die Revolutionen und Sezessionen der Welt zugefügt haben.” Da schimmert es wieder durch, das Heldentum, das der Autor den “neuen” Vätern nachsagt.

Vergebene Chance

Das Buch ist eine andauernde Klage der Vaterlosigkeit unserer Gesellschaft – und damit auch eine indirekte Anklage der unzureichenden Mutter. “Vaterlosigkeit”, schreibt Vedder, “bezeichnet also im weitesten Sinne eine misslungene Sozialisation der Kinder, die es verängstigt zurücklässt. (…) So entstehen Psychopathen, mitleidlose Krieger im Kampf gegen die Welt.” Das betrifft die Burschen, aber auch Mädchen würden ohne Vater “nicht zu Ende geboren” und blieben “fragmentarisch”, ihre Aggressionen allerdings würden vaterlose Frauen gegen sich selbst richten. Diese platte Vorstellung von väterlosen Familien ist frappierend fantasielos.

Das schon in der Einleitung empfundene Gefühl der Enttäuschung lässt das ganze Buch hindurch nur selten nach. Vedder greift auf eine Fülle an Texten und Autor:innen u. a. aus Literatur, Popkultur, Philosophie, Psychologie und Ökonomie zurück. Diskutiert ihre Thesen, Motive oder Vorschreibungen zu Vaterschaft und spiegelt sie mit der Realität, die nicht selten seine eigene Familienrealität ist. Das liest sich kurzweilig und die vielen Bezüge sind spannend, wenn auch etwas wahl- weil kontextlos aneinandergereiht. So bespricht er etwa Vaterpflichten ausgehend von Jean-Jacques Rousseaus Konzeption (Émile oder Über die Erziehung, 1762), aber er diskutiert nicht, welchen Einfluss der Philosoph auf das Mutterbild – die Mutter als eine abseits der Gesellschaft lebende Hausfrau – und der zunehmenden Idealisierung der Mutterrolle im 19. Jahrhundert hatte.

Aber weil Vedder die Vaterrolle eben nicht als patriarchales Konstrukt dekonstruieren, sondern in ihrer Komplementärfunktion zur Mutterrolle weiterspinnen will, bleibt er eine fundamentale Kultur-/Ideologiekritik schuldig. Das ist schade und eine vergebene Chance, Vaterschaft wirklich neu zu denken. Und es ist auch schade, weil in den Reflexionen viele gute und anregende Gedanken etwa zur Ökonomisierung des Lebens oder zu Elternschaft als Vermittlung der Fähigkeiten für die vita activa verloren gehen.

Vielleicht sollten wir einfach alle öfter mit unseren Kindern am Fluß sitzen. Mütter, Väter, Eltern.

 


Björn, Vedder (2020). Väter der Zukunft. Ein philosophischer Essay. 180 Seiten. Büchner. (Ein Rezensionsexemplar wurde vom Verlag zur Verfügung gestellt.)

 

Beitragsbild: Lies Thru a Lens  A Father’s Love, CC BY 2.0

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