Gret ist 34 Jahre alt, bald dreifache Mutter, mit dem Vater ihrer Kinder verheiratet, akademisch gebildet und weiß. Sie lebt mit ihrer Familie in prekären Verhältnissen in einem kleinen Dorf in Westdeutschland. Seit der Elternschaft fühlt sie sich unsichtbar – für die Politik, für die Gesellschaft, aber auch – und das sagt sie als Feministin – für den Feminismus. Das mache sie mitunter debattenmüde. Im Gespräch mit umstandslos erzählt sie, warum das so ist.
umstandslos: Aus den Strukturen rausgefallen und nicht mitgedacht, diese Worte hast du mir gegenüber verwendet. Woran liegt das?
Gret: Uns Erwachsenen ist es wichtig, mit den Kindern viel Zeit zu verbringen, weil uns das Spaß macht (und den Kindern auch). Wir verwirklichen uns nicht selbst mit der Arbeit, aber haben beide Jobs, die im Moment voll OK sind und wo sich Aufwand und Ertrag eine gute Waage halten. Also wir haben ein recht unambitioniertes Lebensmodell, wo wir die paar Sachen, die wir machen, gut machen wollen, aber keinen krassen Ehrgeiz haben, es GANZ NACH OBEN zu schaffen, oder sowas. Das klingt vielleicht nach einem Anspruchsdenken und sicher hoffe ich, dass am Ende alles gut gehen wird. Es heißt aber konkret und auf die Frage bezogen einfach, dass ich mit dieser meiner Lebenshaltung in Diskussionen nicht vorkomme, oder dass mir gesagt wird, dass ich selber Schuld bin, an der drohenden Altersarmut, weil. Ich weiß gar nicht, ob ich gerne repräsentiert wäre, aber faktisch bin ich es halt nicht und das lässt mich manche Debatten komplett ignorieren.
Erzählst du ein bisschen etwas von eurem Leben?
Ich habe studiert und dann im Anschluss an meinen Abschluss direkt ein Kind bekommen. Und dann noch eins und im Winter erwarten wir das dritte. Was beruflich fehlt, ist Perspektive: Ich bin Mitte dreißig und wenn ich mir keine Nische suche, wird der Arbeitsmarkt sie nicht geben, obwohl ich durch meine Ausbildung jahrelang Ressourcen verschlungen habe. Des Mannes stets befristete Verträge werden eines Tages schlicht auslaufen und nicht verlängert werden. Dieses im Moment gute Leben, von dem keiner weiß, wie lange es halten wird, ist ein bisschen ein verstecktes: Es ist trügerisch, wenn es gut läuft, aber wir balancieren mittelfristig am Abgrund, weil keiner weiß, wie es in x Jahren sein wird, wenn eine neue Runde Vertragsverlängerungen ansteht.
Findest du dich auch in aktuellen feministischen Diskurses nicht wieder?
Nein.
Warum nicht?
Mir geht es zu wenig um Solidarität und Gemeinschaftlichkeit, um die Anerkennung von Pflege kleiner, großer, alter Menschen, darum, dass es gemeinsam besser geht. Es geht meiner Meinung nach immer noch viel um Vereinbarkeit und um finanzielle Schieflagen zwischen Partner*innen.
Ist das nicht alles miteinander verflochten? Inwiefern gehen die feministischen Debatten um ökonomische und Care-Schieflagen da an dir und an euch vorbei?
Diese Schieflagen sind eben auch einfach das Resultat von neoliberalem Kapitalismus. Den mehr anzuzweifeln und uns zusammenzurotten, um anzuerkennen, dass das Leben alle vor ganz verschiedene Aufgaben stellt und es viele braucht, um die zu erfüllen, fände ich mindestens genauso wichtig, wie darüber zu sprechen, wie ich mich im Beruf selbstverwirklichen und dabei trotzdem “nur” 25 Stunden die Woche lohnarbeiten kann. Das ist ja, wie gesagt, kein Problem nur von Müttern, sondern auch von Kindern, also von uns allen: Wer bekümmert die Alten und wie scheiße ist es, Pflegekräfte aus ihren familiären Zusammenhängen zu reißen, damit die sich um unsere Eltern kümmern? Ich finde das, was immer noch häufigst besprochen wird, eben weder besonders freilassend, noch großartig intersektional gedacht.
Es ist also gar nicht so sehr die Schieflage, die mich nervt, unser Geld ist unser Geld und jeder wirft seines in einen gemeinsamen Topf und trägt soviel bei, wie er/sie kann, sei das finanziell oder emotional oder in Reproduktionsarbeit. Wir haben uns ja freiwillig entschieden für bestimmte Dinge (das Leben auf dem Land, u.a. damit wir vom Geldverdienstdruck in der Stadt befreit sind; das zu-Hause-Bleiben mit den Kindern, weil es sich für uns richtig angefühlt hat – und dabei ist es tatsächlich egal, wer zu Hause bleibt, es ist bei uns die übliche Geschichte vom Mann, der älter ist und also schon im Beruf und mir, die ich frisch aus der Uni schwanger geworden ist… -; das Kümmern um alte Eltern, weil auch das Teil von dem ist, was uns wichtig ist im Leben.
Was würde dein Leben besser machen, deinen Alltag erleichtern?
Das Übliche: Schlaf, ab und zu ein bisschen Geld zu haben, dass ich für Unsinn auf den Kopf hauen kann, ohne darauf monatelang sparen zu müssen.
Gibt es Lebensentscheidungen, die du bereust oder vor denen du dein früheres Ich warnen würdest bzw. die du mit dem heutigen Wissen anders gestalten würdest?
Nein. Die Entscheidung, früh Kinder zu kriegen und auf Einkommen zu verzichten ist für mich und uns nach wie vor richtig. Ich bin nicht überrascht davon, dass ich eine niedrige Rente kriegen werde, auch wenn ich das mit zunehmendem Alter einfach bedrohlicher finde. Was mich nervt, ist vielmehr, dass sich die Gesellschaft schwer tut, mich als Ressource zu nutzen und die Arbeit die Care-Arbeit leistende Menschen vollbringen, als wertvoll zu sehen.
Was wünscht du dir von feministischen Diskursen? Wie können diese inklusiver werden?
Die anderen mehr mitdenken, andere Lebensmodelle mehr besprechen. Ich mag Utopien haben und Gemeinsamkeit und dass es Platz gibt für alle und jede Entscheidung im Leben.
Beitragsbild: Privat
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