Die Arbeit, die ich meine. Ergebnisse einer Studie zu Elternschaft als Arbeit

gesellschaft

“Seit ich eigene Kinder habe (…), trage ich ein Alltagsverständnis der Arbeit von Eltern in mir, das die derzeitige Konzentration auf Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft – wenn es um Leistung, Anerkennung, aber auch Gestaltung der Rahmenbedingungen geht – als unangemessen und ungerecht empfinde”, schreibt Wibke Derboven von der Technischen Universität Hamburg. Sie forscht dort unter einer soziologischen und genderorientierten Perspektive unter anderem zu der in Familien verrichteten Sorgearbeit für Kinder und zu sozialen Ungleichheitsverhältnissen aktiver Elternschaft. Ihre neue Studie zum Care-Handeln von Eltern ist 2019 im Transcript-Verlag erschienen.

von Cornelia

Die Arbeit von Eltern braucht einen Vergleich mit klassischer Erwerbsarbeit – auch in oberen Hierarchien – nicht zu scheuen, das zeigt die Untersuchung “Elternschaft als Arbeit” von Wibke Derboven, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Hamburg in der Arbeitsgruppe Arbeit–Gender-Technik. Unsichtbar sei diese Arbeit, sagt sie. Nicht nur in der Gesellschaft, sondern nicht selten auch im Bewusstsein der Eltern. “Wenn eigene Arbeit selbst für die Handelnden unsichtbar ist, dann besteht Entschleierungsbedarf.” Ganz nach diesem Motto versucht sie mit ihrer Forschung, die Schleier zu lüften. Dazu passte Derboven arbeitssoziologische Dimensionen von Arbeit an das Forschungsfeld an.

Im Zentrum der Studie stehen 16 problemzentrierte Interviews mit aktiven Eltern (dreizehn Mütter und drei Väter) aus unterschiedlichen Familienmodellen, die alle in einer Region in Deutschland mit einer relativ guten Ausstattung an Kindertagesstätten leben und zwischen 0 und 55 Stunden pro Woche erwerbsarbeiten. Alle Väter arbeiten in Vollzeit, lediglich eine Mutter erwerbsarbeitet nicht und hat bewusst die klassische Hausfrauenrolle übernommen. Die Verantwortungsgrade der Eltern reichen von der Alleinversorgerin bzw. Hauptversorgerin (alle befragten Frauen) bis zum Nebenversorger (alle befragten Männer).

Was Eltern den ganzen Tag machen

In einem ersten Schritt filterte Derboven, welche Tätigkeiten Eltern überhaupt verrichten. Diese können in fünf Kategorien gebündelt werden:

  • Versorgen, Pflegen (z.B.: Haushaltstätigkeiten, Pflege, Kuscheln)
  • Begleiten, Beaufsichtigen (z.B.: in Kita/Schule bringen/abholen, soziale Kontakte ermöglichen)
  • Entscheiden, Planen, Organisieren (z.B.: Babysitter*in/Schule/Ärzt*in/Beschäftigung… auswählen, Alltag organisieren)
  • Beibringen (z.B.: kochen, Umgang mit Menschen/Geld, Hausaufgaben)
  • Motivieren, Antreiben, Lernen (z.B.: zum Ausprobieren von Freizeitaktivitäten, zum Lernen, zum konzentrierten Handeln, Vorbild sein, Einfluss nehmen)

Bei meinen Eltern war noch ganz klar getrennt, wer was zu machen hat und bei meinen Schwiegereltern auch. Bei uns halt nicht. Das gibt viele Diskussionen. Und meinen Beitrag sehe ich oft nicht anerkannt.

Das mit diesen Bereichen verbundene Anforderungsprofil umspannt die Anforderungen verschiedenster, zum Teil hoch qualifizierter Berufe. “Eltern sind sowohl Haushälter*innen, Pfleger*innen, Alltagsbegleiter*innen und Fahrer*innen als auch Manager*innen, Lehrer*innen, Führungskräfte und Personalentwickler*innen in einer Person”, sagt Derboven. Eltern leisten dies, weil sie wollen, dass ihr(e) Kind(er) “später gut zurechtkommen” sowie “eine zufriedene Kindheit” erleben. Gleichzeit wollen sie eine nachhaltige Bindung an die Familie realisieren. Das bedarf Beziehungskompetenz, Erziehungskompetenz, Organisationskompetenz, Emotionskontrolle und persönliche Stabilität.

Gleiche Ziele, unterschiedliche Ressourcen und Strategien

Derbovens Befragung dieser kleinen Gruppe von Eltern zeigte eines ganz deutlich: Die anspruchsvollen Ziele sind über alle Interviewten hinweg dieselben, ihre Handlungsstrategien unterscheiden sich hingegen deutlich in Bezug auf die Strukturierung der Familienzeit, auf die realisierte zentrale Interaktionsform im Umgang mit den Kindern und auf den Grad und die Qualität der realisierten Kooperationen mit unterstützenden Personen und Institutionen.

Weil viele Eltern-Ziele in der Zukunft liegen, sind sie allerdings nicht unmittelbar überprüfbar. Care-Handeln in der Familie ist also immer mit Unsicherheit verbunden. Die befragten Eltern entwickeln aus diesem Grund Stellvertreter-Ziele, um einschätzen zu können, ob sich ihre Kinder gut entwickeln. Primär sind das gute Schulnoten und zielgerichtete Aktivitäten. Werden diese Stellvertreter-Ziele nicht erreicht, sorgt das für große Verunsicherung und Stress.

Das ist immer wieder reden, reden, reden und diskutieren, das das auch versteht, das ist mit wichtig.

Die Interviewten versuchen auf unterschiedliche Arten Einfluss auf ihr(e) Kind(er) zu nehmen: durch liebevolle Strenge, durch beharrliche Gespräche, durch Präsenz. Allen ist es wichtig, Einfluss auf ihre Kinder zu realisieren, aber das, ohne die Beziehung zu gefährden. Ungenügende Einflussnahme empfinden sie als belastend, sie bedeutet Kampf und Resignation.

Nach ihren Belastungen im Alltag befragt, erzählten die Befragten viel von ihren Kindern selbst, etwa von sporadisch schwierigen Interaktionen und Schulproblemen. Darüber hinaus nannten sie Zeitmangel, Mangel an mentaler Kraft, Geldmangel, Konflikte mit dem anderen Elternteil, Handlungsunsicherheit, Allverantwortlichkeit und Unvorhersehbarkeit wie Krankheiten.

Mir fehlt einfach an Kraft, zum Üben anzutreiben.

Unterm Strich bewerten die Eltern das Leben mit Kindern – wenig überraschend – sehr unter unterschiedlich, für viele ist ein Leben ohne diese nicht vorstellbar. “Einige [antworteten] zunächst zögerlich”, so Derboven. “Teilweise war ihnen anzumerken, dass sie sich diese Frage noch nie explizit gestellt haben.”

Aber ich bin mir natürlich sehr bewusst, wie viel ich opfere für meine Kinder. Wäre ich nicht Mutter, wäre ich woanders jetzt.

Die Wissenschaftlerin unterscheidet drei Gruppen von Eltern: die einen beschreiben ihr Leben mit Kindern als bereichernd und das Selbst entwickelnd, die anderen als bereichernd, aber auch von Entgangenem geprägt und eine dritte Gruppe spricht von einem anstrengenden und belasteten Leben. Letzteren fehlt die Bereicherung als Ausgleich zu den Anstrengungen. Sprich, man bekommt von den Kindern nicht das zurück, was man erwartet. “Sie entwickeln sich nicht in die gewünschte Richtung oder weigern sich am Familienleben und an der Familienarbeit teilzunehmen”, beschreibt Derboven.

Es ist traurig und erschreckend. Man wird nur noch genutzt.

Drei Eltern-Typen

Im zweiten Teil der Studie hat die Forscherin drei Typen von Eltern herausgearbeitet. Deren Handeln und “Philosophie” lässt sich in jeweils einem Kernsatz bündeln:

  1. Gemeinschaftsgestalter*in: “Gelebte Gemeinschaft ist zentral. Ich achte sehr auf die langfristige Beziehung zu meinem Kind.”
  2. Manager*in: “Ein funktionierendes System ist zentral. Ich gestalte sehr bewusst mein Unterstützungsnetzwerk.”
  3. Tagesbezwinger*in: “Mehr als schauen, was gerade geht, ist nicht möglich.”

Es besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Handeln mit den sozio-ökonomischen Bedingungen und dem Aufmerksamkeitsbedarf des Kindes. Manager*innen leben eher gut situiert und abgesichert, während Gemeinschaftsgestalter*innen oft mit prekären Bedingungen konfrontiert sind. Tagesbezwinger*innen gibt es in allen sozio-ökonomischen Verhältnissen, gemeinsam ist ihnen die Versorgung von Kindern mit hohem Aufmerksamkeitsbedarf bzw. Widerstandspotenzial. Sie empfinden öffentliche Sichtbarkeit von Situationen, in denen sie ihre Kinder “bändigen” müssen, als emotional sehr belastend.

Beispiel Gemeinschaftsgestalterin – Frau T.:

>> Frau T. [alleinerziehend] kämpft darum, Zeit für ihre Tochter zu realisieren. Zeit mir ihrer Tochter zu verbringen, findet sie ‘das Wichtigste’ überhaupt’. (…) Sie hat sich eine volle Putzstelle in der Nähe ihres Wohnortes gesucht. Putzen in örtlicher Nähe gibt ihr die Möglichkeit, immer mal wieder zwischendurch ihre [jüngere] Tochter zu versorgen. Frau T. würde gerne halbtags arbeiten, aber das Geld würde dann nicht reichen. (…) Für Frau T. ist es zentral, dass ihre Tochter ein Recht auf Kind-Sein hat. Sie erzieht sie, indem sie viele Gespräche führt, ‘mit sanfter Tour, mit vielen Worten’. Sie möchte ihrer Tochter Freiheiten lassen, damit sie sich wohlfühlt. (…) Frau T. agiert an den Grenzen ihrer Kräfte (…). Sie fühlt sich total erschöpft.<<

Beispiel Managerin – Frau E.:

>> Frau E. empfindet ihr Handeln für ihre Kinder und mit ihnen fast ausschließlich als Arbeit: ‘Ja, bis sie ins Bett gehen, ist eigentlich alles Arbeit, weil man denn wirklich nur beim Abhaken von Sachen ist: Hast du Mittag gegessen, also Abendessen, Hausaufgaben, was muss für morgen eingepackt werden, was ist morgen zu erledigen, müssen wir zum Zahnarzt, Zahnarzt-Termin machen und so weiter, es ist doch recht viel zu organisieren und zu machen.’ Der Gegenbegriff zu Arbeit ist für Frau E. Spaß. Und Spaß hat Frau E. mit ihren Kindern, ‘wenn wir rumtollen, kuscheln, wenn wir zusammen, was anschauen, das ist dann Spaß.’ Frau E. betont, dass dafür aber selten Zeit ist, weil ihre Halbtagsstelle und ihre Arbeitstätigkeiten für ihre Kinder keine Zeit übrig lassen.<<

Beispiel Tagesbezwingerin – Frau V.:

>>Frau V. hat sehr ‘lebendige’ Kinder, die ‘schwer zu bändigen’ sind und muss eine sehr schwierige Kooperation mit ihrem Expartner und Vater ihrer Kinder gestalten (…). [Sie] fühlt sich, seit sie Kinder hat, als Ausländerin und denkt, dass sie anders behandelt werden würde, wenn sie ‘blonde Haare’ hätte. Bevor Frau V. Kinder hatte, fühlte sie sich nicht als Ausländerin markiert. Der Unterschied liegt für Frau V. darin, dass sie früher unsichtbar war, durch die Kinder heute aber sichtbar geworden ist. Die Sichtbarkeit begründet Frau V. mit ihren lauten Kindern und ihrer neuen zeitlichen Inflexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Beim Busfahren mit ihren ‘lauten’ Kindern fühlt sich Frau V. als ‘asoziale Ausländerin’ angeschaut. Sie vermisst ein Auto zum Umgehen des öffentlichen Verkehrssystems.<<

Alle Befragten empfinden Erziehung als harte Arbeit, manche sogar als eine Arbeit, die “eigentlich gar nicht leistbar ist”. Derboven: “Die meisten Eltern greifen wegen der hohen Anforderungen im Bereich der Erziehung auf transzendente Handlungsformen zur Entlastung zurück, sie “beten und hoffen”, dass aus ihren Kindern “etwas wird”.

Gefühlte Arbeit und Nicht-Arbeit

Die Unterscheidung zwischen gefühlter Arbeit und Nicht-Arbeit ist in dem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Sie liegt bis auf klassische Erziehungstätigkeiten, die immer als Arbeit empfunden werden, weniger in der Tätigkeit selbst, als viel mehr im Kontext, in dem diese stattfinden. Die eigene Verfassung oder der Grad an Gemeinschaft entscheiden darüber, ob ein bestimmtes Care-Handeln als Arbeit wahrgenommen wird.

Aus diesem Grund plädiert Derboven dafür, einem theoretisch-objektiven Arbeitsverständnis immer ein gefühlt-subjektiviertes Arbeitsverständnis zur Seite zu stellen. Während das eine zwar für die gesellschaftliche Anerkennung von kinderversorgenden Tätigkeiten wichtig ist, ist Zweiteres relevant dafür, die Anforderungen an und die Überforderung von Eltern abschätzen zu können. “Eltern brauchen mehr Verständnis ihrer mit sehr hohen Anforderungen verbundenen Care-Arbeit für ihre Kinder”, resümiert die Forscherin. “Sie brauchen Anerkennung und gute Rahmenbedingungen.”

Derboven nennt keine konkreten familienpolitischen Gestaltungsvorschläge, sondern macht erst einmal deutlich, was Eltern brauchen: mehr Familienzeit, auf Einstimmung basierende Kooperationen mit Ko-Erzieher*innen, Werkzeuge/Methoden zur Einflussnahme auf ihre Kinder unter Wahrung einer guten Beziehung, persönliche Stabilität und ein gutes familiaes Miteinander. Zudem streicht sie hervor, dass die Gruppe der Tagesbezwinger*innen unter den Eltern mehr Aufmerksamkeit benötigen, als ihnen bislang zuteil wird: “Diese Gruppe ist in ihrem familialen Care-Handeln – neben den bereits sichtbaren Gruppen wie Alleinerziehenden und sozio-ökonomisch Benachteiligten – besonders zu unterstützen.”

 


Derboven, Wibke (2019). Elternschaft als Arbeit. Familiales Care-Handeln für Kinder. Eine arbeitssoziologische Analyse. Bielefeld: Transcript.

Beitragsbild: Charles O’Rear/U.S. National Archives and Records Administration via wikicommons

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