Neues Schuljahr, neues Hadern mit dem Schulsystem

meinung

Schulkolumne von Linda Bath

Die Schule hat uns nach den Ferien wieder und damit hat sich auch die Stimmung in unserer Familie wieder verändert. Der Takt, den sie dem Kind und damit auch uns vorgibt, wirkt sich auf unser gesamtes Familiensystem aus.

Morgens stehen wir wieder früher auf, zu früh für meinen Geschmack. Die Errungenschaften von Gleitzeit und selbstbestimmten Arbeitszeiten sind beim Teufel – die Schule beginnt pünktlich um acht Uhr. Auch wir Eltern haben während des Schuljahres Aufgaben zu erfüllen – täglich ins Mitteilungsheft schauen, Dinge unterschreiben und rückmelden, keinen Ausflug vergessen, immer eine Jause mitgeben, schauen, dass das Kind sein Zeugs hat und nicht verloren geht im Termin- und Organisationsdschungel. Dafür brauchen wir täglich Zeit, die wir nicht haben und die wir uns von unserer nicht vorhandenen Freizeit abzwacken. Ich würde meine Zeit lieber der tatsächlichen Beziehung zu meinem Kind widmen.

Dabei funktioniert die Schulorganisation gefühlt wie vor 50 Jahren. Es gibt viele Listen, alles wird über Zettel kommuniziert, Geld wird in einzelnen Beträgen eingesammelt – von Digitalisierung weit und breit keine Spur.

Von Strafen und Belohnungen

Auch der pädagogische Zugang an der Schule meiner Tochter ist, so dachte ich, seit mindestens 50 Jahren überholt. Inspiriert von der „unerzogen-Bewegung“ und der Lektüre von Büchern wie „Liebe und Eigenständigkeit: Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung“ von Alfie Kohn, habe ich mich vor längerer Zeit dazu entschieden, mit meinen Kindern ohne Strafen und Belohnungen zu leben, auch ohne Konsequenzen oder der Androhung solcher. Meine Kinder sollen mit ihren Bezugspersonen in einem angst- und straffreien Raum leben, in dem sie sich entfalten und entwickeln können. Selbstverständlich würde ich mir das auch für ihre Lernumgebung in der Schule wünschen.

Nun herrscht dort aber genau das Gegenteil: Belohnungen und Bestrafungen sind unabdingbarer Bestandteil in täglichen Abläufen. Immer wieder erzählt mir mein Kind von den verschiedensten Bestrafungs- und Belohnungssystemen. Wenn zum Beispiel die ganze Klasse zur Strafe nicht in den Hof gehen darf, weil einige Kinder auf dem Weg dorthin laut waren. Oder wenn es mir berichtet, dass wieder sehr viele Kinder „Sitzpause“ hatten. Bei dieser Strafe müssen die Kinder in der Freizeitstunde eine bestimmte Zeit bei der Lehrerin sitzen und dürfen nicht mit den anderen Kindern spielen. Von dem pädagogischen Personal werden Listen geführt, auf denen Vergehen nach ihrer Schwere dokumentiert werden. Demgegenüber stehen verschiedene Arten von Belohnungen. Wer etwa beim Mittagessen ruhig ist, bekommt kleine Kieselsteine geschenkt, wer den Tisch abräumt ein Zuckerl.

Adultismus in der Schule

Mein Kind weiß, dass ich diese Grenzüberschreitungen und Demütigungen zutiefst ablehne. Ich vermittle ihm, dass es genau so viel wert ist, wie jede_r Erwachsene, dass es das selbstverständlich verdient hat, dass man ihm mit dem gleichen Respekt begegnet, wie jedem Menschen, egal wie alt oder jung sie_er ist. Dass seine Gedanken und Gefühle immer Platz haben und geäußert werden dürfen.

Ich frage mich dabei aber auch, ob dieser Spagat für eine Siebenjährige zu schaffen ist? Sie erzählt mir von der Schule und ich sage ihr, dass für mich vieles nicht in Ordnung ist, dass es aber leider nicht in meiner Macht steht, es so schnell zu verändern. Ich kann es rückmelden und thematisieren, ich werde aber nicht die Grundhaltung der Schule innerhalb der Jahre, die sie dort verbringt umdrehen können (schon gar nicht, weil ich erfahren musste, dass viele andere Eltern das gar nicht so sehen wie ich).

Mein wichtigstes Ziel ist deshalb, dass sie immer zu mir kommt, wenn das System sie wütend, traurig oder hilflos macht. Es macht mir Angst, dass sie irgendwann zweifeln könnte und sich denkt, vielleicht ist es doch richtig, Kinder so zu behandeln oder wenn sie selbst gestraft und unterdrückt wird und sich nicht traut, sich damit vertrauensvoll an mich zu wenden, weil sie Angst hat, ich könnte so reagieren, wie die Lehrer*innen in der Schule es tun (weil sie offenbar keinen anderen Ausweg sehen).

Und vor allem mache ich mir große Sorgen um unsere Zukunft. Ein Schulsystem, das Kinder unterdrückt und bestraft, wird weiterhin nicht die Entfaltungsmöglichkeiten bieten, die selbstbewusste und empathische Erwachsene aus den Kindern werden lässt.

Meine Tochter wurde neulich gefragt, was sie sich für eine gute Zukunft wünscht. „Nicht so viele Drohungen in der Schule,“ hat sie geantwortet.


Linda Bath lebt mit ihrem Partner und ihren beiden Kindern in Wien. Weil sie eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Schulsystem aus Elternsicht vermisst, hat sie diese Schulkolumne ins Leben gerufen.

Beitragsbild (c) Nicole Honeywill via unsplash

Alle bisher erschienenen #schulkolumnen von Linda Bath.

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