Geheimnisse, die guten und die schlechten

kultur

Petze, Petze! Wohl niemand lässt sich das gerne nachsagen. Aber wie erklärt man Kindern, dass es trotzdem Geheimnisse gibt, die man ausplaudern kann – nein, soll? Clemens Fobian von basis-praevent, einer Fachberatungsstelle bei sexueller Gewalt gegenüber Jungen, und Mirjam Zels haben nach ihrem gemeinsamen Erstling Die Gefühle-Bandejetzt ein Buch für Kinder ab 4 Jahren geschrieben bzw. illustriert, das sie dabei bestärken soll, sich Hilfe zu holen, wenn ein Geheimnis sie belastet. 

von Cornelia

Klar, Geheimnisse behält man für sich. Das weiß jede_r. Auch Ramin. Niemals würde er seinem Freund Paul verraten, welches Geburtstagsgeschenk er für ihn ausgesucht hat. “Das ist ein Geheimnis und Geheimnisse darf man nicht verraten”, sagt seine Mama. Aber dann beobachtet er, wie ein großer Bub mit einem Fußball eine Fensterscheibe einschießt. Nicht verraten, verlangt dieser. “Sonst passiert etwas Schlimmes. Das ist unser Geheimnis!”

Also schweigt Ramin, als seine Eltern ihn fragen, ob er weiß, wer die Scheibe des Nachbarn kaputtgemacht hat. Aber er fühlt sich deswegen plötzlich sehr schlecht. Und so fragt er andere erwachsene Bezugspersonen, wie sie das so handhaben, mit Geheimnissen.

Soll ich es sagen?

(c) privat

Die Lösung? Geheimnisse, bei denen er sich schlecht fühlt, darf er weitererzählen. Und wenn er sich nicht sicher ist, dann darf er die Sache einer erwachsenen Person erzählen, der er vertraut.

Das Buch “Soll ich es sagen?” richtet sich nicht nur an Jungen, sondern bietet für alle Kinder eine gute Herangehensweise im Umgang mit belastenden Geheimnissen – und eine hilfreiche Gesprächsbasis für Eltern. Autor Clemens Fobian und Rainer Ulfers, sein Partner bei basis-praevent, betonen jedoch: “Sexuelle Gewalt an Jungen stellt sich teilweise anders dar als sexuelle Gewalt an Mädchen. Nach wie vor wird bei sexueller Gewalt oft ausschließlich an Mädchen gedacht. Wenn man nicht weiß, dass auch Jungen betroffen sind, wird man auch mögliche Zeichen nicht wahrnehmen können.”

Zwei in dem Zusammenhang empfehlenswerte Kinderbücher über häusliche Gewalt sind “Bösemann” von Gro Dahle und Svein Nyhus und “Klein” von Stina Wirsén, die beide vom buuu.ch-Kollektiv besprochen wurden: Ein Kinderbuch über häusliche Gewalt und Weil nicht immer alles Bullerbü ist. In der Rezension zu “Bösemann” heißt es aber: “Im Gegensatz zu Klein ist es kein Werk, das frei zugänglich herumstehen sollte, sondern immer nur begleitet (vor)gelesen werden.” Es sei kein schönes, aber ein notwendiges Buch.

Viele Kinder sind betroffen

Zahlen zu Gewalterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen sind angesichts der Dunkelziffer nur schwer exakt anzugeben. Expert_innen gehen aber davon aus, dass 10-20 Prozent aller Mädchen und 5-10 Prozent aller Jungen sexuelle Gewalterfahrungen erlebt haben. 85 Prozent der Täter_innen sind Männer, das Durchschnittsalter liegt bei 30 Jahren. Jede_r dritte Täter_in ist unter 18 Jahren. Etwa 40 Prozent der Täter_innen, die Mädchen sexuell missbrauchen, sind Vaterfiguren oder Verwandte, fast die Hälfte sind nahe Bezugspersonen, nur 6-15 Prozent der Täter sind unbekannte Männer. Auch Buben wird überwiegend von heterosexuellen Männern sexualisierte Gewalt angetan. Die Zahl der Väter ist hier allerdings geringer als bei den Mädchen, meist handelt es sich um männliche Verwandte und nahe Bezugspersonen. (Quelle: KIJA OÖ)

“Täter planen ihre Taten und es taucht immer wieder ein bestimmtes Muster auf, wie der Täter Kontakt zu Kindern aufbaut”, so Fobian und Ulfers. “Diese sogenannten Täterstrategien lassen sich in verschiedene Phasen unterteilen, wie der Täter den Kontakt und das Vertrauen zum Kind herstellt. Das Ziel ist dabei immer die schrittweise Sexualisierung des Kontaktes und zum Schluss die sexuelle Handlung.”

Laut Kinder- und Jugendanwaltschaft (KIJA) Oberösterreich kann sich sexualisierte Gewalt gegen Kinder auf sehr unterschiedliche Art und Weise zeigen. Sie kann beginnen …

  • … mit altersunangemessener Aufklärung des Kindes über Sexualität, die nicht den kindlichen Interessen entspricht, sondern den exhibitionistischen und/oder voyeuristischen Bedürfnissen von Erwachsenen dient.
  • … mit Beobachten des Kindes beim Ausziehen, Baden, Waschen, auf der Toilette und eventuellen Hilfsangeboten dazu.
  • … mit der „Begutachtung“ des Körpers des Kindes.
  • … wenn der Erwachsene sich nackt vor dem Kind zeigt.
  • … mit Küssen des Kindes auf intime Weise („Zungenkuss“).
  • … wenn der Erwachsene dem Kind seine Genitalien zeigt.

Und sie eskaliert bis …

  • … zum Berühren oder Manipulieren der Genitalien des Kindes.
  • … zur Veranlassung des Kindes, die Genitalien des Erwachsenen zu berühren oder zu manipulieren.
  • … zur Masturbation in Anwesenheit des Kindes.
  • … zur Veranlassung des Kindes, im Beisein des Erwachsenen zu masturbieren.
  • … zum Reiben des Penis am Körper des Kindes.
  • … zum Zeigen von pornografischen Abbildungen.
  • … zum Eindringen in den After des Kindes mit Finger(n), Penis oder Fremdkörpern.
  • … zum Eindringen in die Scheide des Kindes mit Finger(n), Penis oder Fremdkörpern.
  • … zum Genital-oralen Verkehr (Cunnilingus, Fellatio).

Was tun?

Weil es kein typisches “Misshandlungssysndrom” gibt, ist es oft schwer, zu erkennen, ob ein Kind von sexualisierter Gewalt betroffen ist. Das Kinderschutzzentrum Linz nennt folgende Indizien, die eventuelle Hinweise dafür sein können: auffälliges Umgehen mit seiner Sexualität in Sprache oder Bewegung, Zeichnungen mit sexualisierten Szenen, überängstliches Verhalten, will zu einem bestimmen Ort partout nicht gehen (weitere Signale sowie Begünstigungsbedingungen: https://www.kija-ooe.at/Mediendateien/Sexueller-Kindesmissbrauch_aktuell.pdf, 9-15). Das tatsächliche Verhalten ist aber sowohl abhängig vom Entwicklungsalter, der Form und Schwere der Gewalt, vom Naheverhältnis zur Täter_in sowie von den Ressourcen im Bewältigungsprozess. Keinesfalls sollte das Kind bei Verdacht bedrängt werden. Ein behutsames Nachfragen ist sehr wichtig.

Was tun, wenn das eigene Kind von sexualisierter Gewalt betroffen ist? Auf der Website der Beratungsstelle basis-praevent werden es zur erster Orientierung Folder mit Erklärungen und Hinweisen zum Download angeboten: Ratgeber. An welche Stellen man sich bei Gewalt gegen Kinder in Österreich wenden kann, ist hier aufgelistet: gewaltinfo.at und Anlaufstellen in Deutschland findet man hier: Hilfeportal Sexueller Missbrauch, Kontakt zu Beratungsstellen in der Schweiz hier: kinderschutz.ch.


Clemens, Fobian/Mirjam, Zels (2019). Soll ich es sagen? Eine Geschichte über Geheimnisse. Marta Press. (Ein Rezensionsexemplar wurde uns kostenlos zur Verfügung gestellt)

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