von Katrin Anna
Ich habe so etwas wie einen Pachtvertrag auf die schweren Themen. Einsamkeit ist der aktuelle Dauerbrenner. Ein großer Nebenschauplatz ist die bevorstehende Einschulung, also die Tatsache, dass damit das bisher mühsam im Kindergarten aufgebaute Netz zerbricht, das mich und Kiddo durch lange Arbeitstage etc. getragen hat. Neue Freundschaften, die zu schließen sind, neue Netzwerke, die aufzubauen sind, neue, alte Betreuungsfragen, die sich wieder stellen, Hallo Murmeltier, geliebter Freund. Und Ferien. Immerhin, 2009 gab es erstmals mehr Schultage, als schulfreie Tage. Das ist doch mal eine positive Nachricht. Aber wenn ich das mit meinen 25 Urlaubstagen vergleiche, dann wechsle ich in bester Vermeidungstaktik doch lieber zu leichteren Themen.
Die leichten Themen: Sterben zum Beispiel
2009 hat mich ein Bus überfahren. Das hätte böse ausgehen können, tat es nicht. Dank des „größten Dickschädels der Welt“ (Zitat meine damalige behandelnde Ärztin) und einer riesigen Portion Glück. Aber viel wichtiger: Ich wurde umgefahren, war angezählt, bin wieder aufgestanden und hab weitergemacht. Als wäre nichts gewesen. Tatsächlich. Einen Tag später war ich wieder zuhause, zwei Tage später habe ich weiter Umzugskisten ausgepackt, vier Tage später war ich wieder in der Arbeit. Selbstverständlich habe ich mir ein paar Gedanken über Vergänglichkeit etc. gemacht, aber wenn ich ehrlich bin: Nicht besonders nachhaltige Gedanken. Seitdem Kiddo da ist, und ich alleine verantwortlich, ist das anders. Ich wäre nicht mehr einfach nur weg, wenn ich mal weg wäre. Ich wäre nicht einfach nur angezählt, jemand anderes wäre, ohne meine Vorsorge, de facto ausgezählt. Es würde jemand übrig bleiben, die*der sich 100 % auf mich verlässt. Sich auf mich verlassen muss. Und auch hierfür bin ich – wie für alle anderen Themen – allein verantwortlich.
Grundsätzlich ist es ja immer empfehlenswert, sich über sein eigenes Ende (oder auch eine längere Auszeit) und die Konsequenzen Gedanken zu machen, sei das nun off– oder online. Ist der zweite Elternteil völlig abwesend, wie bei mir, oder ist der getrennt lebende Elternteil aus Gründen eher nicht die Obsorgeperson der Wahl, dann wird es noch einmal wichtiger.
Nachdem ich in tendenziell organisatorisch und emotional überfordernden Situationen gerne beginne, so pragmatisch wie möglich zu prokrastinieren, bin ich derzeit also dabei, meine potenzielle längerfristige bis dauerhafte Abwesenheit zu organisieren. Denn bevor ich beginne, mir den Kopf über die Sommerferien 2020 zu zerbrechen, denke ich noch lieber über das Sterben nach. Denn das lässt sich, mit entsprechend fachlicher Unterstützung, aktuell sogar besser für mich planen, als die Betreuung. Auch eine Zustandsbeschreibung.
Vorwort
Ein mir sehr wichtiger Hinweis/Ausschluss: Ich schreibe das alles hier als Laiin. Ich kann keine Rechtsberatung bieten, ich bin keine Anwältin. Ich mache das nur gerade selbst und gebe wieder, was meine Schritte sind bzw. waren. Und ich schreibe aus einer sehr individuellen, komplexen persönlichen Sicht. Die Grundzüge der Vorbereitungen und Themen, die auf eine*n so zukommen sind vielleicht dieselben, die Details, insbesondere formelle Regeln, können sehr unterschiedlich sein!
Die Vorbereitung: Meine fünf Schritte zur Formalisierung des möglichen Sterbens
1. Wer ist die Person, die für mich einspringen kann? Die Person, die nicht nur für einzelne Stunden oder mal eine Übernachtung, sondern potenziell für das restliche Leben für Kiddo verantwortlich sein kann? Das ist mit Sicherheit der schwierigste Teil von allen. Denn diese Person zu finden ist jenseits von einfach. Ich muss hier meiner Schwester eine Liebeserklärung aussprechen, sie ist die Person, der ich blind vertraue, die immer verlässlich ist, die Kiddo liebt und von Kiddo geliebt wird. Und auch die Person, die – nicht ganz unwichtig aus Sicht der Behörden und somit ein glücklicher Zufall – in Hinblick auf finanzielle und die Lohnarbeit betreffende Situation gut aufgestellt ist. Die alt genug, aber nicht zu alt ist. Und die ja gesagt hat. In jeder Hinsicht kann ich mich in diesem Fall also glücklich und privilegiert schätzen.
2. Wo finde ich Antworten auf all meine Fragen? Grundsätzlich ist es möglich, Obsorge und Nachlass privat zu regeln. Aber das ist mir zu riskant. Ich bin gern gut informiert und gut organisiert, ich muss es in meiner Situation auch sein, und insofern war das Finden einer Anwältin, die mich durch all die bereits erledigten und noch anstehenden Schritte führt, der zweit wichtigste Schritt von allen für mich. Zu viele Wörter verstehe ich nicht, an zu viele Sachen hätte ich vielleicht nicht gedacht, zu komplex ist die Situation und zu viel hängt davon ab. Natürlich, es kostet Geld und das muss man, gerade als Ein-Eltern-Familie erst einmal haben. Aber es ist wahrscheinlich eine der besten Investitionen, die ich bisher getätigt habe.
3. Stichwort Geld: In 38 Lebensjahren sammelt sich ja so allerhand Papierkram an. Hier alles gut zu sortieren und einen Überblick zu bekommen, besonders über meine Finanzen, war mühsam. Es hat mich einige Wochen gekostet mich einzulesen, einen Plan anzulegen, alles zu ordnen und für jedes Konto etc. eine Zeichnungsberechtigung für die geplante Obsorgeperson auszustellen. Denn Banken erkennen Vorsorgevollmachten und Testamente alleine, also ohne behördliche Beschlüsse, nicht unbedingt an. Und ohne (schnellen) Zugriff auf Geld kann es schwierig werden im Fall der Fälle. Der Nebeneffekt: Es war ein guter Anlass ein weiteres Thema endlich anzugehen, meine Finanzbildung und -planung. Denn es muss ja überhaupt einmal Vermögen vorhanden sein, über das ich und im Fall der Fälle eine andere verfügen kann. Ein großes Thema, ein schwieriges Thema, insbesondere für Frauen*, noch insbesonderere für alleinverantwortlich Erziehende. Es gibt zig Artikel dazu, aktuell z. B. eine gute Stammtischzusammenfassung beim Damengedeck.
4. „Digitaler Nachlass“. Der nächste Schritt war ähnlich unterhaltsam: Die Auflistung der diversen digitalen Informationen zu meinem Leben, alle Online-Zugänge, Vertretungsrechte auf Social Media, darüber nachdenken, wer das einmal alles lesen darf oder eben nicht. Der große Frühjahrsputz im digitalen Leben.
5. Patient*innenverfügung! Das nächste wunderbare Thema, mit dem ich mich schon immer beschäftigen wollte. Hätte ich tatsächlich früher schon machen sollen, siehe Busunfall, und zum Glück habe ich eine ganz wunderbare Allgemeinärztin, die mit mir jeden leichten und schweren Schritt gegangen ist, bis auch dieses Dokument fertig war.
Soweit so mühsam. Es hat mich viele Abende und Nächte gekostet, in denen ich geflucht und geweint habe. Es waren viele unangenehme Gespräche dabei, so intim, wie selten. Aber es ist auch eine große Erleichterung und Befreiung, die Einsamkeit und ihre potenziell schlimmsten Folgen zu organisieren und am Ende zu sehen, ganz einsam bin ich nicht. Vor mir zu sehen, was der Titel meiner Kolumne wurde: Ich bin Eine, aber ich bin nicht alleine. Und auch Kiddo ist nicht alleine, selbst wenn ich weg bin.
Und wer bis hierher durchgehalten hat: Jetzt kommt der einfache Teil.
Die Umsetzung: Letztendlich läuft alles auf zwei Unterschriften hinaus. Und ein Glas Wein.
1. Testament. Das muss handschriftlich geschrieben werden und ich habe gefühlt eine Papiertonne mit verworfenen Anfängen. Obwohl mir meine Anwältin mit den wichtigsten Formulierungen und Bestandteilen (in meinem Fall anzuwendendes Länderrecht, Vorsorge/Obsorgevollmacht, Kontenliste, uvm.) geholfen hat, es zu schreiben, war schwer. So schwer, dass auf zwanzig Blättern einfach nur „Testament“ steht. Weiter kam ich nicht.
2. Vorsorgevollmacht inklusive Obsorgevollmacht. Dankbarerweise ist das kein Freitext, sondern ein Formular. Auch hier half meine Anwältin – vorrangig mit Übersetzungsleistung, denn Jurasprache ist eine ganz eigene Sprache. Zu finden sind die Informationen wie auch das Formular aber auch online, für Österreich z.B. hier. Falls ihr juristisch sprecht, oder euch einmal informieren wollt.
3. Zu guter Letzt: Unterschriften und Behörden. Mit meinem Stapel an Unterlagen und Informationen zusammen führt mein Weg nun wieder zu meiner Anwältin, denn auch wenn ich es theoretisch alleine fertigmachen könnte, praktisch verlasse ich mich in existentiellen Sachen doch lieber auf Profis. In ihrem Beisein unterschreibe ich und sie kümmert sich um die offizielle, behördliche Hinterlegung.
Der Abschluss
Spätestens jetzt ist es Zeit für ein Glas Wein, Bier, Getränk der Wahl (selbstverständlich bei allen anderen Schritten zuvor auch möglich, evtl. nicht unbedingt bei der Ärztin im Sprechzimmer …). Zufrieden sein, dass dieses Thema endlich erledigt ist. Zumindest vorerst, denn Änderungen sind jederzeit vornehmbar. Das Wissen, meine Existenz und die Existenz eines von mir abhängigen Wesens zumindest einigermaßen im Griff und geregelt zu haben, ist unfassbar beruhigend. Auch wenn das natürlich eine Illusion ist. Denn einerseits ist – zumindest in meinem Leben – nichts wirklich im Griff und geregelt, ich bin permanent damit beschäftigt darauf zu achten, dass nicht das ganze Hamsterrad auseinanderfällt, und andererseits sind mit einer Vorsorge-/Obsorgevollmacht noch lange keine unwiderruflichen Fakten geschaffen. Denn im Fall der Fälle wird immer vom Jugendamt bzw. Familiengericht geprüft, wer die Obsorge für ein Kind erhalten soll. Dabei kann, muss aber nicht (!), auf eine Vollmacht eingegangen werden. Sie ist nicht zwingend. Aber: Sie ist ein wichtiger Hinweis und ein Handlungsleitfaden neben anderen für die behördliche Entscheidung, wer die Obsorge erhalten soll. Und damit jedenfalls eine große Beruhigung und ein ganz wichtiger Baustein, um entspannt über so Kleinigkeiten nachdenken zu können – wie ca. 180 Tage schulfrei versus 25 Tage Urlaub plus 113 Wochenend- und Feiertage.
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Katrin, *1980, ein Kind (*2012), leben seit Beginn der Schwangerschaft zu zweit. 40+ Stunden-Job im Sozial-/Bildungsbereich. Schreibt, wenn sie nicht während dem Vorlesen einschläft und wäre gerne auch im offline Leben wieder politisch aktiver.
Beitragsbild (c) Katrin Anna
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