Kolumne von Maren Hpunkt
Über den Kampf um alternatives Wohnen mit Kind in einer WG und warum Scheitern auch schön sein kann
In den Hauptspielgebieten tummeln sich die Taschentücher, wie eine Herde Schäfchen um das Kind und mich. Hier geht nix mehr. Kind krank, ich krank, Lieblingsmensch halb krank im Büro. Wir ernähren uns von Tiefkühlpizza und Tee, das Kind verweigert eh Nahrung bis auf Muttermilch und Früchteriegel, auch wurscht. Wie entspannt ist es da, auf die Hausarbeit zu scheißen und über den kollektiven Mittagschlaf die Taschentuchinvasion einfach liegenzulassen.
Gerade fühlt sich ganz viel nach Erleichterung und Freiheit an und das hätte ich so nicht gedacht. Bis vor sechs Wochen haben wir mit unserem Kind in einer WG gelebt. Und dann haben wir kapituliert. Kleinfamilie in Wohnung mit Garten, statt 5er-WG. Bis zum Auszug hat es sich verdammt nach Versagen und Verrat der eigenen Ideale angefühlt. Jeder Kommentar von außen a lá „wir haben es euch ja gesagt“ hat zum Gefühl des Scheiterns beigetragen. Nun haben wir es also endlich „eingesehen“, sind „normal“ geworden und entsprechen dem Bild der Kleinfamilie, wie es halt so gesamtgesellschaftlich erwartet wird. Bleurgskotzbrrärgs.
Zwischen Wunsch und Realität
Von einem Leben mit Kind in der WG hatte ich sehr romantische Vorstellungen und in einigen Momenten war es auch genauso. Ich konnte dem Mitbewohner das Baby in den Arm drücken und duschen, das Kind war später wunderbar bespaßt, durch staubsaugende Mitbewohner. Tolles Selbstbild, auch mit Kind noch alternativ zu leben, und es eben anders zu machen. Leider kam dann die Realität dazwischen, verdammt.
In der Realität war uns als Familie nach Raum und Ruhe, um uns als Individuen, Paar und Eltern neu zu finden und eine Beziehung zu diesem kleinen Menschlein aufzubauen. Leider sind nach der Geburt alle Mitbewohner*innen nacheinander ausgezogen und wir hingen da mit einer teuren Riesenwohnung und Mitbewohner*innencasting mit Neugeborenem. Absoluter emotionaler und organisatorischer Stress, statt friedliches Nest. Aber hey, wir haben ja Ideale und wollen wirklich wirklich wirklich gemeinschaftlich leben. Also haben wir im crazy ersten Babyjahr noch eine komplett neue WG zusammengecastet. Da gab es dann ausführliche Putzkrisen und ähnlich normalen nervigen WG-Kram. Aber WG-Krisenplenum nach einer durchwachten Nacht mit zahnendem Kind und einem Tag voller Lohnarbeit, war doch kräftezehrend.
Vereinbarkeit von WG-Leben und Elternschaft
Rund um den Muttertag wurde viel Relevantes über die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Lohnarbeit geschrieben (hier oder hier z.B.). Mich interessiert gerade auch die Vereinbarkeit von Elternschaft und WG-Leben. Wie schaffen andere Menschen mit Kind(ern) das? Sagt es mir. Schreibt es mir. Denn wir sind daran gescheitert.
Die Machtverhältnisse und Abhängigkeiten haben sich mit der Schwangerschaft, aber vor allem nach der Geburt total verschoben. Die Liste der Dinge ist lang. Wir waren auf einmal ganz anders abhängig, von einer konstanten und friedlichen WG-Konstellation, funktionierenden Einkaufsplänen, Toleranz von mäßig Babyinteressierten und so weiter. Als Eltern eines radikalen Breiverweigerers haben wir bis zu sechs Mal am Tag die WG-Küche putzen müssen, damit andere nicht Tomatensauce an den Socken und die Nase voll vom Leben mit Kind haben. Die WG war dann leider Mehrarbeit und keine Entlastung. Wir waren abhängig von Menschen, die gerade ganz verständlich ganz andere Themen und Prioritäten hatten im Leben.
Zu Platt fürs Plenum
Es ist anstrengend, auf alle Bedürfnisse und Befindlichkeiten des eigenen winzigen Kindes einzugehen. Dabei noch den Partner und sich auf dem Schirm haben, klappt oft nur mäßig. Die total legitimen Bedürfnisse und Befindlichkeiten von allen Mitbewohner*innen dazu noch auf dem Schirm zu haben, kostet zusätzliche Energie. Mit unserem 50/50 Modell, wo beide arbeiten und die Kinder- und Reproarbeit teilen, solange Klein N. noch nicht extern betreut wird, bedeutet Feierabend von anfallenden Lohn- und Hausarbeiten selten vor 20 Uhr. Dann früh schlafen, da das Kind ruhige Nächte total überbewertet findet. An einem normalen Wochentag habe wir als Paar abends rund gemeinsame 90min für romantische Beziehung, Management unseres 50/50 Alltags, Freund*innen auf Nachrichten antworten, Hobbies nachhalten oder mal NICHTS tun. In dieser Zeit WG-Plena und Small Talk mit den Mitbewohner*innen!? Sorry, keine Kraft mehr.
Wir haben kapituliert. Nach eineinhalb Jahren kämpfen um gemeinschaftliches Wohnen mit Kind haben wir hingeschmissen, uns das Scheitern unserer Ideale eingestanden und sind aus der WG in eine eigene Wohnung gezogen. Hallo Kleinfamilienfalle!?
Kleinfamilienfalle oder mehr Freiheit
Das Experiment „Wohnen als Kleinfamilie“ läuft erst recht kurz, aber ich bin durchaus überrascht über das Maß an dazugewonnener Freiheit und Freizeit. Durch das Wegfallen der WG-Organisation, Konsensfindung und Bedürfnismanagement von 3+2 Leuten sowie einer größeren Flexibilität von Putz-und Einkaufspflichten, bleibt mehr Zeit für die romantische Beziehung und me-time. Die Freiheit, schlimmes Chaos einfach mal einen halben Tag liegenzulassen, ohne andere damit zu nerven und sich als WG-Belastung zu fühlen, ist sehr erleichternd. Es wäre schön, wenn sich irgendwann wieder eine Möglichkeit ergibt, in einer anderen Form gemeinschaftlich zu wohnen. Aber gerade bin ich nur erleichtert, dass wir die Kleinkindphase mit mehr Chaostoleranz und Verlässlichkeit erleben können.
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Maren, Mitte 30, Mutter von 2016 geborenem Sternenkind J. und dem 2018 geborenen kleinen N., lebt mit Herzensmensch/Vater der Kinder im Norden Deutschlands, versucht sich jetzt mal nicht am WG-Leben mit Kind und lohnarbeitet im internationalen Bereich.
Beitragsbild (c) Maren Hpunkt
Du sprichst mir aus dem Herzen. Wir haben es 1 Jahr lang versucht und dann aufgegeben. Die kinderlosen Mitbewohnis haben uns im Grunde auch vorgeworfen, zu fertig zu sein und damit die Stimmung in der WG zu vermiesen. Sie konnten nicht nachvollziehen warum wir so geschafft waren. Mir tat es sehr weh diesen Traum von WG und Kind an den Nagel zu hängen, aber es läuft ohne plena und Putz-Arrangements einfach stressfreier. Ich würde so ein Projekt wohl nur noch mit anderen Eltern planen oder in einem Haus wo wir ne eigene Wohnung hätten.
Die Lebensrealitäten waren einfach zu unterschiedlich.
Hallo Maren! Wir leben mit unserem Kind in einer WG, seit es zwei Jahre alt ist. Außer uns dreien leben noch eine weitere Familie und zwei Einzelpersonen mit uns. Es wäre gelogen, wenn ich behauptete es liefe super. Aber im Großen und Ganzen läuft’s ganz gut. Klar, die anderthalbjährige dreht gern ihren Teller um, wenn gerade ihr Abendessen darauf liegt, der vier-und der fünfjährige finden sich oft gegenseitig scheiße und sagen dies auch und alle lieben es Brüllaffe zu spielen… Kinderchaosalltag. Wir haben Glück, tolerante Mitbewohner*innen zu haben und sie, zwischen recht gut schallisolierten Wänden zu leben. Nichtsdestotrotz verdrehe ich auch mal die Augen, wenn die Küche wieder geflutete ist mit Haferdrink und Kin Elternteil weit und breit. Aber hey, die Kleine wird auch noch älter und mit unserem fünfjährigen ist WG-Leben super.
Hallo! Vielen Dank für diesen Text vom persönlichen Scheitern.
Mich macht der Text unglaublich wütend auf die Menschen, die so tun, als wären Kinder eine Art persönliches Hobby. Für mich ist zusammen LEBEN ein politisches Konzept (“Die kleinste Zelle des Faschismus ist die Kernfamilie”). Dabei empfinde ich meine WG nicht als Entlastung in meiner Carearbeit. Aber ich möchte bitte in einer Solidaritäts-Gemeinschaft leben und diese muss nunmal damit umgehen, dass ich Elter bin, dass es ein Kind gibt und dass dieses auch vollständiger Teil der Solidaritätsgemeinschaft ist.
Bei uns funktioniert das, mit allen Höhen und Tiefen, seit fast 5 Jahren. Ich möchte dafür nicht dankbar sein. Ich möchte nicht schreiben, dass wir damit anscheind super Glück haben. Mich kotzt diese Kinderfeindlichekit an. Das ist adultistische Kackscheiße und in keinem anderen Macht-und-Diskriminierungs-Mechanismus fänden wir Verhalten wie oben beschreiben angemessen.
Ich wünsche euch alles Gute und hoffe, ihr kommt mit eurer neuen Wohnsituation gut zurecht!
Dein Text spricht mir zutiefst aus fer Seele… Ich bin 33,Mama eines 1,5 Jahre alten Kindes. Allein alleinerziehend seit der Beginn der Schwangerschaft. Ich habe es trotzdem durchgezogen. Ich wusste damals, es wird schwer. Wie schwer es wird, wie einsam es wird, mit wieviel Müdigkeit man kämpfen muss und dass die alten Freunde einem nach und nach im Stich lassen,damit habe ich nie gerechnet. Ich bringe mein Kind in die Kita,ich arbeite, ich gehe einkaufen,ich hole mein Kind ab,ich versuche wenigstens noch 20 Minuten auf dem Spielplatz auszuhalten, ich schleppe Arbeitstasche,Kind und Einkäufe heim,ich bereite etwas möglichst Gesundes und gleichzeitig Schmackhaftes zu essen vor, ich spiele mit meinem Kind, ich bringe mein Kind ins Bett, ich versuche aufzuräumen, ich arbeite, ich bin totmüde und kann wieder mal nicht schlafen…