1. Wie würdest du deine familiäre Situation beschreiben?
Mein Name ist Rix (30 Jahre). Ich bin trans Elter von zwei Kindern (6 und 8 Jahre alt). Als ich die beiden bekommen habe, hatte ich für mich noch nicht klar, dass ich trans bin. Das kam so kurz nach der Geburt vom zweiten Kind. Nach einer komplizierten Trennungsphase vom Kindsvater bin ich 2015 ausgezogen und lebe seitdem in einem Hausprojekt. Neben meinen Kindern sind meine Mitbewohnis meine Familie. Vor zwei Jahren beschloss der Kindsvater (entgegen meinen ausdrücklichen Wunsch) mit den Kindern zu seinen Eltern zu ziehen – in eine andere Stadt. Seitdem sehe ich die Kinder jedes zweite Wochenende und in den Ferien.
Für die Kinder bin ich schon lange nicht mehr Mama, sondern einfach nur Rix. Leider ist weder meine Herkunftsfamilie noch die Familie von meinem Ex sonderlich unterstützend, ich werde ständig misgendert und auch weiß ich, dass hinter meinem Rücken noch mit meinem alten Namen über mich gesprochen wird. Ich bin mir sicher, dass das für die Kids verwirrender ist, als die trans Sache selber. So leben meine Kids in zwei verschiedenen Welten: Während der Woche im christlich geprägten, weiß-heteronormativen Umfeld in einer happy Kleinfamilie (mein Ex wohnt inzwischen mit seiner neuen Partnerin zusammen). Am Wochenende im linken Hausprojekt, in dem lauter unterschiedlichste Menschen wohnen. Auch mein „Erziehungs-Stil“ unterscheidet sich sehr von dem des Kindsvaters.
2. Wie läuft ein typischer Werktag bei dir/euch ab?
Den gibt es so nicht bei uns, da die Kids ja während der Woche gar nicht bei mir sind. Und auf Telefonieren haben sie auch meistens keinen Bock, was ich aber auch gut verstehen kann (hatte ich als Kind auch nicht).
Aber ich kann mal einen typischen Samstag beschreiben:
Zwischen 8 und 9 Uhr aufstehen: Die Kids lassen mich inzwischen ausschlafen <3 Sie haben ihr eigenes Zimmer in meiner WG und spielen da auch gerne nur unter sich.
Danach: gemütliches Frühstück. Wir haben auch so bestimmte Frühstücksdinge, die sie sich immer nur bei mir wünschen, das find’ ich sehr schön.
Wenn das Wetter gut ist, verbringen wir den ganzen Tag draußen. Für unterwegs schmier’ ich immer Brote, die Kids lieben unser Mittagspicknick. Da ich nicht so viel Geld habe, machen wir eher selten teure Ausflüge. Wir checken eher die verschiedenen Spielplätze in der Stadt ab, gehen ‘mal in den Wald, in die Stadtbibliothek, auf Flohmärkte … Manchmal nehm’ ich sie auch mit auf Demos 😉
Abends kocht meist wer aus meiner WG Essen für uns.
Gegen 20 Uhr wird sich bettfertig gemacht und dann kuscheln wir und gucken noch einen Film zusammen. Die Kids kommen bei mir tatsächlich immer erst spät ins Bett, aber ich denk mir es ist Wochenende und ich will die Zeit mit ihnen auskosten.
3. Teilst du die Familienarbeit mit anderen Großen?
Nunja. Die Kids leben ja hauptsächlich bei ihrem Vater.
Wenn sie bei mir sind, teile ich mir die Arbeit auch immer ‘mal wieder mit anderen, aber da gibt es keine Regelmäßigkeit. Meine Partnerin unterstützt mich, wo sie kann. Sie und meine WG übernehmen oft Care-Arbeit, die um die Kinder herum anfällt: ‘mal was kochen, den Tisch abräumen, Klamotten der Kinder waschen und aufhängen, Kinderzimmer aufräumen … sowas halt. Das bedeutet mir sehr viel, da ich mich dann auf die Zeit mit den Kids konzentrieren kann, wenn ich weiß, dass mir andere Arbeit abgenommen wird.
4. Ist das eine gute Aufteilung für dich?
Innerhalb der Situation, so wie sie jetzt ist: ja. Die Situation selbst: nein. Ich wünschte die Kinder würden immer noch in derselben Stadt leben wie ich. Ich merke, dass ich kaum noch was aus ihrem Alltag mitbekomme und das finde ich sehr schade.
Dazu kommt noch, dass ich durch meine Teilzeit-Elternrolle kaum noch Kontakt zu anderen Eltern in der Stadt habe, das fehlt mir auch manchmal.
In einer idealen Welt würden die Kinder bei mir in der WG wohnen, gegebenenfalls auch sowas wie wochenweise abwechselnd mit dem Kindsvater. Alle in der WG würden sich verantwortlich fühlen für die Sorgearbeit, es wäre selbstverständlich, dass ich mich nicht alleine um die Kinder und alles, was damit zu tun hat, kümmern kann. Bestenfalls würden auch noch andere Kinder im Haus wohnen 😉
5. Was ist schön am Kinderhaben?
Dass sie mich „zwingen“ im Hier und Jetzt zu leben. Das genieße ich sehr. Wenn die Kinder da sind, kann ich mir gönnen, mit ihnen in den Tag zu leben, nach unseren Bedürfnissen Entscheidungen zu treffen und auch kreativ zu werden. Wenn die Kinder da sind, gibt es keine anderen Termine, keine E-Mails usw., und ich schaff’ es sogar meistens, Gedanken an bestehende Aufgaben aus meinem Kopf zu verbannen.
6. Was ist schwierig am Kinderhaben?
Die große Verantwortung, die es mit sich bringt, Kinder zu haben. Die Sorge um ihre Sicherheit und Gesundheit. Aber ebenso die Sorge um ihre Zukunft. Ganz oft, wenn ich Nachrichten lese und feststelle in was für einer kaputten Welt wir leben, habe ich Angst um meine Kinder.
Dazu kommen noch meine situationsbezogenen Ängste. Angst vor Entfremdung: Wenn ich die Kids so selten sehe, wollen sie vielleicht irgendwann gar nicht mehr zu mir kommen? Und welche Rolle hat der Kindsvater dabei?
Angst, was das cis-heteronormative Umfeld mit ihnen macht, und wo sie mich darin einordnen (ich hab’ jetzt schon manchmal das Gefühl, dass ich eben als der „freak“ in der Familie wahrgenommen werde).
7. Woraus ziehst du Kraft und Energie?
Hmm, das ist manchmal echt schwierig. Ich würde sagen, vor allem durch die Menschen, die mich in meinen Ängsten begleiten. Das sind zum einen Mitbewohnis, Freund_innen und meine Partner_in, die mich darin bestärken, dass ich das alles gut mache, wie ich es mache, und dass ich als Elternteil nicht versagt habe. Und zum anderen aus meiner Online-Community von trans Eltern, die meine spezifische Situation als trans Elter kennen und bezogen auf dieses Thema ähnliche Erfahrungen machen, über die wir uns austauschen können. Ich halte ja auch Vorträge über trans Elternschaft und freue mich jedes Mal dort neue trans Eltern kennenzulernen. Die viele positive Resonanz gibt mir Kraft weiterzumachen, ja.
8. Was wünscht du dir von der Politik für Familien?
Puh, wo soll ich da anfangen, es läuft so vieles ganz, ganz falsch. Für mich bräuchte es eine ganze Menge grundsätzlicher Veränderungen im System, damit es Familien besser gehen kann.
Angefangen über die grausame und unmenschliche Geflüchteten-Politik, in der Familien getrennt werden, medizinische Versorgung fehlt und noch so vieles mehr. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, um vor allem alleinerziehende Mütter aus der Armutsfalle zu befreien. Eine deutlich bessere Entlohnung aller Erziehungs- und Pflegeberufe. Kostenfreier Zugang zu Bildung, von der Krippe bis zur Uni. Auch die rechtliche Anerkennung von Mehr-Eltern-Familien. Reformierung des Abstammungsrechtes, sodass auch trans Eltern unter ihrem Namen und in gewünschter Funktion in der Geburtsurkunde ihrer Kinder eingetragen werden (unter aktuellem Recht bin ich trotz Personenstands- und Vornamensänderung in der Geburtsurkunde meiner Kinder als Mutter und sogar mit altem Namen eingetragen; und dass, obwohl diese Person rein juristisch gar nicht mehr existiert). Die Abbildung verschiedener Lebensrealitäten von Familien in Bildungsmaterialien wäre auch sehr wünschenswert 😉 Also es gibt an allen Ecken und Enden nicht nur zu feilen, sondern gigantische Baustellen.
9. Wohin ging der letzte Familienausflug?
Letztes Wochenende war schönstes Frühlingswetter, da waren alle scharf drauf, den Tag im Freien zu verbringen. Also sind wir zu siebt (drei Mitbewohnis, meine Partnerin, die Kinder und ich) zur Rhumequelle am Fuße des Harz gefahren, das ist ganz hier in der Nähe. Dort sind wir ein bisschen gewandert, haben ausgiebig gepicknickt und ich hab’ mit den Kids ein kleines Floß gebaut, das wir dann ins Wasser gelassen haben. Später haben wir noch im Stadtwald Bärlauch gepflückt, und abends gab’s dann Nudeln mit Bärlauchpesto. Wenn ich das so schreibe, klingt das schon ein bisschen idyllisch/klischeeig/kitschig… aber irgendwie war es das auch 😉
Rix hält Vorträge zu “Trans und Elternschaft” und freut sich über eure Anfragen unter transundkids@gmail.com
Foto: Rix
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