Einschließlich. Short story

kultur

Bild: #41 (Rotterbach und Hacksiefen) aus der Serie „Bombenkrater“, © Henning Rogge, Galerie Jo van de Loo

Die wirklichen Frauen waren im Zeichen des vergesellschafteten Hexenbildes vernichtet worden. Das Bild hat überlebt. (Silvia Bovenschen)

von Susanne Hösel

Mau, mau fühlte ich mich, eigentlich müde, und ging doch los, weil nichts anderes übrig blieb, da ich nun einmal hier war, mich entschieden hatte zu diesem Gang, ich hätte nämlich auch einfach neue Geschirrtücher kaufen können, hatte aber Großmutters Leinen dann doch besser gefunden, vernünftiger, weil es nun einmal da war, im Waldhaus bei Mutter, musste ich also nur früh los, herumzirkeln mit dem Auto auf feuchtem Asphalt bis der Pfad gefunden war, bis ich mir sicher war, ihn gefunden zu haben, den Turnbeutel gegriffen und dann schlug mir diese Forstkühle entgegen, frisch, schon, aber so groß, als betrete ich ein grünes Grab, mit diesen Senken und Schlüchten, die vor mir lagen, aber ich wollte es ja so, es war auch vernünftig, zuerst die alten Geschirrtücher aufzubrauchen, die kosteten auch nichts, Großmutter meinte, ich könne sie haben, als vorzeitiges Erbe sozusagen, ich müsse sie nur eben von Mutter holen, aus dem Wald, dem Waldhaus, in dem Mutter immer öfter lebte, früher nur ein, zwei Wochen im Sommer, dann in den Monaten ohne R, wie sie sagte, und nun hatte ich sie jahrelang nur zu Weihnachten in der Stadtwohnung gesehen, wo sie wie ein Gast da saß, mit Bluse und Ohrringen, zeitlos, nichts Robustes, Dörfliches, und doch so, dass ich sah, dass sie sich verkleidet hatte und geduldig an ihrer Ecke des Tisches abwartete, mit dem ersten Bus nach den Feiertagen wieder abreisen zu können, egal wie Vater sie drängte, doch wenigstens Silvester abzuwarten, Neujahr zusammen, das wär doch schön, Schatz, und sie nickte, ja, das wär schön, und verzog sich, um auf dem Sofa Busverbindungen zu checken und Vater und ich sprachen weiter über den Kopftuchstreit oder Transparenz als Wirtschaftsfaktor oder Atomstrom, und Mutter mit Tablet in der Ecke, deswegen wusste ich auch gar nicht groß, was ich ihr jetzt mitbringen sollte in den Wald, mir schien, sie habe alles, was sie brauchte, sie hatte auch nichts weiter gesagt, als ich ihr mein Kommen ankündigte, und schließlich müsste ich auf dem Rückweg ja auch noch den Koffer mit dem Leinen durch den Wald schleppen, deswegen nahm ich nur den Turnbeutel mit, vanilleweiße Baumwolle mit Witz drauf, und angesichts des Waldes, der sich vor mir auftat, kam ich mir plötzlich so ungerüstet vor, spürte mein Ichsein in den Ohren pochen, hörte das Knacken kleiner Ästchen unter meinen Schuhen, sah Ästchen und Blättchen und Vogelkacke, vor allem auch ein Rinnsal Sand, das die Felsen ankündigte, noch zart und unterbrochen, die Richtung stimmte, das konnte ich wissen, im Wald ist die Sicht manchmal verstellt, ich erinnerte mich aber von früheren Besuchen im Waldhaus, wobei wir dann lieber woandershin in den Urlaub fuhren, ich erinnerte mich an diese Kreuzung mit der Buche, hier konnte ich sicher sein, und an den kleinen Wasserlauf links vom Weg, an die weite Biegung, die der Weg nahm, um einem Abgrund zu entgehen, aus dem es klamm aufstieg, aber hätten nicht bald die ersten Felsen zu sehen sein müssen?, ich setzte meine Füße hierhin und dahin, blieb stehen, um mir Überblick zu verschaffen, ging ohne Idee weiter, tat aber vor mir selbst so, als sei ich mir sicher, befand mich dann doch schnell im Aufstieg, aber war das jetzt der richtige Aufstieg?, mein Rücken war sofort nass, Sicht nicht gewonnen, an eine Karte hatte ich nicht gedacht, ich wusste überhaupt von keiner Karte, wir waren immer ohne Anleitung unterwegs gewesen, und jetzt kam mir deutlich zu Bewusstsein, dass ich noch kein Tier gesehen hatte, noch nicht einmal eine verirrte Hummel, konnte das sein?, aber wie hätte ich auch auf Tiere achten können, wo ich doch auf den Weg achtete und im Hinterkopf noch schleppend suchte, was ich Mutter vielleicht hätte mitbringen können, wenn ich daran gedacht hätte, jetzt war es müßig, noch daran zu denken, der Weg war hier deutlich sandig, der Felsgrat tauchte unversehens rechts über mir auf, ein schartiger Überhang, noch weit unter dem Kamm, wenn ich richtig lag, bzw. ging, mir wurde ein bisschen anders, wenn ich hochsah, die ersten Sonnenstrahlen trafen mich hier, gleich penetrant warm, ich wollte wissen, ob ich den Fels als richtig erkenne, als bekannt, und mal war ich mir sicher, dann beschlichen mich wieder Zweifel, der Boden hier ganz mit Sand bedeckt, vorspringende Felsnasen und Erker tauchten mich in feuchte Schatten, ich ging als sei ich sicher, denn nach Abwägen aller Optionen fiel mir nichts anderes ein, ich tappte im Möglichen herum, dann wenigstens vorwärts, jetzt mit Händen, über große, hühnereiförmige Buckel, einige mit eingeprägten Stufen, andere glatt unter der Sonne, zwischen turmhohen, sich verengenden Felsenschluchten, die so viel Halt für meine Füße boten, dass alles an ihnen Weg sein konnte, wenn ich nur klettern würde, wo ich eigentlich nur Mutter besuchen wollte, Mutter hinterm Felsen, ich rutschte ab und schlug mir das Knie auf, fand, wenn ich jetzt Pause machen würde, schaffte ich es nie, stieg mit dem pulsierenden, glasigen Knie weiter, die Sonne nicht abschüttelbar im Genick, fand eine Trittfolge, der ich nachkam, die Bäume hier nur noch Krüppelkiefern mit entblößten, um Erde wimmernden Wurzeln, dann ein neuer Wind wie von einem Gipfel, und vor mir ging es nicht mehr aufwärts, das war der Kamm, graue, abgeschmirgelte Felsbrocken in einer langen Folge von einer Seite zur anderen, vor mir ein sanfter Abstieg mit dichtem Wald, in dessen Schlund ich keinen Weg sah, oder möglicherweise doch, eine Lücke zwischen Tännlingen, ein Forstpfad oder auch nur ein Wildwechsel, auf den Wegen der Tiere ging ich unwissentlich, so weit war es mit mir gekommen, doch vielleicht war der Pfad nur gedacht, nur eingebildet und da gab es keinen Weg, auf dem ich vorwärtste, aber stehenbleiben hätte mich auch nicht weitergebracht, deswegen lief ich irgendwie diesen langen Abstieg hinab, endlos durch die tiefsten Kammern des Waldes, über knackende Zweige, in der Nähe wusste ich den Reiter ohne Kopf am Tauben Kreuz, die ab vom Weg eine alte Tat bezeugten, welche, hatte ich vergessen, mir reichten die Namen, durch die Äste konnte ich die Male nicht erspähen, weit weg konnten sie nicht sein, irgendwo hier hinter den Stämmen, hinter den vereinzelten Bombenkratern, die wie Akne den Boden kerbten, war der Reiter ohne Kopf anwesend, vor dem ich mich früher gefürchtet hatte, jetzt sorgte mich mehr die richtige Richtung, aber da hinten wurde es licht, konnte das sein, nicht doch eine Täuschung, auf die ich zulief, die mich von meiner Richtung abkommen ließ und da war ein Wanderweg, auf den ich mich einließ, mit zwei holprigen Spuren und einem bewachsenen Grasstreifen, und der mich, ich lief jetzt automatisch, der mich kurz und bündig auf die Lichtung führte, der Anblick gestattete Stück für Stück ein Wiedererkennen, da war es ja, das Waldhaus, Waldhaus klingt so romantisch, das war es gar nicht, mehr ein Bungalow oder Bunker oder Flachbau mit braunem Putz, an der Seite blühten Heckenrosen an einem morschen Spalier, daneben ein rostiger Öltank halb in der Erde versenkt, die Fenster von innen verstellt, meine Augen mussten erst rausfinden, was das war, keine Gardinen, Möbel waren das, die Rückwand eines Schrankes, die Bäuche aufgestapelter Bücher, bleich ans Fenster gepresst, darüber ein Kissen und ein Gerät mit Stromkabel, wie kam das alles hierher, über den Wanderweg vielleicht?, auch die Möbel, wie konnten hier so viele Dinge sein, fragte ich mich, und stach mich an dem Rosenstock, dessen Blütenblätter schon schlapp und bräunlich gefurcht waren, da tauchte über dem Kissen das Gesicht meiner Mutter auf, bleich hinter der schmutzigen Scheibe, ich gestikulierte, sie solle zur Tür kommen, sie zeigte in die andere Richtung, zeigte nochmal, mit ausgestrecktem Zeigefinger, bis ich verstand, ich solle hinters Haus kommen, zur Hintertür, ich trat durch ein Beet, lief um das Haus, und da war eine breite, geschotterte Zufahrt. Da – hätte ich auch mit dem Auto fahren können. Ich stand da und schwitzte und veratmete diese Neuigkeit. War der Weg neu, oder ließ meine Erinnerung mich im Stich?, vom Haus her rief mich Mutter, die Hintertür angelehnt, hineingehen ging aber nicht, denn der Flur war bis vor die Türöffnung vollgestellt mit einer braunen Polstergarnitur, fuck fuck fuck, zischte ich, was das solle, und trat gegen das Möbel, das ein Sofa sein konnte oder Sessel, aber irgendwie gestapelt, du musst klettern, rief Mutter, drüberklettern, komm schon, es geht schon, ich mach dir Tee, ich zog mich die Polster hoch, die Nase vor einem gelb-braungestreiften Frotteebezug, lieber Wasser, brüllte ich zurück, unter mir kippelte etwas, Tee ist so gesund, rief Mutter in der Tiefe des Hauses, ich sah mich vor einer mannshohen Rückwand, musste ich da jetzt auch drüber, wie würde ich auf der anderen Seite runterkommen, ich suchte einen Spalt, durch den ich mich zwängen könnte, schön, dich zu sehen!, brüllte Mutter, ich hab heute früh schon die Tür aufgemacht und auf dich gewartet, ich klemmte mich zwischen eine hölzerne Wand und eine Kunstlederfläche, ja, ich freu mich, mal wieder hier zu sein, rief ich, es war eng und Unruhe stieg in mir auf, drüberklettern wär auch möglich gewesen, schrie Mutter, mach ich immer so, konntste nicht wissen, aber du bist ja schlank, ich hing fest, bekam nicht genug Luft, stemmte mich zentimeterweise vorwärts, etwas riss und ich kam frei, vor mir nur noch hüfthohe Teile, Nachtschränke, Tischchen, Stapel alter SZetten mit dem Schriftzug von vor ‘89, Mutter nicht zu sehen, ich rief, Mum, wo bist du, in der Küche, brüllte sie, ich mach dir ‘n Tee, Wasser wär mir lieber, rief ich, stieg über einen Stuhlstapel zu ihr, und da stand sie inmitten von Zeug: in einem ausgewaschenen, blassblauen T-Shirt, einer Jeans von früher, die ihr viel zu weit war, barfuß, sie drehte sich zu mir um, ihr Haar war grau geworden und stand in kurzen, losen Garben um ihren Schädel, ihre Stirn zeichnete sich deutlicher, runder ab, als ich sie in Erinnerung hatte, ebenso die Nase, die ich wegen ihrer Eleganz bewundert hatte und die nun lang und knöcherig aussah, warum war sie so dünn geworden, der Wasserkocher stand auf der Ecke eines Schrankes, sie balancierte den Behälter mit dem siedenden Wasser über ihrem Kopf, Blasentee, ist echt gut für dich, wandte sie sich ab, ich sagte, ich habe eigentlich nichts, sie antwortete, ich trinke auch mit, über dem Herd hing das ausgeblichene Bild der Dona Isabel, das ich als Kind für ihr Porträt gehalten hatte, dieser liebe Blick ins Leere, da hatte ich an sie gedacht, danke für den Tee, is nett von dir, und wir hielten unsere Tassen, aber sag, hättet ihr mir nicht sagen können, dass ich mit dem Auto hätte kommen können?, traute ich mich, und sie gab zurück, ach?, ich bin viel zu spät dran, jetzt sollten schon die Kartoffeln auf dem Herd stehen, ich hab extra Kartöffchen für dich, Schatz, und ich hätte insgesamt viel eher hier raus kommen sollen, es ist so ruhig hier, und frei, schöne Freiheit, dachte ich, und meinte ihre Mauer, sagte aber nichts, sagte, ich komme wegen Großmutters Geschirrtüchern, jaja, sagte sie, ich weiß, ich mach Möhrchen dazu, zu den Kartoffeln, da freute ich mich, sie hatte immer so schönes Essen gekocht, früher, wir hatten es geliebt, aßen nur bei ihr, und sie hatte geseufzt: einmal etwas essen, das nicht ich gekocht habe!, es ist immer das gleiche, es dauert so lange, es zuzubereiten, und dann ist es so schnell weggegessen, und da wussten wir, dass kochen lange dauert, und das schmeckten wir auch, es war nämlich wunderbar, immer auf den Punkt und mit selbst gesammelten Kräutern gewürzt, wo andere nur das Wort Maggi kannten, ich hatte jahrelang auch das Schulessen boykottiert und mir von zu Hause was mitgeben lassen, sie hatte nur genickt, und hoffe auch, sie sieht meine Wertschätzung darin, die anderen Kinder haben nicht so ein Glück mit ihren Müttern, das war schon was Besonderes, und jetzt stand sie wieder da und kochte wundervollen Tee, nur dass ich diesmal keinen wollte, mir war immer noch heiß, und die Luft hier drin stickig, es war alles vollgestellt mit übereinander gestapelten Stühlen, Vasen, Laptops, einer Nähmaschine, Stiftehaltern, Mutter, sagte ich, warum hast du so viele Sachen, das ist alles meins, gab sie zur Antwort, so viel habe ich, und ich insistierte, wird dir das nicht zu viel, und sie so, nein, das ist doch schön, so reich zu sein, und dann: trink deinen Tee, er wird dir guttun, es ist Blasentee, ich hab gar nichts an der Blase, brauste ich auf, umso besser, gab sie zurück, er wirkt auch schleimlösend, achso, sagte ich, als ändere das jetzt alles, als wäre ich wegen problematischer Schleimlösung zu ihr gekommen, da kam ich wieder auf den Punkt: die Geschirrtücher, ich bin gekommen, um Großmutters Leinen zu holen, und sie lehnte sich an einen Stapel FF dabei und sah mir in die Augen, ich schwitzte von dem Tee, hätte mich auch gerne gesetzt, aber dafür war kein Platz, wo schlief sie eigentlich hier, ich will dich mit diesem alten Zeug verschonen, hörte ich sie sagen, aber dann muss ich nichts Neues kaufen, hielt ich dagegen, ich sah meine Felle davonschwimmen und wurde ärgerlich, wenn sie mir das Leinen nicht gab, hätte ich auch nicht herkommen müssen, das ist doch schönes altes Zeug, sowas kostet neu zehn Euro, mindestens, ich hab mal gegoogelt, na ich hab hier kein Netz, gab sie zurück, und bevor es bei dir rumliegt, ist es doch schön, wenn ich es benutze, Großmutter sagt das auch, na wenn Großmutter das sagt, sagte Mutter, und ihre Stimme klang kalt, obwohl sie heißen Tee trank, ich muss die erstmal suchen, du siehst ja, es kann hier überall sein, in einem Koffer sind die, und sie machte keine Anstalten, zu suchen, und ich dachte, wie soll ich diesen Scheißkoffer hier finden, ich hätte doch einfach neue Geschirrtücher kaufen sollen, auf dem Herd, direkt auf den Heizplatten eine riesige blaue IKEA-Tüte, darauf Bücher, auf denen Pizzaschachteln lagen, vor dem Herd drei, vier Nachttische, ein Service, eine Packung medizinische Mundschutze, über allem eine Staubschicht, hast du schon Hunger, fragte sie, und ich sagte, ja, doch, schon, und sie drehte mir ihren Rücken zu, dieser vertraute und liebe Anblick, Mutter kramte, bückte sich, kroch hinter ein Regal, sie war aus meinem Sichtfeld verschwunden, ächzte, rief, ich find sie nicht, was meinst du?, fragte ich nach, hä?, machte sie dumpf, die Kartoffeln und die Möhren, ich find sie nicht, und nach einer Weile: die hab ich hier irgendwo hingelegt, ach naja, sagte ich, dann lass halt, aber sie beharrte, ich will dir was anbieten, dann kam ein Teil ihres Rückens wieder zum Vorschein, sie wühlte in einem Büffet an der Seite, fischte zwei Gabeln heraus, tastete auf der Sitzfläche eines Sessels, auf der ein Haufen Klamotten lag, zog zwei Konservendosen hervor, warf mir eine zu, Hering in Tomatensoße, was anderes find ich nicht, die dürften noch ok sein, so schnell wird das nicht schlecht, ich gab mir Mühe, nicht auf das MHD-Datum zu schielen, setzte mich halb auf die Kante eines der Nachttischchen, Vorsicht, kippelt, warnte Mutter, ich stand wieder auf, öffnete die Konserve, hatte nicht mehr so viel Hunger wie gerade eben noch, meine schmeckt komisch, sagte sie, deine auch?, und aß weiter, meine roch komisch, Mum, bat ich, dann iss das doch nicht, ach was, würgte sie, geht schon, sie schlang noch einen Happen in ihren mageren Leib, nichts kommt weg, hustete sie, der Fisch hat schließlich was gekostet, dein werter Herr Vater hat sein Geld dafür gegeben, ich versuchte, die offene Konserve so auf einem Regal abzustellen, dass nichts fettig wurde, eigentlich hätte ich sie wegwerfen müssen, aber ich wusste nicht, wohin, hier war nicht zu unterscheiden, was wegkonnte, weggeworfen war oder aufgehoben, und Mutter stand in der Mitte dieser Menge und hustete und würgte, Mum, rief ich, jetzt lass das doch, das ist furchtbar, aber sie schüttelte den Kopf, man muss ja was essen, keuchte sie, da fiel mir nur ein, zu fordern, such lieber den Koffer mit den Geschirrtüchern!, und zu meiner Überraschung nickte sie, stellte die Konserve sofort ab, wischte sich den Mund ab, ja, der Koffer, der Koffer, wo hab ich ihn, murmelte sie, kletterte über die Möbel ins andere Zimmer, wo ich gedämpfte Geräusche hörte, ich wartete neben meinem Fisch, mir war schon ganz mies, ich hörte Mutter scheppern und scharren, dann rief sie: ich hab ihn!, warte, ich komm rüber!, sie wuchtete das alte, harte, braune Ding in die Küche, stieg behende hinterher, blieb auf der Lehne eines mit Zeitungen zugestapelten Sofas sitzen, hier, guck, das sind sie, und öffnete, und ich stieg zu ihr und sah mehrere Stapel Leinen in verschiedenen Ausführungen, mit lila Kornmuster, ein Stoß elfenbeinweißer Damast, daneben dunklere Grubentücher, dann graue mit roten und orangen Kästchen, alle penibel gemangelt, gelegt, sortiert, es waren viel mehr als erwartet, Mutter saß ganz nah neben mir, ich erkannte ihren Geruch wieder, der mir in Mark und Bein vertraut war, und ebenso vermisst, und die Wärme ihres Körpers, und wir schauten eine Weile in den offenen Koffer, um auszuruhen und nichts sagen zu müssen, ich überlegte auch, wo ich all diese Tücher zu Hause hinpacken sollte, mein Regalfach würde davon überquellen, und dann sagte sie doch etwas, picobello, das Wort klang genauso abgelegt und angestaubt wie alles, was sich in diesem Haus befand, und sie sagte auch: du musst beizeiten wieder los, es ist schon Nachmittag, ja, antwortete ich, ich muss wieder los, und stieg über das Sofa, war schön bei dir, Mutter, danke für alles, und legte ihr die Hand auf den Rücken, der magerer war als früher, umarmte sie ganz, bis sie sich losmachte, kletterte in den Flur, klemmte mich durch die Enge am Schrank, wieder dieser Augenblick der Panik, ob ich genug Luft bekäme, Mutter wuchtete von der anderen Seite den Koffer über den Schrankdeckel, ich kam gerade rechtzeitig, um ihn aufzufangen, die Tür stand immer noch weit offen. Ich freute mich vage darauf, auf dem Rückweg die Straße hinterm Haus zu nehmen, aber dann fiel mir ein, dass das Auto gar nicht hier stand und ich nicht sicher war, wo ich rauskommen würde, also schlug ich wieder den Weg übers Gebirge ein.

 

Mit herzlichem Dank an Constanze Derham.

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