Die heute eröffnete Ausstellung TechnoCare im Wiener Kunstraum setzt sich bis 15. Mai 2019 mit Care-Arbeit und Möglichkeiten ihrer Neudefinition in einer digitalen Gesellschaft auseinander. Im Mittelpunkt steht dabei der ihr genuine Beziehungscharakter. Beziehung wird in den künstlerischen Positionen allerdings breit gefasst und findet nicht nur zwischen Mensch und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Tier bzw. Mensch und Technik statt. Der Besuch der Ausstellung fordert herkömmliche Denkschemata rund um (feministisch verstandene) Care-Arbeit heraus und entpuppt sich gleichzeitig als ein futuristisches Am-Boden-Bleiben.
von Cornelia
Die Vereinsamung ist zur Realität vieler vor allem alter Menschen geworden. Der Personalmangel und die Finanzierungsproblematik im Bereich der Pflege verschärfen diesen Missstand. Nichtsdestotrotz (und auch deswegen) sind Care-Arbeit und Sich-Kümmern Tätigkeiten, die unterbezahlt sind und gesamtgesellschaftlich wenig geschätzt, ja, abgewertet werden. Ausgehend vom Spannungsverhältnis zwischen der gesellschaftlichen Relevanz von Fürsorge und ihrer gleichzeitigen Geringschätzung hat der Kunstraum Niederoesterreich in Wien künstlerische Positionen zusammengebracht, die sich mit technologischen Vermittlungsversuchen von Care-Arbeit befassen.
Dreh- und Angelpunkt der von Katharina Brandl und Friederike Zenker kuratierten Schau ist der Beziehungscharakter allen fürsorglichen Handelns – nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Technik bzw. Mensch und Tier. Die Ausstellung zeigt u. a. “lovebots” und virtuelle Haustier-Vermenschlichungen. Sie wird damit dem Anspruch durchaus gerecht, nicht nur Praktiken aktuell gelebter Fürsorge in den Blick zu nehmen, sondern sich auch mit ihrem möglichen Neuverständnis in einer digitalisierten Gegenwart auseinanderzusetzen.
Die Werke der dreizehn Künstler_innen bzw. Kollektive beschäftigten sich mit Fragen danach, inwiefern ästhetische Erfahrungen einen fürsorglichen Blick kultivieren können und ob Fürsorge mittels digitalen Technologien auch über räumliche, zeitliche oder gar emotionale Distanz hinweg gelingen kann. Der Care-Begriff wird dabei im Sinne einer feministischen Ethik als Modus des fürsorglichen Denkens, Fühlens und Wahrnehmens, der über den Bereich des Privaten hinausgeht, verstanden.

© Alexa Karolinski und Ingo Niermann | Army of Love
Spannend ist etwa die Videoarbeit “Army of Love” von Ingo Niermann und Alexa Karolinski, die ursprünglich für die Berlin Biennale 2016 gemacht wurde, und Soldat_innen einer Armee der Liebe vorstellt. Diese kämpfen gegen die Vereinsamung und Isolation von Menschen und für die radikale Umverteilung von sinnlicher Liebe. Die Künstler_innen denken so die Verteilungsgerechtigkeit von Ressourcen weiter und subsumieren darunter auch die Grundprämissen von Nächstenliebe und Fürsorge.

© Elisa Giardina Papa | Technologies of Care
Die Position von Elisa Giardina Papa, “Technologies of Care”, zeigt hingegen die Auslagerung von affektiver Arbeit in die virtuelle Welt. Sie berührt damit ganz wesentliche Aspekte der existierenden globalen Betreuungskette (care chain), wie sie Arlie Hochschild beschrieben hat. Dieser soziologische Begriff soll sichtbar machen, dass Migrant_innen, die im Ausland die Betreuung von Kindern und alten Menschen übernehmen, zuhause wiederum selbst eine Versorgungslücke hinterlassen (müssen). Solche Betreuungsketten bilden sich bislang entlang von Armutsgrenzen, von Süden nach Norden und von Osten nach Westen. In ihrer Videoinstallation visualisiert Elisa Giardina Papa das Schaffen von sieben Online-Pflegekräften, die über Drittanbieter mit Kund_innen auf der ganzen Welt verbunden sind. Das Angebot der selbst prekär Beschäftigten: maßgeschneiderte Erlebnisse, Gesellschaft und emotionale Unterstützung.

© Addie Wagenknecht | Optimization of Parenthood
Addie Wagenknecht nimmt sich wiederum der Frage danach an, ob der direkte Kontakt zwischen Individuen durch Technik auch bei der Betreuung von Babys ersetzt werden kann. Mit “Optimization of Parenthood” unterstreicht sie den repetitiven Charakter vieler Aspekte der Kinderbetreuung und spielt gleichzeitig mit unseren Reaktionen auf die Automatisierung von Care-Arbeit. Wie geht es uns damit, wenn wir den Roboterarm betrachten, der eine Kinderkrippe bewegt? Wenn eine mit Liebe und Fürsorge besetzte so einprägsame elterliche Geste durch einen programmierten Code ersetzt wird? Fühle ich Entsetzen oder Erleichterung? Die denkbare Gefühlsbandbreite ist eine große – und lässt uns eigene Erwartungs- und Anspruchhaltungen an Care-Arbeit reflektieren.

© Axelle Stiefel und Camille Aleña | Der rote Faden
Axelle Stiefel setzt sich in ihrer Position “Der rote Faden” mit einem häuslichen Alltagsgegenstand auseinander: Sie untersucht die Bedeutung des Geschirrtuchs und dessen Gebrauchsspuren. Das Stück Stoff soll einen Mittler zwischen privatem und öffentlichem Raum symbolisieren – es begleitet den Akt des Kochens und verbindet mit Gemeinschaften jenseits des Häuslichen -, heißt es im begleitenden Text dazu. Das ausgestellte Geschirrtuch ist mit kunstvollen Flickarbeiten versehen. Wem das zu abstrakt ist, der kann beim Performance-Workshop der Künstlerin Camille Aleña am 10. Mai (14-18 Uhr) gemeinsam mit Stiefel erfahren, inwiefern Reparatur als fürsorgende, aber heute vielfach obsolet gewordenen Technik an Objekten Teil einer oral-textile History ist. Am selben Tag findet vor Ort übrigens um 19.30 Uhr eine Podiumsdiskussion mit Angelika Fitz, Elke Krasny, Marlies Pöschl, Friederike Zenker und Katharina Brandl zum Thema der Ausstellung statt.
Der Eintritt in den Kunstraum Niederösterreich (Herrengasse 13, 1010 Wien) ist frei. Kuratorinnenführungen werden heute Abend, 5. April, um 17.30 Uhr, am Freitag, 19. April, ebenfalls um 17.30 Uhr sowie am Samstag, 11. Mai, um 11 bzw. 12.30 Uhr angeboten.
—
Beitragsbild: Alexa Karolinski/Ingo Niermann – Army of Love