Mutterschaft als letztes Tabu der Kunst. Saralisa Volm im Interview.

gesellschaftkultur

Mutterschaft wurde in der Kunst lange recht eindimensional gedacht: Rabenmutter oder Heilige. Punkt. Auch wenn Klischeedarstellungen auf der einen Seite langsam aufbrechen, wie etwa die Rabenmütter-Ausstellung im Lentos (Linz, Oberösterreich) vor drei Jahren deutlich gemacht hat, so ist die Mutter als Künstlerin, als Schaffende nach wie vor ein Tabu, sagt Saralisa Volm. Die deutsche Künstlerin, Autorin (Mamabeat) Schauspielerin (Dancing with Devils, Mordkommission Istanbul) und Filmproduzentin (Fikkefuchs) will gemeinsam mit Britta Adler (Helbig) das Feld aufmischen und mit einer Ausstellungsreihe, nicht nur progressive Zugänge in der Kunst sichtbar machen, sondern gleichzeitig auch den gesellschaftlichen Diskurs anstoßen. Nach der Premiere im vergangenen Jahr mit der Schau bitch MATERial findet die Reihe aktuell eine Fortsetzung. bOObs. Wir zeigen Brust! ist noch bis zum 8. März 2019 in der Karl Oskar Gallery in Berlin zu sehen. Wir haben mit Volm über das Spannungsfeld Kunst, Feminismus und Mutterschaft gesprochen.

von Cornelia

Dein Unternehmen “Poison” ist keine klassische Produktionsfirma, sondern versteht sich als Schnittstelle zwischen Film und bildender Kunst. Dazu gehört auch ein Onlineshop mit feministischer Schwerpunktsetzung. Ist das eine wirtschaftliche Entscheidung für eine Nische, deren Potenzial zuletzt zunehmend entdeckt wird, oder eine eher aktivistisch getriebene Entscheidung?

Dass wir Projekte haben, die Geschlechterfragen stellen oder bestimmte Rollenbilder hinterfragen, ergibt sich mit Sicherheit auch aus meinem persönlichen Interesse oder Bedürfnis heraus. Aber auch aus den Leuten, mit denen wir arbeiten. Einfach weil wir für uns merken und wissen, diversifizierte Teams funktionieren besser, sind spannender, weltoffender, zukunftsweisender und für uns einfach interessanter und für die Gesamtwelt sinnvoller. Gleichzeitig ist Unternehmertum immer Aktivismus, genauso wie das Private immer politisch ist. Wenn ich sage, ich bin kein Aktivist und ich bin ein total konservativer Wirtschaftsliberaler, bin ich in dem Moment auch Aktivist, aber eben für konservativen Wirtschaftsliberalismus.

Feminismus steckt auch in deiner kuratorischen Tätigkeit. Wie ist die Idee entstanden, eine ganze Ausstellungsreihe über Mutterschaft zu konzipieren?

Ich bin selber Mutter von vier Kindern und darf trotzdem arbeiten, das ist ja nicht ganz typisch und ich habe festgestellt, das gibt es wahnsinnig selten in dem Beruf, den ich mache, und sowieso im künstlerischen Bereich. Und dann habe ich eine Kuratorin getroffen, Britta Adler, und die hat angeregt, dass wir eine Ausstellung zusammen machen. So entstand die Idee für bitch MATERial, was unsere erste gemeinsame Schau einer ganzen Ausstellungsreihe war. Letzte Woche haben wir den nächsten Teilaspekt in Berlin eröffnet, bOObs. Wir zeigen Brust. Da gehts tatsächlich um Brüste. Wir gehen der Frage nach, warum es nur zwei, vielleicht drei Mutteridentitäten gibt – da ist die Rabenmutter, die sich nicht mehr so wie früher um Kinder kümmert, und es gibt die gute Mutter, nun ja, und dann diskutieren wir vielleicht noch ein bisschen übers Stillen, aber alle andere Aspekte des Frauseins gehen verloren. Dass eine Frau vielleicht vier Stunden am Tag eine gute Mutter sein kann und gerne Kuchen backt, aber auch sechs Stunden arbeiten geht und vielleicht auch noch Sex mit einem Geliebten hat, ist erstmal nicht denkbar. Oder dass vielleicht auch ein Transgendermann eine gute Mutter sein kann. Oder dass man vielleicht ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen.

René Shoemakers - Mirror, Mirror on The Wall (Mater Dolorosa), 2017

René Shoemakers – Mirror, Mirror on The Wall (Mater Dolorosa), 2017

Wie seid ihr das für die Ausstellungsreihe konkret angegangen?

Es gibt in der Realität ganz viele Mutteridentitäten, die gelebt werden, die uns aber selten gezeigt werden – und vor allem auch nicht in der Kunstgeschichte. Nach diesen haben Britta und ich uns auf die Suche gemacht. Wir haben zweieinhalb Jahre lang recherchiert, Künstler gesucht und mit Künstlern gesprochen. Wir haben mit Müttern gesprochen, die Künstlerinnen sind, oder mit Künstlerinnen, die Mütter sind. Dabei haben wir festgestellt, es gibt tatsächlich Hemmungen rund um diese beiden Identitäten. Es gibt zum Beispiel Künstlerinnen, die Angst haben, ihrem Galeristen zu sagen, dass sie ein zweites Kind bekommen. Mutterschaft ist das letzte Tabu in der Kunst. Das ist total spannend zu sehen, wo wir doch immer denken, in der Kunst ist alles möglich und alles schon einmal gedacht. Die Mutter ist bislang sehr einseitig gedacht. Genau da wollten und wollen wir rein. Wir möchten weniger zeigen, wie die Mutter in der Kunst wahrgenommen wird, sondern wir wollen dieses Thema über die Kunst erörtern. Und zwar extrem contemporary. Das heißt, wir nehmen die Künstler und Künstlerinnen im Jetzt.

Birgit Dieker - Matrone, 2018

Birgit Dieker – Matrone, 2018

Du bist nicht nur Unternehmerin und Künstlerin, sondern eben auch Mutter. Was macht feministisch Elternsein für dich ganz individuell aus?

Wir selber haben ein sehr starkes 50:50-Modell, weil wir beide vollberufstätig sind. Das funktioniert natürlich nur, weil wir viel Unterstützung durch Familie, Babysitter usw. haben. Und trotzdem halte ich persönlich es für falsch, das zu empfehlen. Ein feministisches Leitbild würde ausmachen, dass man sich frei nach seinen Bedürfnissen entscheiden kann und zwar jeder Teil innerhalb einer Beziehung. Ich bin nicht der Meinung, dass beide zwingend alles machen müssen. Es ist durchaus auch möglich, dass der Mann sagt, ich hab’ keinen Bock, ich bleib jetzt mal für fünf Jahre zuhause mit den Kindern und du machst Karriere. Und es ist genauso gut möglich, dass die Frau sagt, ich habe eigentlich Bock auf einen Teilzeitjob und ansonsten kümmere ich mich nachmittags um das eine Kind, aber eigentlich auch nur drei Stunden, weil dann möchte ich zur Maniküre gehen und du zahlst dafür. Auch das muss möglich sein. Ich bin ein großer Verfechter von Freiheit und die muss möglich und gewährleistet sein. Und dafür müssen wir klassische Rollenbilder aufbrechen und überkommen, damit alles denkbar ist. Und ich glaube, das ist auch das Wichtigste für mich im Privaten. Ich würde ungern Leuten vorschlagen wollen, eure Frauen oder eure Männer sollen jetzt aber bitte endlich genauso viel arbeiten wie ihr, oder genauso viel Geschirr spülen. Man braucht individuelle Lösungen, aber individuelle Lösungen können nur gefunden werden, wenn alle Optionen denkbar sind. Solange es nicht denkbar ist, dass Männer genauso viel Elternzeit nehmen wie Frauen, solange es nicht denkbar ist, dass Frauen in Führungspositionen genauso viel verdienen wie Männer, solange es nicht denkbar ist, dass Frauen im DAX-Vorstand sitzen, solange wird sich das nicht ändern.

Und die Kunst kann dieses Denkbar-Machen leisten?

Kunst ist ein Medium und für mich eigentlich immer, bei allem, was wir machen, eine Möglichkeit zur Kommunikation. Wenn wir einen Film machen, dann weil wir gerne über etwas reden wollen. Weil wir eine Geschichte haben und die wollen wir erzählen und wir wollen, dass darüber gesprochen und nachgedacht wird. Dass etwas passiert. Und dass Menschen berührt sind. Das geht im Film 1:1, weil du da keine große theoretische Debatte hast in einem Leitartikel einer Tageszeitung, wo verhandelt wird, wie das ist. Sondern weil man einfach was sieht und was fühlt und zum Beispiel sieht, wow, da ist ein Mensch und der schaut aus wie ein Mann, aber er ist schwanger. Und irgendwie irritiert mich das, aber ich sehe, dass dieser Mensch glücklich ist und ich brauche nicht viel Erklärung oder Einordnung oder Debatte darüber, ob das jetzt moralisch richtig oder falsch wäre, sondern ich habe erst einmal eine Emotion. Das ist eines der Dinge, die Kunst so besonders macht. Ich kann über eine Emotion arbeiten.

War in deiner eigenen Künstlerinnenbiografie die Geburt des ersten Kindes ein Bruch? Wie hast du das damals erlebt?

Ich hatte wahnsinnige Angst vor dem ersten Kind, dass ich nie wieder drehen würde und mit Sicherheit auch relativ berechtigt. Aber ich habe mein erstes Kind mit 24 bekommen habe, d.h. ich war da noch sehr jung, noch im Studium und am Anfang meines Berufslebens. Da war noch gar nicht so viel da, was brechen konnte, das war eh alles noch unsicher. Ich hätte wahrscheinlich eine erfolgreichere Karriere gemacht, wenn ich in den letzten zehn Jahren nicht acht Jahre entweder schwanger oder stillend gewesen wäre, keine Frage. Aber das sind Lebensentscheidungen, die man trifft. Und ja, eine, die ich auch sehr gerne getroffen habe und immer wieder so treffen würde, weil ich gerne Kinder haben wollte. Das funktioniert alles, aber natürlich zu einem gewissen Preis. Weil das ja durchaus aufwändig und auch belastend ist und bestimmt nicht immer optimal für alle Menschen, die mit mir in einer Familie leben, und nicht optimal für alle Menschen, die mit mir arbeiten. Aber das ist halt mein Leben.

Beitragsbild (c) Svenja Trierscheid

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