Interview. Cora

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  1. Wie würdest du deine familiäre Situation beschreiben?

Einerseits eine „ganz gewöhnliche” Familie, Papa, Mama, Sohn, Tochter. Andererseits, etwas ungewöhnlicher, gehe ich seit Ende der Elternzeit arbeiten, während mein Mann den Haushalt macht und wo er kann, durch selbständige Arbeit etwas dazu verdient.

Wir sind, ich sage mal, gut betucht geboren, haben aber mit unserer handwerklichen Ausbildung wenig Karriere-Ehrgeiz und mit einem vielleicht etwas zu starken Hang alles „richtig“ zu machen eher unterdurchschnittliche Mittel.

  1. Wie läuft ein typischer Werktag bei euch ab?

Ich werde wach von klapperndem Geschirr, mein Wecker klingelt, unser Sohn kommt uns wecken, er kuschelt kurz und geht spielen. Mein Mann steht auf, weckt unsere Tochter, macht mir Kaffee und holt noch die Dinge nach, die unser Sohn vergessen hatte. Derweil ziehe ich mich an, prüfe ob die Kinder ordentlich angezogen sind – mein Mann hat keinen Sinn für Farb- und Musterkombinationen und unsere Kinder wollen nur Lieblingsstücke tragen, ungeachtet ihrer witterungsbedingten Eignung und ihres Verschmutzungsgrades 🙂

Ich frühstücke und mache die Frühstücksbox für den Großen zurecht. Mein Mann und ich versuchen unsere Tochter anzutreiben, ihre zeitlupenartigen Bewegungen sind mit Worten aber nicht zu beschleunigen. Kurz bevor wir los müssen, fällt unserem Sohn ein, dass er noch etwas in die Schule mitbringen muss, unsere Tochter starrt Löcher in die Luft, hat erst einmal von Ihrem Brot abgebissen und motzt, dass wir ihr hätten sagen müssen, dass sie ja auch noch auf die Toilette muss… Panik bricht aus, alle versuchen zu packen, was sie brauchen und ziehen sich an, nur unsere Tochter sitzt am Boden und spielt mit herumliegenden Hausschuhen, statt die Schuhe an die Füße zu ziehen. Wir rennen zum Auto, mein Mann ruft uns zurück, mein Sohn hat seinen Schulranzen stehen lassen, ich meine Handtasche. Von antreibenden Flüchen begleitet stolpern wir ins Auto und rasen los. Ich bin wütend, weil ich den Kaffee, den mein Mann mir für die Fahrt gemacht hatte, vergessen habe, die Kinder streiten um die Plätze im Auto, entweder wessen Ranzen schuld ist, dass man den Gurt nicht findet oder auf welcher Sitzerhöhung der andere unrechtmäßig Platz genommen hat. Ich ärgere mich über Stress und Zeitdruck, obwohl wir eigentlich alle Zeit der Welt hätten haben müssen. Die Kinder führen Krieg über die Herrschaft im Auto – wer darf bestimmen, worüber geredet wird; darf der andere einstimmen, wenn man gerade ganz alleine ein Lied trällern möchte – weltbewegende Fragen der Macht eben. Mein Mann hat inzwischen unser Frühstücks- und Pack-Chaos beseitigt, die Betten gemacht und gelüftet. Jetzt erkundigt er sich, ob wir den Bus bekommen haben und schickt Knutscher an die Kinder, die er wegen der wilden Antreiberei nicht ordnungsgemäß verabschieden konnte. Wir erreichen den Bus und verabschieden uns.

Stille. Stau. Einzelbüro.

Der Chef nervt mit sinnlosen Aufgaben, ich hätte zuhause mehr zu tun. Ich fange an, mir Gedanken zu machen, was ich noch alles tun muss. Erst muss ich mit meiner Arbeit fertig werden. Ich mache Listen: Einkaufslisten, To-Do-Listen, Anruflisten. Immer mal bekomme ich Nachrichten von meinem Mann, wo er etwas von meinem rumliegenden Zeug hin aufräumen soll, ob er die Kinder zu Terminen fahren muss, welche Wäsche er waschen soll … Ich dagegen frage ihn nach Telefonnummern, die ich vergessen habe mitzunehmen, nach Zeichnungen und Listen, die ich zuhause habe liegen lassen und die ich für Termine und Planungen brauche. Zum Schluss dann die Frage: Wann kommst du heim? – Keine Ahnung!

Stille Arbeit.

Mein Mann holt jetzt die Kinder, sie fahren heim und machen Hausaufgaben.

Dann die verzweifelten Nachrichten, dass die Kinder durchdrehen, unsere Tochter wollte zu ihrer Freundin, durfte nicht und motzt jetzt, unser Sohn sitzt seit 2 1/2 Stunden an den Hausaufgaben und meint er sei zu doof, um sie jemals fertig zu bekommen. Ich beeile mich nach Hause zu kommen, um wenigstens noch ein bisschen helfen zu können und lande im Feierabendverkehr. Endloses nervenaufreibendes Rumstehen auf der Straße. Bis ich endlich daheim bin, ist mein Puls auf 220, und ich bin zu spät, um noch irgendetwas zu helfen. Wir treiben die Kinder gemeinsam an, dass sie wenigstens pünktlich ins Bett kommen und wir noch Zeit haben, etwas vorzulesen. Ich lese noch ein extra Kapitel, weil sie so lieb sind und so kuschelig… Jetzt sollten sie seit 30 Minuten schlafen. Drei Minuten später schnarcht unser Sohn. Wann unsere Tochter einschläft, weiß ich nicht, nach 1,5 Stunden antworte ich ihr einfach nicht mehr, wenn sie aus ihrem Bett ruft, dass sie nicht schlafen kann, weil Ihre Nase juckt oder ein Schatten auf der dunklen Wand liegt.

Mein Mann sitzt am Rechner, er hat Feierabend. Vorerst. Ich lese Dinge nach, suche Geschenke für Geburtstagseinladungen der Kinder, flicke Kleider, lege Wäsche zusammen (bei aller Liebe – ich habe es meinem Mann schon tausendmal gezeigt, aber er schafft es einfach nicht die Kleider so zusammen zu legen, dass sie einigermaßen knitterfrei und in passender Größe gestapelt werden können. Also muss ich es selbst tun). Dann gehe ich schlafen. Mein Mann inhaliert noch mit unserer Tochter, hebt unseren Sohn noch zweimal in sein Bett zurück, aus dem er im Schlaf gefallen ist und geht dann auch schlafen.

  1. Teilst du die Familienarbeit mit anderen Großen?

Ja. Organisation, meist auch Einkaufen, Freizeitspaß und Wäsche zusammenlegen (wenn möglich auch aufhängen) sind mein Teil. Mein Mann macht alles andere: Essen kochen, aufräumen, putzen, Hausaufgaben, Reparaturen, etc. Das Kinder- Chauffieren teilen wir. Morgens fahre ich, mittags mein Mann, wenn es am Abend noch nötig ist, fahre meist wieder ich.

  1. Ist das eine gute Aufteilung für dich?

Im Prinzip ja. Ich bin nur kein Meister der schnellen Entscheidung, bin aber doch für den Großteil der Organisation verantwortlich. Das kostet mich viel Kraft und vor allem Zeit. Manchmal wünschte ich, mein Mann würde mir da mehr abnehmen, aber dann ist es halt auch nicht so, wie ich es gerne hätte und das passt mir natürlich auch nicht. Das Leben ist ein Hund!

  1. Was ist schön am Kinderhaben?

Das Gefühl der unerschütterlichen Liebe.

Die kurzen Momente zwischen dem Pflichtprogramm, die Momente, in denen ich es schaffe, nicht an das zu denken, was ich tun sollte, sondern wir einfach machen, was wir wollen. Ihnen zuzuschauen, mit welcher Freude sie tun, was sie tun. Zu erleben, wie sie sich verändern. Wie sie wachsen und sie selbst werden. Den Stolz erreichter Ziele in ihren Augen zu sehen. Das Gefühl, Geborgenheit zu teilen.

  1. Was ist schwierig am Kinderhaben?

Mit den Kindern kommen die Fragen … Sollte ich strenger sein? Sollte ich sie mehr in Schutz nehmen? Kümmere ich mich ausreichend? Sollte ich Ihnen mehr ermöglichen? Sollten sie sich mehr selbst erarbeiten?

Aber noch viel schlimmer: die Zweifel … Hätte ich früher anfangen sollen, ihnen etwas beizubringen? Hätte ich das damals besser anders gemacht? Habe ich in der Schwangerschaft etwas getan, das die Gesundheit meiner Kinder beeinflusst hat? Hätte ich die Kinder besser später bekommen? Hätte ich vielleicht besser keine Kinder bekommen? Wäre ich ohne die Kinder auch dort, wo ich jetzt bin, oder hätte ich alles anders gemacht?

Und am schlimmsten: die Sorgen… Was wird aus meinen Kindern werden? Was ist, wenn ich morgen ernsthaft krank werde? Was ist, wenn meinen Kindern etwas zustößt?

  1. Woraus ziehst du Kraft?

Aus den kleinen Momenten, in denen mir mal völlig egal ist, was ich eigentlich sollte. Wenn ich morgens aufstehen sollte, aber einfach noch zehn Minuten mit meinem Mann oder mit meinen Kindern kuschle. Wenn ich die Wohnung aufräumen sollte, aber mit den Kindern auf der Couch liege und ihnen vorlese. Wenn ich eigentlich die Versicherungsverträge durchschauen sollte, aber lieber einen Spaziergang mit den Kindern mache. Wenn ich mit meinem Mann, obwohl wir ein Monatsgehalt im Minus sind, 200 Kilometer weit zu einem Konzert fahre. Wenn ich an einem Tag schon 150 Kilometer gefahren bin und trotzdem noch einen Umweg für 30 Minuten zu einer Freundin fahre.

Es sind Kleinigkeiten, die zu tun mich oft Überwindung kosten, die aber letztlich unbezahlbar kostbar sind.

Manchmal habe ich auch das Glück, durch ein kleines Kompliment den Sinn meines Tuns bestätigt zu bekommen. Es gibt einige wenige kleine, aber so wertvolle Sätze von Familie, Freunden, aber auch Fremden, die ich schon seit Jahren im Herzen trage. Aber auch die Erinnerung an von mir verursachter Freude im Gesicht anderer gibt mir Kraft.

  1. Was wünschst du dir von der Politik für Familien?

Ich finde unsere Politik macht alles schrecklich kompliziert. Es gibt Unmengen an Regeln, Ausnahmen, Vorteilen und Möglichkeiten für Familien, aber niemand durchblickt diesen Dschungel. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für meine Familie. Stattdessen versuche ich mich im Krankenversicherungsgewirr zurecht zu finden, muss nächtelang nachlesen, was ich für Möglichkeiten habe, meinen Kindern trotz zu geringem Verdienst Instrumental- oder Sportunterricht möglich zu machen und ihnen ein Zuhause aufzubauen. Aber was mir die meisten Nerven raubt, sind die fehlenden Möglichkeiten, Familie und Beruf zu vereinen. Die Mehrzahl der Arbeitgeber kann schlecht auf spontane Bedürfnisse von Kindern eingehen und Selbständigkeit wird durch die daraus entstehenden Steuer- und Versicherungsfragen ein unwirtschaftlicher Kraftakt.

Was mich wirklich stört, ist, dass die Wirtschaft großen Vorteil aus dem veränderten Familienbild zieht. Die 50-Wochenstunden-Hausfrauenstelle muss jetzt neben den beiden Nine-to-five-Jobs erledigt werden. Das zehrt an den Kräften der Eltern und sorgt dafür, dass die Kinder immer weniger Ruhe und Geborgenheit in der Familie finden. Die Arbeitswelt ist einfach viel zu weit hinter dem Bedürfnis der Gesellschaft, sich sowohl die Arbeit als auch die Familie zu teilen.

Daraus ergeben sich für Familien nur zwei Möglichkeiten.

  1. Die Kinder an normalen Werktagen weg zu organisieren, um sich die Zeit in den Ferien und am Wochenende freikaufen zu können. Das bedarf allerdings eines oder zweier Jobs mit ausreichendem Stundenlohn.
  1. Fremdmittel in Anspruch nehmen.

Wir ergeben uns in das beschämende Gefühl, nicht fähig zu sein, unsere Familie ausreichend ernähren zu können und lassen uns von unseren Familien unterstützen. Andere die nicht das Glück haben, in der Familie Unterstützung zu finden, müssen auf staatliche Unterstützung hoffen, die meist aber nur soweit reicht, den Lebensunterhalt so weit zu decken, dass man die Kinder zwar groß bekommt, aber sie währenddessen nicht oft sieht.

  1. Ist dir der Feminismus eine Stütze?

Ich habe mir nie groß Gedanken um Feminismus gemacht. Ich bin in eine Zeit geboren, in der ich als Mädchen/Frau dieselben Rechte habe wie männliche Gleichaltrige. Meine Familie hat zwar dem typischen Bild des arbeitenden Mannes und der fürsorglichen Hausfrau entsprochen, aber meine Eltern haben das nie als den einzig richtigen Weg gepriesen. Sie wollten immer, dass sowohl ihre Jungs als auch ihre Mädchen eine gute Ausbildung machen und selbständig werden. In meinem Leben habe ich selten einen Nachteil darin gesehen, eine Frau zu sein.

Heute scheint mir Feminismus oft nur Wortklauberei zu sein. Ich finde es nicht wichtig, ob in einem Brief „Kollegen“ oder „Kolleginnen und Kollegen“ steht. Das ist nur ein Haufen mehr Buchstaben, ohne einen größeren Wert für mich. Ich fühle mich nicht weniger wertvoll, weil ich Kollege genannt werde statt Kollegin.

  1. Wohin ging euer letzter Ausflug?

Einfach ein Ausflug oder ein Familienausflug? Wir vier haben seit einer halben Ewigkeit nichts gemeinsam unternommen. Ich erinnere mich an einen einstündigen Spaziergang im Spätsommer, und letztes Frühjahr an einen Schwimmbadbesuch.

Ausflüge sind bei uns meist eine Gelegenheit für mich, meine Familie oder meine Freundinnen zu treffen, oder Dinge erledigen zu können, ohne dass mein Mann auch am Wochenende die Kinder hüten muss. Mein Mann freut sich über Zeit für sich und ich freue mich, dass er (wahrscheinlich weil er ein schlechtes Gewissen hat, sich vor vermeintlichen familiären Pflichten zu drücken) unsere Wohnung aufräumt oder uns ein leckeres Abendessen vorbereitet.

 

 

 

Bild: Cora

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