Kolumne und Rezension von Maren Hpunkt
Unerfüllter Kinderwunsch, Ängste und Komplikationen in der Schwangerschaft oder der Verlust eines Kindes sind und bleiben ein Tabu, nicht nur in der bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft. Trauen wir uns, dieses Tabu zu brechen! Gedanken zum kürzlich erschienenen Buch „Nicht nur Mütter waren schwanger“.
Ich stelle mich jetzt einfach mal hin und sage, dass ich eine nervige Schwangere bin. So!
Mal kurz den Mittelfinger all denen zeigen, die meinen, mit der erhobenen Coolness-Augenbraue über Schwangere*1 urteilen zu dürfen.
„Ist sie eine coole Schwangere oder eine von den nervigen?“ Echt jetzt?
Der Jahreswechsel ist ja noch nicht so lange her, da wünsch ich mir einfach noch etwas fürs neue Jahr.
Ich wünsche mir, dass nie nie mehr ein Mensch und besonders kein Typ eine Person abfällig als „nervige Schwangere“ bezeichnet.
Warum? Because you don’t fucking know!
Es ist so banal aber wahr: Man sieht einem Menschen sein Schicksal von außen meist nicht an. Das bedeutet aber nicht, dass nicht viele von uns heftige Themen mit sich herumtragen oder durchmachen mussten. Schwangerschaft kann sehr verletzlich machen. Und ich verweigere mich der Rechtfertigungspflicht. Ich fordere prophylaktisches Nettsein!
Dank happy hetero Babyindustrie und der Tabuisierung von problematischen Schwangerschaftsverläufen sind unendlich viele Schicksale unsichtbar (gemacht). Und nicht nur dort.
Ich bin zutiefst dankbar für das wunderbare Buch „Nicht nur Mütter waren Schwanger“ von Alisa Tretau (Hg.) und allen darin schreibenden Autor*innen. Sie wagen das Unsagbare, sie brechen mit dem Bild, dass man „links“ nur cool und lässig nebenbei schwanger sein darf. Danke!
Für viele mag das Buch harte Kost sein. Einer schwangeren Freundin habe ich für die meisten Texte eine Triggerwarnung ausgesprochen, bis sie ihr Kind geboren hat. Ich dachte, dass mich nichts mehr umhauen kann nach meiner/unserer Geschichte mit einem still geborenen Kind. Und dann kam der Text „Queering Lässigkeit – Bisexuelle Transformation eines Kinderwunsches“ von Lena, der mich unheimlich wütend gemacht hat. Und dann dankbar dafür gemacht hat, dass es mal ausgesprochen und thematisiert wird.
„Werde ich so eine nervige, übervorsichtige Schwangere, die nur noch darüber sprechen kann, was sie jetzt essen darf und was nicht? Die nicht mehr Fahrrad fährt aus Angst vor einem Unfall und nie auch nur eine halbe Stunde in einer Raucherkneipe sitzt?“
schreibt die Autorin auf Seite 45.
Ständig beurteilende und bewertende Gedanken über Schwangere
Hui, hat mich das wütend gemacht! Aber es ist so relevant, weil ich genau diese Gedanken in vielen Gesichtern lese, wenn ich gesagt habe, das ich XY nicht mache, weil ich schwanger bin. Die Autorin reflektiert die ständigen beurteilenden und bewertenden Gedanken über Schwangere mit dem eigenen Wunsch, selbst „lässig“ schwanger zu sein. Da steckt so verdammt viel Wahrheit drin. Und das ist so zum Kotzen.
Keiner sieht von außen, mit welchen Ängsten und Dämonen eine Schwangere kämpfen muss. Von meiner ersten Schwangerschaft und meinem ersten Sohn ist nicht mal ein Schwangerschaftsstreifen zurückgeblieben. Bei jedem mitleidig arroganten Blick auf mein „Nee danke, ich geh nicht auf das Konzert, weil da viel geraucht wird“ möchte ich der Person einen Kurzabriss meiner letzten Jahre geben. Denn Angst um das Kind im eigenen Bauch zu haben ist ein fundamental krasses Gefühl. In ein Krankenhaus zu gehen, um dort sein totes Kind zu gebären ein sehr einschneidendes Erlebnis. Sich wieder stark genug zu fühlen, um noch einmal schwanger zu werden eine ziemliche Herausforderung.
Nur um gefragt zu werden, ob ich denn „eine dieser nervigen Schwangeren“ bin.
Ernsthaft?
Wer keine Ahnung hat, möge einfach mal die Klappe halten.
So viele Geschichten rund um Schwangerschaften bleiben unsichtbar
Es ist wunderschön, wenn Schwangere sich gut und abenteuerlustig fühlen in der Schwangerschaft. Yeah für Reisen, Nächte in Clubs oder vollem Einsatz fürs Lieblingsprojekt. Aber YOU JUST DONT FUCKING KNOW! Durch meine Erlebnisse habe ich so so so viele Geschichten gehört, von unerfülltem Kinderwunsch, von viel Leid durch Verluste von Schwangerschaften und dem Tod von Kindern vor der Geburt. Aber es bleibt so oft unsichtbar, auch weil es nicht dem Bild der coolen, hedonistischen, „unspießigen“ Schwangeren entspricht. Oder wie es Sharon Shmarron auf Seite 116 wunderbar schreibt:
„The ‚baby thing‘ was an ongoing, quiet question… underneath my clothes… Some who knew me best saw me with my clothes off. Ravaged.”
Es ist absurd, wie viel positive Resonanz es gibt für Aktivitäten, die mit „lässiger Schwangerschaft“ assoziiert werden. Dabei möchte ich jede Schwangere herzen und drücken, die auf sich und ihre Bedürfnisse schaut und sich der szenigen Lässigkeit verweigert, wenn es sich besser anfühlt. Denn, news flash, das führt zu einer absurden Coolness-Performance, die alle einsam macht. Oder wie es eine Freundin so wunderbar ausdrückte: „Ich würd immer eher einen Queer-Porn offenlassen auf dem Laptop statt einer Baby-Website“.
Ich weiß ganz genau was sie meint und es ist so verdammt traurig. Denn solange es in gewissen Kreisen völlig okay ist, über „nervige Schwangere“ oder „anstrengende Mütter“ herzuziehen, bleiben all die alleine, die Support und Verständnis bräuchten. Ich finde es perfide und nicht gerade anti-sexistisch und aufklärerisch, wenn es völlig szene-okay ist, abschätzig und arrogant auf Schwangere und Mütter herabzuschauen.
Mascha Falkenberg schreibt in ihrem sehr lesenswerten Text dazu auf Seite 52:
„Es irritiert mich, wie Sexismus in der Linken salonfähig wird, wenn er sich gegen Frauen* mit Kindern richtet.“
Der Druck der Peergroup
Wie bescheuert, wenn ich den gesamtgesellschaftlichen Druck nach Kleinfamilie im Eigenheim eintausche gegen den Druck der linken Peergroup, bitte wenn es denn unbedingt sein muss, dann aber auch schwanger zu sein ohne „zu nerven“. So wird es nämlich verdammt einsam.
„Nicht nur Mütter waren schwanger“ ist ein tolles Buch gegen diese Einsamkeit. Es macht unsichtbare Schicksale sichtbar und ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Offenheit und Solidarität jenseits von Geschlechtergrenzen und Szene-Rollen.
Das Buch schließt mit einem „Nicht nur Mütter Manifesto“ auf Seite 163.
Ein schöner Wunsch unter vielen: „Wir brauchen einen Umgang mit Gefühlen, die unter die Haut gehen, und Solidarität in Situationen, in denen wir verletzlich sind.“
Es ist so unglaublich ermutigend zu lesen und ich kann nur sagen: Lest es auch und fühlt euch weniger allein!
In diesem Sinne: Hallo 2019, seien wir nett und solidarisch miteinander, ob mit Kindern, ohne Kinder oder Kindern, die wir jeden Tag in unserem Herzen tragen.
1 Alle Menschen, Männer* und Frauen*, die schwanger sind.
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Beitragsbild: (c) edition assemblage (Buchcover)
zum Weiterlesen von Maren Hpunkt:
“Kinderkotze, Politik und Liebe”: Lieber den Eisbecher als den Arbeitsdruck