Ist Handarbeiten nur etwas, das gelangweilte Mittelstandsmenschen machen, um sich die Zeit zu vertreiben und ihre Kinder mit liebreizenden Kleidern zu versorgen? Mitnichten. Wir haben mit Mimi aka @liebwebb und Janine Heschl gesprochen: Gedanken und Bilder zur Handarbeit als Kunst, politisches Ausdrucksmittel, als Chance zur Communitybuilding und zur Schaffung sicherer Orte.
von Catherine
@liebwebb – Stricken macht Gemeinschaft
Als @liebwebb teilt die Berlinerin Mimi ihre Strickprojekte und Garnliebe mit der Welt. Seit einigen Monaten ist sie zudem Gastgeberin eines Stricktreffs in ihrem Kiez. Ihr Wunsch ist es, einen Handarbeitstreff zu veranstalten, der für alle Menschen zugänglich ist – möglichst unabhängig von Herkunft, ökonomischer Situation und Handarbeitskenntnissen. Hier erzählt sie, wie sie das angeht.
Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Stricktreff ins Leben zu rufen?
Ich stricke immer und überall, ich besuche selbst Stricktreffen und erinnerte mich, wie nervös ich selbst war, beim ersten Besuch, obwohl ich doch eigentlich schon strickte. Irgendwie wusste ich, dass die Atmosphäre der meisten gut besuchten Strickkreisen schwer davon abhängig ist, wie klar es ist, dass alle Level willkommen sind, und wir ja immer von und miteinander lernen. Selbst die alten Hasen profitieren davon, wenn sie merken, wie sie eine bestimmte Strickweise erklären oder weitergeben können. Ein solcher Strickkreis, offen für Kinder, Tiere und Neuanfänger in meinem direkten Umfeld hatte mir irgendwie noch gefehlt. Dann haben auch noch Nachbarinnen gesagt sie hätten Lust dazu … das Anticafé ist ein guter Ort dafür. Direkt im Kiez, offen für neue Gruppen, gemeinschaftlich und solidarisch.
Wie genau sieht dein Stricktreff aus? Seid ihr an einem Ort, an dem konsumiert werden muss? Wie viele kommen? Wer kommt? Sind auch Kinder da?
Wir treffen uns 14-tägig, abwechseln vormittags und abends. Es kommen zwischen vier und 20 Menschen (abends ist besser besucht), Kinder sind vormittags dabei, manchmal auch abends … Hunde sind herzlich willkommen. Das Bekech, der Ort an dem wir uns treffen, hat einen Preisregelung: Du zahlst 5 Cent die Minute, also 3 € die Stunde, und kannst dafür essen und trinken was und wieviel Du magst. D.h. aus der nachbarschaftlichen Flüchtlingsunterkunft kommen manchmal Familien für 15 min und essen Mittag.
Dafür fördern wir mit unserem längeren Besuch solidarisch mit, dass dies vollends okay ist.
Was war dir wichtig, als du die Idee entwickelt hast, mit anderen Leuten zum Handarbeiten zusammenzukommen?
Dass wir unser Wissen großzügig miteinander teilen, dass wir Raum für Gespräche haben, dass wir gemeinsam dieses Treffen gestalten.
Bringt er dir und den anderen Spass?
Sehr viel und oft. Manchmal wundere ich mich über all das, was hier an Verbindung wächst und gedeiht. Manchmal ist mir das mit der Soziale-Medien-Werbetrommel zuviel. Bis jetzt haben manchmal auch andere die Treffen angepriesen oder auch mal deswegen geschrieben, aber ich denke manchmal liegt das etwas viel bei mir als Aufgabe. Es wäre nett, wenn das Café zum Beispiel auch über seine Soziale-Medien-Kanäle neue nachbarschaftliche StrickerInnen motivieren könnte.
Was hat dich am meisten überrascht in der Genese deines Treffens?
Dass es Bedarf gibt, persönliche Verbindungen im direkten Umfeld aufzubauen. Ich merke das gerade durch das Treffen meiner NachbarInnen, also jenen, die ich schon kannte, aber auch zufällig jene, die aus Häusern direkt links und rechts von unserem plötzlich zu meinen FreundInnen, zu meinen StrickerInnen werden. Das ist toll!
Auch finde ich es toll, dass viele junge Menschen kommen (Studentinnen, die sich Zeit nehmen, etwas Neues auszuprobieren), um das stricken zu erlernen, eine Gruppe für sich zu entdecken. Und auch, dass meine Kinder Spaß haben, dabei zu sein. Dass wir also alle ganz selbstverständlich und ehrlich neue FreundInnenschaften knüpfen.
Wo liegt das politische Potential von Handarbeit deiner Meinung nach?
Wir bauen einen Zusammenhalt, wir kommen aus aller Welt, sprechen deutsch, englisch, spanisch, arabisch und französisch, mixen selbstverständlichste Sprachen. Das Gestalten mit den Händen ist auch eine Sprache.
Meine Nachbarin erzählt mir von ihrem Engagement zur Begleitung zu Terminen bei der Ausländerbehörde,
Wir erzählen uns, was im Kiez alles politisch da ist, wie in direkter Nachbarschaft ein Asyl-Advice-Büro … hier könnten sich auch weitere und neue Brücken bilden. Wir bereiten es vor, vielleicht eine Craftivism-Action zu gestalten, haben aber dazu auch verschiedenen Meinungen: alle werden angehört. Wir durchleben Meinungsfindungsprozesse und sind dabei fair zueinander. Wir, eine enge Gruppe starker Menschen, empfehlen uns Bücher, Filme, Artikel, reden über dies und das (und es muss auch nicht immer politisch sein),
aber alles mit Ruhe und dem Wissen, dass unsere Gemeinschaft langsam wächst.
Ich will gerne nach und nach mehr Verantwortung abgeben, und Aufgaben teilen … aber auch das braucht seine Zeit.
Janine Heschl – Kunst und Aktivismus mit der Nähmaschine

Alle Rechte: Janine Heschl
Die Österreicherin Janine Heschl stickt mit ihrer Nähmaschine Tierportäts auf Stoff. Damit macht sie unter anderem auf das Artensterben aufmerksam. Bei dem australisch-US-amerikanischen Projekt des Universal Declaration of Human Rights Quilt hat sie außerdem ein Patch gestaltet.
Du schreibst auf deiner Webseite, dass du vom herkömmlichen Nähen zu deiner Kunst gekommen bist, weil du vom Geradeausnähen gelangweilt warst. Gibt es in deinem Handarbeiten eine klare Grenze, ab wann du Kunst oder aktivistische Kunst machst, und wo dein Handarbeiten “nur” Handarbeit, also Herstellung von Kleidung ist. Oder ist alles Handarbeiten politisch?
Nachdem sich meine textile Kunst auf eine gewisse Weise von ganz alleine in eine aktivistische Kunst gewandelt hat, kann ich von keiner klaren Grenze sprechen. Der Wunsch, meinem Tun noch mehr Sinn zu verleihen, ist mit meiner Kunst gewachsen und ich kann es mir heute kaum mehr wegdenken. Einen Beitrag leisten zu können mit den mir gegebenen Talenten ist für mich ein großer Segen, den ich auch weiterhin verfolgen möchte. Natürlich gehe ich auch Projekten nach wie zum Beispiel Auftragsarbeiten – ohne jeglichen politischen Hintergrund, aber verfolge auch da mein Ziel, alles zu geben und meine Gaben zu nützen.
Wie wichtig ist es, dass deine Arbeit in einem politischen Kontext gesehen wird?
Eigentlich gar nicht, denn was mir wichtig ist, ist das Gefühl, welches der/die Betrachter/in meiner Werke bekommt, wenn er/sie vor einem meiner Portraits steht. Ob das die Sorge um den Artenschutz ist, Trauer um
das eigene verlorene Haustier, Erinnerungen an einen Urlaub. Es macht etwas mit dem Gegenüber, und das ist mir schon genug. Natürlich nutze ich meine Portraits und die begleitenden Worte, um für Bewusstsein zu sorgen, wie es um unsere Fauna steht und was alles auf uns zu kommt, wenn wir so weitermachen – aber was dann tatsächlich “ankommt” kann ich und will ich nicht beeinflussen.

Alle Rechte: Janine Heschl
Ist dir deine explizit aktivistische Arbeit wichtiger, als dein “herkömmliches” Nähen oder sticken?
Nein, mir ist das Portrait von einem Lieblingstier zum Beispiel nicht unwichtiger als das von einem vom Aussterben bedrohten Orang-Utans. Ich mache keinen Unterschied, ob ich für eine Ausstellung arbeite oder
einen Herzenswunsch eines Kunden erfüllen darf. Mein Herzstück ist die Liebe zu meiner Arbeit – wenn ich damit auch noch etwas zum Artenschutz beitragen kann, ist das ein Bonus.
Wie erlebst du die Crafting- und die Craftivism-Szene? Gibt es eine deutschsprachige Craftivism-Szene?
Ich verfolge die Craftivism Szene auf Instagram, und ich bin begeistert, was gerade in der Textilkunst alles möglich ist. Es ist ein neuer Trend, den ich sehr gerne wachsen sehe, da es auch viele Leute dazu inspiriert, selber zu Nadel und Faden zu greifen. Es ist ein cooler Weg, seine Gefühle auszudrücken – und diese vielleicht auch noch als Badge z.B. auf der Jacke sichtbar zu tragen. Ob es eine deutsche Szene gibt, weiß ich gar nicht, da sich für mich auf Instagram alles vermischt und die Herkunft wenig Rolle spielt.
Mir scheint, du bist alles: Künstlerin, Handwerkerin und Aktivistin. Hast du dich politisch engagiert, bevor du deine Handarbeit mit deinem Aktionismus verbinden konntest?
In erster Linie bin ich Künstlerin. Da steckt meine Leidenschaft drinnen und meine ganze Kraft. Mein aktivistischer Weg hat sich dadurch ergeben und war davor kein Bestandteil meines Lebens.
Tierschutz allerdings schon und durch die Geburt meiner beiden Kinder noch mehr, da ich mich in der Vorbildfunktion wiederfand – aber es war nie ein bewusster Schritt, den ich gegangen bin. Ich habe einfach
gemerkt, dass ich viel Gutes damit erreichen kann. Ein Beispiel: Ich durfte vorige Woche Dr. Jane Goodall mein Portrait von einer ihr ans herzgewachsenen Schimpansendame auf der Bühne nach ihrer Lesung
überreichen. Gemeinsam haben wir es versteigert und viel Geld für das Jane Goodall Institute Austria – ihrem Lebenswerk – generiert. Das ist für mich Aktionismus und so möchte ich ihn auch weiterhin handhaben.
Durch gezielte Aktionen und keine Predigten.
Rechte Beitragsbild: Kate Just. Foto: Simon Strong
Ist es irgendwie möglich, diesem blog zu folgen?
danke
LG, Hille
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