Interview. Julia

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  1. Wie würdest du deine familiäre Situation beschreiben?

Ich bin Teil einer vierköpfigen Familie, bestehend aus meinem Freund, mir und unseren Kindern: K1 ist fünf Jahre alt und K2 ist zwei Jahre alt. Ich habe einen Bruder, der mit seiner Familie in München lebt. Meine Eltern leben in meinem Heimatdorf im Süden Deutschlands. Die Eltern meines Freundes leben leider nicht mehr.

 

  1. Wie läuft ein typischer Werktag bei dir/euch ab?

Mein Freund und ich stehen meist gegen halb sechs auf, machen uns fertig, genießen die Stille und einen Kaffee und reden darüber, was die Woche über so ansteht. Er räumt den Geschirrspüler aus und ich bereite das Frühstück vor. Gegen halb sieben verlässt er das Haus und ich wecke die Kinder, so dass sie in Ruhe aufstehen und frühstücken können. Gegen acht werden sie vom Fahrdienst abgeholt und in die Kita gebracht (wir können den Fahrdienst aufgrund von K1s Behinderungen nutzen, für K2 bezahlen wir dafür). Ich räume danach zumindest das Gröbste auf und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Gegen 15 Uhr komme ich von der Arbeit zurück und bevor die Kinder um 16 Uhr zurückkommen, versuche ich, noch ein bisschen Haushalts- und Arbeitskram auf die Reihe zu bekommen – oft sinke ich aber auch einfach auf die Couch. Wenn die Kinder hier sind, müssen sie immer zuerst mal was essen, danach spielen sie, manchmal gucken wir Bücher an oder gehen raus. Gegen 18.30 Uhr gibt es Abendbrot, danach machen wir die Kinder bettfertig, bringen sie zu Bett und hoffen, dass sie bald einschlafen. Manchmal klappt das um 21 Uhr, meist erst gegen 22 Uhr oder später.

 

  1. Teilst du die Familienarbeit mit anderen Großen?

Ja, meine Mutter kommt oft zu Besuch und hilft uns bei den pflegerischen Aufgaben. Sie mag es sehr, etwas mit den Kindern zu unternehmen, geht mit K2 auf den Spielplatz oder mit K1 S-Bahn-Fahren. Für K2 haben wir eine Babysitterin und einmal die Woche unternimmt eine Einzelfallhelferin etwas mit K1. Durch die Pflegebedürftigkeit von K1 können wir eigentlich eine Betreuungsperson über die Pflegekasse finanzieren, allerdings hatten wir in letzter Zeit Pech und alle uns ans Herz gewachsenen Menschen, die K1 betreut haben, können das nicht mehr tun (durch Schwangerschaft, Umzug, Berufseinstieg, …). Die Suche nach einer neuen geeigneten Person war bisher nicht erfolgreich, leider.

 

  1. Ist das eine gute Aufteilung für dich?

Grundsätzlich finde ich, dass mein Freund und ich uns die Arbeiten im Haushalt und in der Pflege gut aufteilen. Für mich ist es sehr hilfreich zu wissen, dass Dinge verhandelbar sind und dass wir beide redebereit sind und ein offenes Ohr haben. Aber: Was uns definitiv fehlt, ist eine Betreuungsperson für K1. Da ich mitunter auch am Wochenende arbeite und es eigentlich unmöglich ist, mit beiden Kindern zusammen auf den Spielplatz zu gehen, sind wir auf eine weitere Person angewiesen. Dass sich die Suche als so schwierig erweist, hätte ich nicht gedacht. Das ist definitiv ein Punkt, an dem sich bald etwas ändern muss!

 

  1. Was ist schön am Kinderhaben?

Alles! Okay, vielleicht nicht ALLES… Im Ernst: Ich hätte mir Kinderhaben nicht so toll vorgestellt. Vielleicht wäre ich aber auch genervter, wenn ich zwei nicht-behinderte Kinder hätte. K1 ist eine Wundertüte, wir wussten vor der Geburt nicht, was uns erwartet und ich fühle mich einfach sehr oft beschenkt durch das So-Sein meiner Kinder.

Abgesehen davon: Ich finde, einem Kind einen Namen zu geben ist eins der schönsten Dinge, die man im Leben machen kann. Luxus.

Ich mag die Nähe zu meinen Kindern, ihr Vertrauen, ihre Anhänglichkeit, das Kuschelige und ihre Eigenständigkeit. Dass sie – von Anfang an – eigene kleine Persönlichkeiten sind. Ich mag es zu sehen, wie sie sich verändern und manches doch gleich bleibt. Ich mag es, wenn mein Freund Quatsch macht und wir zusammen lachen. Kitschig, ich weiß.

 

  1. Was ist schwierig am Kinderhaben?

Schwierig für mich ist: Schlafmangel. Manchmal nervt mich das Windelwechseln. Manchmal wünsche ich mir die Spontaneität kinderloser Zeiten zurück. Ich würde gerne Radfahren, mit K1 geht das aber nicht. Ich würde gerne reisen, das geht mit K1 zwar in der Theorie, in der Praxis ist es aber sehr aufwändig und anstrengend. Aufwändig, weil wir tausend Hilfsmittel wie z. B. Stehtrainer mitnehmen müssen. Anstrengend, weil K1 nicht gut mit Veränderungen umgehen kann und weil längere Auto- oder Bahnfahrten nicht möglich sind.

Schwierig am Umgang mit K1 ist für mich, dass so Vieles ungewiss ist und bleiben wird. Im Moment frage ich mich immer wieder, ob sich eine Hüft-OP umgehen lässt und was wir dafür tun müssen. Außerdem unklar: Ob Epilepsie uns weiterhin erspart bleibt. Auf welchem geistigen Stand K1 im Alter von 18 Jahren sein wird. Wer für K1 einmal Entscheidungen treffen wird, wenn mein Freund und ich nicht mehr leben.

 

  1. Woraus ziehst du Kraft und Energie?

Schlaf.

 

  1. Was wünscht du dir von der Politik für Familien?

Dass wirklich für jedes Kind eine gute Tagesbetreuung möglich ist. Dass Alleinerziehende endlich angemessen unterstützt werden. Überhaupt mehr niedrigschwellige Betreuungsangebote. Dass Teilhabe am kulturellen Leben für sozial schwache Familien leichter möglich wird: Bibliotheksausweis, Eintritt ins Schwimmbad, Kindertheater, Vereine, Musikunterricht, öffentlicher Nahverkehr – das sollte alles niedrigschwellig zugänglich und möglichst kostenlos sein.

Langfristige Teilzeitarbeit für alle Elternteile!

Und: Ich wünsche mir, dass Inklusion auch für mein Kind (mit geistiger Behinderung, geringem Sehvermögen und cerebraler Bewegungsstörung) möglich ist. Ich wünsche mir Lerngruppen von 3-5 Schüler*innen und zwei Lehr/Betreuungspersonen, ich wünsche mir, dass Schüler*innen mit und ohne geistige Beeinträchtigungen in eine Schule gehen können und bei gut ausgebildetem Personal gemeinsam Unterricht haben.

 

  1. Ist dir der Feminismus eine Heimat?

Ja!

 

  1. Magst du einen Film/ein Lied/ein Buch/ein Gedicht/einen Satz teilen, der/das dein Leben besser gemacht hat?

Ein Buch oder ein Lied kann ich nicht nennen. Was mein Leben besser gemacht hat, war: zu lernen, dass Gefühle grundsätzlich gut sind und ernst genommen werden wollen. Für mich ist es hilfreich, mich zu fragen „Welches Gefühl ist gerade präsent? Welches Bedürfnis steckt dahinter?“ und mein Verhalten daran zu orientieren.

Was ich außerdem gelernt habe: Es ist sehr sinnvoll, wohlwollend mit sich selbst umzugehen.

 

  1. Wohin ging der letzte Familienausflug?

Ausflug im engeren Sinn: in den Tierpark. Wochenendausflug: an die Ostsee. Hach!

 


Bild: Julia

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