Als letzten Beitrag meiner Auswahl für unsere goldene Ausgabe habe ich mich für das Interview von Antonia mit Sarah Zeller, Geschäftsführerin von Juno, einem Verein von und für Getrennt- und Alleinerziehende in Wien, entschieden. Ursprünglich für unsere Sommerausgabe „daheim/nicht daheim“ erzählte Sarah uns von den Beratungs- und Vernetzungsangeboten sowie den Wohnprojekten des Vereins und wie gutes Wohnen für Ein-Eltern-Familien aussehen könnte und sollte. (Anna Lisa)
von Antonia
Ihr arbeitet an Wohnprojekten für Getrennt- und Alleinerziehende. Mit welchen besonderen Herausforderungen sehen sich Getrennt- und Alleinerziehende konfrontiert, wenn es um das Thema Wohnen geht?
Sarah Zeller: Wohnen ist für sehr viele Ein-Eltern Familien ein schwieriges Thema. Dabei geht es vor allem um den finanziellen und den sozialen Aspekt. Gerade in Wien, wo unsere Wohnprojekte sind, spitzt sich die Wohnsituation generell immer mehr zu. Fast die Hälfte der Ein-Eltern Familien sind armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Besonders für sie wird Wohnen immer prekärer. Von einem einzigen Einkommen die Miete für zwei, drei, vier oder sogar fünf Personen zahlen zu müssen, das ist sehr schwer. Selbst wenn angemessen Unterhalt bezahlt wird, was nur bei etwa der Hälfte der Alleinerziehenden in Österreich der Fall ist, ist das nicht mal annähernd ein Ersatz für ein zweites Familieneinkommen. Die soziale Herausforderung besteht darin, alleine mit einem oder mehreren Kindern zu leben, alles allein organisieren zu müssen und keine Unterstützung im Alltagsleben zu haben. In einer Großstadt ist es sehr selten, dass man das Kind mal bei den Nachbarn vorbei bringen kann oder jemand aus dem Haus zur Notapotheke geht, wenn der Hut brennt. Auf Dauer kann es auch sehr belastend sein, abends, wenn die Kinder im Bett sind, allein zu sein und niemanden zum reden zu haben. Als Ein-Eltern Familie lebt man isolierter und der Alltag ist eine größere Herausforderung. Ich selbst habe beide Varianten erlebt und weiß, wieviel schwieriger und anstrengender der Alltag ist, wenn man alleine mit dem Kind lebt.
Unsere Wohnprojekte begegnen diesen beiden Herausforderungen mit gemeinschaftlichem, begleitetem Wohnen sowie mit günstigen Mieten.
Welche Erfahrungen habt ihr bisher mit euren Wohnprojekten gemacht? Wo steht ihr derzeit? Wo erlebt ihr Widerstände und wo Unterstützung?
Sarah Zeller: Unsere Wohnprojekte sind auf sehr große Resonanz gestoßen. Es gibt in ganz Österreich noch keine vergleichbaren Projekte, deswegen haben wir in den letzten Jahren sehr viel ausprobiert und gelernt. Unser erstes Projekt besteht aus Wohngemeinschaften, das zweite und dritte sind kompakt geschnittene Einzelwohnungen, die alle im gleichen Bauteil liegen und in Gemeinschaftsflächen eingebettet sind. Der Bedarf nach günstigen Wohnungen ist sehr groß und wir kriegen ständig Anfragen von Getrennt- und Alleinerziehenden, die dringend auf Wohnungssuche sind. Unsere bisherigen Wohnprojekte sind Planungsprojekte in Kooperation mit Wohnbaugenossenschaften. Das bringt gewisse Rahmenbedingungen mit sich, die nicht von allen Ein-Eltern Familien, die wir betreuen und begleiten, erfüllt werden können. Vor allem der Finanzierungsanteil für die Genossenschaft und die lange Vorlaufzeit (das nächste Projekt ist erst Ende 2018 bezugsfertig) sind für viele ein Hindernis.
Deswegen suchen wir derzeit nach anderen Wegen, um auch denen, die nicht in eine Genossenschaftswohnung einziehen können, helfen zu können. Ein großer Schritt in diese Richtung ist unser Projekt „Wege zur Wohnung für Alleinerziehende“, das gerade gestartet hat. In diesem Rahmen bieten wir Ein-Eltern Familien eine Plattform, um sich zu Wohngemeinschaften zusammen zu finden. Außerdem sind wir derzeit dringend auf der Suche nach WohnungsvermieterInnen mit sozialem Anspruch, die ihre Wohnungen (zu normalen Preisen) explizit an Alleinerziehende vermieten wollen, die unter der Konkurrenz auf dem privaten Wohnungsmarkt meistens untergehen. Unser Ziel ist es, ein Netzwerk an VermieterInnen aufzubauen und so Ein-Eltern Familien zu helfen, auf dem privaten Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden.
Für JUNO ist die größte Herausforderung, die Projekte zu finanzieren, denn ein Planungsprozess von drei Jahren und Unmengen von Anfragen und Informationsgesprächen ist eine Menge Arbeit.
Wie finanzieren sich solche Wohnprojekte? Gibt es Unterstützung von der öffentlichen Hand oder müssen die notwendigen finanziellen Mitteln (ausschließlich) von den zukünftigen BewohnerInnen aufgebracht werden?
Sarah Zeller: An unserem ersten Projekt haben wir drei Jahre lang unbezahlt gearbeitet und die BewohnerInnen zahlen gemäß den Konditionen der Genossenschaft. Für die anderen beiden Projekte müssen wir uns ein Modell überlegen, wie wir sie ausfinanzieren können, ohne dass die zukünftigen BewohnerInnen dafür nennenswert aufkommen müssen. Was auf jeden Fall so bleiben wird ist die Tatsache, dass die BewohnerInnen die regulären Mieten der Genossenschaften zahlen, die jedoch wie gesagt sehr günstig sind bei unseren Projekten, auch dank der kompakten Grundrisse, die wir mitentwickelt haben. Für unsere Wohnprojekte gibt es derzeit keinerlei Unterstützung der öffentlichen Hand, auch wenn es deren Aufgabe wäre, dafür zu sorgen, dass es ausreichend bezahlbaren Wohnraum gibt. Wir werden uns verstärkt auf die Suche nach PartnerInnen bei der Stadt Wien machen. Für das Projekt „Wege zur Wohnung für Alleinerziehende“ haben wir eine kleine Projektförderung bekommen.
Das von Juno mitgestaltete Wohnprojekt „wohn.syn.21“ befindet sich aktuell in der Planungsphase. Menschen, die sich dafür interessieren, können sich von Anfang an einbringen und nicht nur die eigene Wohnung, sondern auch die Gemeinschaftsflächen mitgestalten. Wie sieht so ein Prozess in der Praxis aus?
Sarah Zeller: Wohn.syn.21 ist ein partizipatives Wohnprojekt. Dessen Grundidee ist, dass schon während der Planungsphase eine aktive Gemeinschaft von zukünftigen NachbarInnen aufgebaut wird, die sich gemeinsam ihr Umfeld, in dem sie leben wird, gestaltet. Den Grundriss der eigenen Wohnung mitzugestalten geht bei so einem Prozess nur ganz am Anfang. Diejenigen, die erst später dazu kommen, können noch über die Gestaltung der Gemeinschafträume, Teile der Außenflächen und eventuelle gemeinschaftliche Strukturen in dem Wohnprojekt mitbestimmen. Dazu gibt es regelmäßige Treffen und Workshops, bei denen alle InteressentInnen und zukünftigen BewohnerInnen sich kennenlernen und gemeinsam Entscheidungen treffen können. Die Ein-Eltern Familien sind dabei ein ganz normaler Teil der Hausgemeinschaft, der gemeinsam mit allen anderen plant und entscheidet, von uns jedoch noch extra begleitet werden, etwa wenn es um Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung geht oder andere Probleme während des Prozesses auftreten.
Bei jedem Projekt sind Rahmenbedingungen und Prozess ein wenig anders und dementsprechend auch die Rolle von JUNO. Was wir in allen unserer Projekte machen ist die Öffentlichkeitsarbeit in den Ein-Eltern Netzwerken, Informationsarbeit, Mitarbeit bei der Gemeinschaftsbildung und der Begleitung nach Besiedelung, damit das Gemeinschaftsleben aktiv bleibt. Darüber hinaus versuchen wir, die zukünftigen alleinerziehenden BewohnerInnen überall zu unterstützen, wo der Schuh drückt, und das kann an den unterschiedlichsten Stellen sein.
Wenn ihr euch für die Wohnprojekte von Juno detaillierter interessiert, oder euch für eins der Projekte voranmelden wollt, findet ihr hier alle Informationen.
Sarah Zeller ist selbst getrennt- bzw. alleinerziehende Mutter von einem 6-jährigen Sohn. Mittlerweile lebt sie wieder mit einem Partner zusammen, sie kennt also sämtliche Varianten des Lebens als Zwei-Eltern Familie, Ein-Eltern- Familie und Patchwork-Familie aus eigener Erfahrung. Wenn sie nicht gerade für JUNO arbeitet, unterstützt sie GründerInnen bei mentalen Herausforderungen während der Gründungsphase (www.sarahzeller.at).
Beitragsbild (c) army.arch via flickr; CC BY 2.0 Zuschnitt und Rahmen umstandslos;
Erschienen in: daheim/nicht daheim und golden.
Super Idee! Spricht mir gerade sowas von aus der Seele – mit dem Ausblick auf solche gemeinschaftliche Formen des Zusammenlebens wäre das Lösen aus (beklemmenden) Familien- und Partnerstrukturen vielleicht nicht mit ganz so vielen Ängsten verbunden. Gibt es solche Projekte speziell für alleinerziehende Eltern auch in Deutschland?
Hallo Vanessa, wir haben nicht konkret zu Projekten in Deutschland recherchiert. Bei “Mama arbeitet“ gab es neulich einen Beitrag zu diesem Thema, vielleicht ist der interessant für dich.
https://mama-arbeitet.de/familie/alleinerziehenden-wg