Gewalt

In ihrem bedrückenden Text erzählt Minusch von Gewalterfahrungen in ihrer Beziehung und den Konsequenzen daraus. In unserer Gold-Edition steht er stellvertretend für die Beiträge der weiter.machen-Ausgabe. Er zeigt das, was unsere Gesellschaft oftmals nicht sieht (weil sie nicht hinschaut). Minusch’ Text ist ursprünglich am 8. März 2017 erschienen. (Cornelia)

von Minusch
Aus dem Schlaf gerissen
Du wirst aus dem Schlaf gerissen mit den Worten „Du kommst jetzt mit“. Du brauchst einen Moment um zu verstehen, hörst die Worte wieder und stehst dann wackelig auf. Die Stimme klingt aufgeregt. Ist was mit den Kindern? Du folgst dem Zug an Deinem Arm. Die Sonne geht gerade auf. Die Küchenuhr zeigt 5:20 Uhr. Du wirst in den Raum gegenüber gezogen. Dort steht sein Laptop offen mit einem Tweet von Dir auf dem Bildschirm. Er zeigt darauf, mit Spülhandschuhen an den Händen. Du liest Deinen Tweet: „Das ist Freiheit“. Er steht plötzlich zwischen Dir und dem Laptop und schlägt zu. Dein Kopf fliegt mit einem unfassbaren Ruck nach links. Du machst stolpernde Schritte und reisst die Augen auf. Er ist 30cm größer als Du und auf seinen Oberarmen treten die Venen hervor als er Dich an Deinem Oberteil packt und festhält. „Na? Das ist Freiheit? Soll ich Dir mal zeigen, was meine Freiheit ist?“ Der nächste Schlag schleudert den Kopf nach rechts. Du spürst seine Knöchel auf Deinem Brustbein. Du spürst keinen Schmerz. „Keine Sorge, ich schlage nur so, dass niemand davon Spuren sieht“ und er lächelt dabei. Du willst gerade ‚Hör auf’ sagen als Dein Kopf wieder nach links fliegt und Du Dich nicht mehr abfangen kannst. Du fällst auf den Rücken und schlägst mit dem Kopf auf. Es tut nicht weh. Es ist nicht gut, aber es tut nicht weh. Es ist dumpf. Du kannst nicht denken. „Na, war es schön gestern ‚mit Deiner Kollegin’? Hattest Du eine schöne Zeit? Ich hab Deinen Messenger gelesen. Ich weiß, was Du gemacht hast, Du Nutte!“ und noch ein Schlag. Noch einer. Dann richtet er sich auf. Du verstehst nicht, was er meint. Du kannst nicht denken. Du siehst ihn aufschauen und da durchzuckt es Dich wie ein Blitz: Die Kinder sind wach!
Du drehst Dich unter ihm um wieder hoch zu kommen. Er fragt „Soll ich Euch Kakao machen, ihr Zwei?“ und dann kommen Deine Tränen…Du reisst die Kinder an Dich und hältst sie fest. „Ich weiß, was Du getan hast! Du hast mir gedroht, die Beziehung zu beenden wenn ich lüge und was ist mit Deiner Lüge? Du bist so erbärmlich! Hau ab! Pack Deine Sachen und geh! Ich bezahl hier die Miete! Hau ab!“
Du schüttelst den Kopf und hältst die Kinder fest. Beide sind still. „Ich werde nicht gehen. Hör bitte auf“, mehr kannst Du nicht sagen.
Du hast jetzt verstanden, dass er denkt, Du hättest ihn betrogen. Tatsächlich wurdest Du am Vorabend nur von einem früheren Bekannten zum Essen eingeladen, den Du als Arbeitskollegin ausgegeben hast, damit niemand nicht skeptisch wird. Der Bekannte und Du, ihr habt über Osteuropa gesprochen, über Politik und Kultur. Danach seid ihr noch ein Stück spazieren gegangen. Es war ein schöner Abend. Leicht. Ohne Konflikte. Es hat so gut getan. Du bist im Sonnenuntergang auf dem Rad nachhause gefahren. Der Bekannte hat mit Dir auch über komplizierte Phasen in der Beziehung gesprochen und über Verständnis und Geduld und über den Erhalt der Familie. Du warst glücklich. Du fuhrst bergab mit wehenden Haaren und in einem wunderschönen Sommerabendlicht. Menschen saßen vor den Cafes und Kneipen. Fröhliche Stimmfetzen. ‚Das ist Freiheit’ schoß Dir durch den Kopf und Du twittertest es an der Ampel. Vielleicht könnten mehr solcher Abende helfen, auch zuhause entspannter zu sein? Du gingst gern nach Hause, weil Du einen Plan hattest, ganz viel Verständnis zu zeigen, noch mehr Schönes zu machen…
Weitermachen. Nicht weitermachen.
Um ihn nicht weiter zu reizen lässt Du den Tag abgesehen von dem, was passiert ist, normal starten. Du packst die Frühstücksdosen Deiner Kinder wie ein Automat. Du gibst beiden Kindern Küsse und fährst zur Arbeit. Die ersten 90min vergehen in Routine, dann musst Du kurz aufs Klo. Und dort fängst Du unwillkürlich an zu weinen. Der Schal ist zu warm am Hals. Die Schläge haben Spuren auf Deiner Haut hinterlassen. Du siehst es jetzt im Spiegel unter Neonlicht. Du erkennst Dich kaum. Als Du Dich nach 3min wieder zusammenreisst steht zufällig die Praktikantin auf dem Flur und sieht Dich und erschrickt. Du sagst, woher die Flecken kommen. Sie reisst die Augen auf. Es klingelt zur Pause. Sie bugsiert Dich in den Klassenraum. Du gehst zur Lehrerin und entschuldigst Dich und sagst, dass Du wohl gehen musst. Du zeigst ihr die Flecken. Ihr Gesicht wird hart wie Stein: „Du gehst nicht nach Hause. Du gehst zur Poizei und zeigst ihn an. Du packst Deine Tasche und fährst direkt zur Polizei.“
Du spürst, dass Du nicht denken kannst. Du kannst es nicht. Um Dich herum gibt es eine Wolke. Und Du beschließt, ihr zu vertrauen, denn sie ist nicht die erste, die das sagt. Du hast das schon bei der Beratungsstelle für Frauen gehört. Und gelesen. In Broschüren. In Artikeln. In Direktnachrichten auf Twitter. ‚Zeig ihn an!’ ‚Er darf das nicht!’ ‚Schütze Dich und die Kinder!’
Du hörst jetzt auf die vielen Stimmen. Ohne sie, wärst Du heimgefahren. Mit ihnen fährst Du zur Polizei. Du kennst den Namen der Beamtin, die für häusliche Gewalt zuständig ist, aus dem Beratungsgespräch nachdem er Dich das letzte Mal verletzt hatte. Du bittest um ein Gespräch mit ihr. Und wartest. Du wartest 2h. In der Zeit sortierst Du sämtliche Flyer im Aufsteller. Du trinkst Wasser. Du starrst auf Dein Handy. Du spürst keine Schmerzen. Nur einen unangenehmen Druck an Hals, Kinn und Brustbein und auf dem Ohr. Als Du kurz aufs Klo gehst, siehst Du, dass Du dort Blutergüsse bekommst, wo es drückt.
Du fragst Dich, was Du willst. Wenn Du ihn anzeigst ist sofort Schluss mit allem. Dann bist Du sofort alleinerziehend. Kurz vor den Sommerferien. Panik steigt auf. Du könntest auch gehen und nichts würde passieren. Draußen scheint die Sonne. Du kannst einfach auf Dein Rad steigen und in den Park fahren und Musik hören. Es fällt Dir schwer, nicht einfach zu gehen, denn Du willst das Ergebnis nicht. Du willst das Missverständnis aufklären. Er wird doch verstehen können, dass Du nie was Böses wolltest. Dass Du eine tolle Partnerin bist, dass Du ihn liebst und ihm helfen kannst, das zu überwinden. Dass Du ihn nie betrügen würdest. Dass Du nur Angst vor seiner Wut hattest. Jetzt wird er doch endlich verstehen, dass Du Recht hattest, als Du sagtest, dass er seine Wut nicht im Griff hat. Jetzt muss er es verstehen…und wie im Film rasen an Dir die unzähligen Momente vorbei, in denen Du genau das schon mal gedacht hast. Und Dir wird bewusst, wie unfassbar dumm Du warst. Und Du schämst ich, so dumm gewesen zu sein. Was sollst Du der Beamtin denn sagen? ‚Ja, er hat mir schon öfter weh getan. Wenn er wütend wird beschimpft er mich als Fotze und auch sonst hält er mich nicht für zurechnungsfähig. Nein, Freunde habe ich kaum, er mag die meisten Menschen nicht. Nee, meine Familie mag mich auch nicht wirklich. Meine Eltern waren ja selber der Meinung, dass ich mit Schlägen erzogen werden muss.’
Du sitzt da in diesem seltsamen Licht der großen Milchglasscheibe und wartest darauf, etwas zu tun, was Du nicht tun willst, weil er etwas getan hat, was schlimmer ist als Dich nicht anzufassen oder Dich zu ignorieren oder Dich zu beschimpfen. Aber es fühlt sich so an, als wärst Du diejenige, die alles zerstört. Niemand zwingt Dich zu dem Schritt. Du bist selbst verantwortlich. ‚Aber er ist doch der Vater meiner Kinder…’
Das Verhör bringt Dich zum heulen. Du fühlst Dich erbärmlich. Du weißt nicht: was ist wichtig und was nicht. Die Beamtin ist nett und hat Taschentücher und nimmt sich Zeit. Aber aussprechen musst Du alles. Du musst beschreiben, was war. Und plötzlich wird Dir klar, dass aus der Anzahl der Schläge und der Richtung aus der sie kamen etwas werden kann, was belegt, dass Du vielleicht zu lügen scheinst. Vielleicht waren die Schläge anders? Aus der anderen Richtung? Du heulst. Du weißt nicht mal mehr, wieviele Schläge Du abbekommen hast oder ob die Kinder was gesehen haben…
Allein
Die Fragen in Deinem Kopf werden bleiben. Woher nehmen wir als Familie das Geld für die Strafe, die er bezahlen muss? Wird er sich nach 2 Monaten noch an sein Versprechen, sich zu ändern, erinnern können? Hab ich nicht doch auch Mitschuld, weil ich gelogen habe? Sehen die Kinder in mir die Böse, die, die alles kaputt gemacht hat? Warum weiß meine Herkunftsamilie von der Gewalt und hilft mir nicht? Wer fängt mich auf, wenn alles vorbei ist? Warum gibt es keine soziale Ächtung für Menschen, die so etwas tun? Warum glaubt seine Familie auch lieber ihm als mir? Warum macht es niemand wieder gut? Warum wenden sich Freundinnen ab? Warum bin ich damit alleine?
Es wird immer weiter gehen. Du wirst nach und nach erkennen, wer damit umgehen kann, wer damit umgehen will und wer sich zurückzieht. Du sprichst darüber, weil Du weißt, dass das Geheimnis Dein Trauma befeuert und Du erntest betroffene Gesichter, hochgezogene Augenbrauen und Wut auf ihn, die kein Ventil findet. Du hast getan, was Du konntest. Mehr war nicht möglich. Deine Prädisposition hat Dich weiter getrieben, als es gut war. Und jetzt bist Du allein.
Allein.
Allein mit den Gedanken, Sorgen und dem Alltag. Der Umgang wird zum Hebel, Deine Freizeit löst sich auf. Niemand kann Dir helfen dabei. Die Kinder wollen Dich. Du ritualisierst den ganzen Alltag und schläfst entgegen den Gewohnheiten nur noch bei den Kindern. Dein Alltag verschiebt sich mit allen Vor- und Nachteilen. Das, was Du für Dich tun kannst, ist den Haushalt immer wieder liegen zu lassen und die 50min Mittagspause mit Fernsehen und Aufgewärmtem verstreichen zu lassen. Wenn Menschen bei Dir sind, ist alles so leicht. Sobald sie weg sind, möchtest Du den Fernseher anstellen, um die Streitereien der Kinder zu unterlaufen…
Noch ist es keine Depression. Noch ist Kraft da. Aber der Nährboden ist wunderbar für die schönsten schwarzen Blüten gedüngt mit Sätzen wie „Ich hab eine neue Freundin, sie ist echt süß“ und „ich werde keinen Unterhalt mehr zahlen können“ und „warum bist Du mir gegenüber so aggressiv?“ und „Fick Dich, wenn Du so drauf bist, hab ich morgen doch keine Zeit und hol die Kinder nicht ab“…
Du hast alles richtig gemacht. Du machst weiterhin alles richtig. Du handelst den Alltag und versorgst die Kinder. Du informierst Dich. Gehst endlich zum Zahnarzt. Du fürchtest um Eure wirtschaftliche Situation und schickst Kopien und Screenshots und Nachweise und Erklärungen. Und Du findest fast täglich Grüße der Dame in Schwarz, weil für jede institutionalisierte Hilfe weitere Anträge und Termine notwendig sind und Wartezeiten und Offenlegungen…und alles, was Du hast, bist nur noch Du selbst.
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Wer in der eigenen Beziehung unter Gewalt leidet, kann sich zum Beispiel beim Hilfetelefon  in Deutschland. Für Österreich bei der Frauenhelpline,  bei gewaltinfo.at , oder bei der Frauen*beratenFrauen*  auch online Unterstützung holen.

Bild: J. Davis. Rahmen umstandslos.
Erschienen in: weiter.machen und golden.

8 Replies to “Gewalt”

  1. plejade sagt:

    Hat dies auf angst und liebe rebloggt und kommentierte:
    Mich macht diese Beduselung zum Weltfrauentag aggressiv. Jedes Jahr mehr. Die Freundinnen schicken Nachrichten „Schicke dies jeder Frau, die Du magst“ gespickt mit 1000 Herzchen. Ernsthaft?
    https://umstandslos.com/2017/03/08/gewalt/

  2. […] stromere ich wieder durch Facebook und Twitter, die ganzen Geschichten, die Solidarität, auf umstandslos ein Artikel über Beziehungsgewalt. Das zieht runter. Die Katze ist auch ganz […]

  3. […] schreibt bei umstandlos über Gewalterfahrungen in ihrer Beziehung. [TW: häusliche […]

  4. […] dieser Text im umstandslos-Magazin ist von mir. wenn ihr stabil unterwegs seid und Euch konfrontieren […]

  5. […] Hintergrund, verheiratet, sehr OKe finanzielle Verhältnisse) Einblicke in ihr Leben. Leise, weniger etablierte und marginalisierte Positionen werden dadurch in den Hintergrund gedrängt, […]

  6. […] Leise, weniger etablierte und marginalisierte Positionen werden dadurch in den Hintergrund gedrängt, geraten aus dem Blickfeld oder werden lediglich bemitleidet. Für schwere, differenzierte, schmerzhafte, düstere, wütende und missgelaunte – aber so wichtige! – Gedanken ist wenig Platz an der Sonne. Nichtsdestotrotz sind all diese Erzählungen (An-)Teile von Mutterschaft – MÜTTER. SIND. KEINE. HOMOGENE. GRUPPE. und Mutterschaft ebenso wenig eine zu vereinheitlichende Erfahrung. […]

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