Stellvertretend für die Texte unsere Ausgabe „Im Fluss“ habe ich für die Gold-Edition von umstandslos diesen anonymisierten Bericht einer geflüchteten Frau über die hygienischen Zustände in dem deutschen Lager Fürstenwalde gewählt – auch weil die Marginalisierten-Perspektive in feministischen Diskussionen leider immer wieder zu kurz kommt. Der Text ist ursprünglich am 6. März 2015 [1] erschienen und hat nichts an seiner Gültigkeit verloren, wie eine aktuelle Nachfrage bei Women in Exile [2] zeigt. (Cornelia)
von anonym & Women in Exile
[Please find the English version below | Übersetzung: Catherine]
“Ich habe weniger als ein Jahr als Asylsuchende in Deutschland verbracht. Ich wurde im August 2014 vom Zentralen Aufnahmelager in Eisenhüttenstadt in ein anderes Heim verlegt. Die hygienischen Zustände in Eisenhüttenstadt waren katastrophal und ich hoffte auf eine baldige Verlegung. Das Lager ist überbelegt. Das bedeutet auch, dass die Container für Binden und Windeln viel zu klein und ständig überfüllt sind und man sich daran gewöhnt, sie überall zu finden. Niemand kümmert sich um die Folgen, die das für die Menschen im Lager, besonders für die Kinder, haben kann.
Nachdem ich nach Fürstenwalde, eines der neuen Heime, die gerade in Brandenburg eröffnet werden, verlegt worden war, war ich beeindruckt davon, wie sauber es dort im Vergleich zu Eisenhüttenstadt war. Ich war eine der ersten in diesem Heim und dachte, ich sähe mich nicht mehr täglich konfrontiert mit geteilten Badezimmern, schmutzigen Toiletten und gebrauchten Binden. Es dauerte allerdings nicht lange, bis ich feststellen musste, dass sich auf dem Flur, auf dem ich lebe, fast 20 Menschen, darunter Familien, eine Toilette und ein Badezimmer teilen müssen. Dieses Bad und diese Toilette haben zusammen eine Tür, was bedeutet, dass niemand zur Toilette kann, wenn jemand duscht. Man kann nicht abschließen, sondern muss den Schlüssel draußen stecken lassen, damit die Menschen vor der Tür wissen, dass das Bad besetzt ist. Vor kurzem wurde zwar eine Kette an der Innenseite der Tür angebracht, aber natürlich löst das nicht das Problem der Person, die vor der Tür warten muss, bis das Bad frei ist. Das Badezimmer hat keinen Mülleimer für Binden und einige Frauen lassen ihre gebrauchten Binden deshalb auf dem Boden neben der Toilette liegen. Die Toilette wird, weil sie ja von so vielen Menschen benutzt wird, ohnehin sehr schnell sehr schmutzig, so das mensch sich ungefähr vorstellen kann, in welchem Zustand sie sich befindet. Keiner putzt das Badezimmer, wir Bewohner_innen sollen uns mit dem Reinigen abwechseln. Aber das tut natürlich keiner gerne, weil das Badezimmer eben so dreckig ist. Außerdem müssen wir unsere eigenen Reinigungsmittel und Putzhandschuhe kaufen. Ich selbst pinkle in einen Eimer, den ich später in die Toilette ausleere. Wenn ich Stuhlgang muss, putze ich das Klo vorher. Ich habe auch schon körperliche Übergriffe männlicher Heimbewohner erlebt, weshalb ich es vermeide, nachts das Bad zu benutzen.”
In diesem Heim haben wir von Women in Exile außerdem mit einer Frau gesprochen, die dort mit ihren drei Kindern zwischen vier und elf Jahren lebt. Der 11-jährige Sohn ist krank, bekommt Medikamente und geht außerdem zur Schule. Er nimmt seine Medikamente immer sehr spät, weil er nach dem Aufstehen keine Zeit hat, in der Schlange zur Toilette zu stehen und danach pünktlich zur Schule zu kommen. Wir haben außerdem von Frauen gehört, dass es in diesem Heim, wo freilich auch die Küche gemeinsam benutzt wird, teilweise unmöglich ist, warme Speisen zuzubereiten, weil die Herdplatten vollkommen verdreckt sind. Frauen in diesem neuen Lager sind nicht nur aufgrund der Perspektivlosigkeit ihrer Situation deprimiert – ihre Asylanträge sind in Bearbeitung und sie können jederzeit abgeschoben werden – auch ihre Lebensumstände setzen ihnen sehr zu. Wegen Dublin III warten viele Frauen und Kinder darauf, nach Polen deportiert zu werden. Die Mutter des 11-jährigen kranken Kindes ist darüber besonders besorgt, da sie um die Zustände in polnischen Lagern weiß und fürchten muss, dass die medizinische Versorgung ihres Sohnes dort nicht gewährleistet ist. Es ist also nicht nur allein die sanitäre Situation in den Lagern, die den Menschen, insbesondere den Frauen, das Leben dort erheblich erschwert, sondern es sind auch die gesundheitlichen Gefahren, die mit dieser Situation einhergehen.
Mit Dank an: Women in Exile
[1] In demselben Jahr erschienen ähnlich alarmierende Berichte über österreichische Asylquartiere wie etwa der Bericht von Amnesty International über Traiskirchen. Schon 2013 und 1014 hatte das Team von „Dossier” Daten und Zahlen zu Missständen in österreichischen Lagern geliefert: Dossier Asyl.
[2] Women in Exile ist eine in Brandenburg gegründete Initiative, die sich für Frauen, die als Geflüchtete nach Deutschland kamen, engagiert. Der Verein kämpft für die Abschaffung von Lagern und dafür, dass Frauen und Kinder ein Recht auf eine würdige Unterbringung ihrer Wahl in Wohnungen haben. Wenn du an der Arbeit von Women in Exile interessiert bist oder die Initiative unterstützen willst, kannst du unter info(at)women-in-exile(dot)net in Kontakt treten. Spenden-Konto: Women in Exile e.V. IBAN: DE21430609671152135400 BIC: GENODEM1GLS (GLS Bank)
Werde selbst aktiv, schau dir Lager und Heime in deiner Umgebung an. Rede mit den Bewohner_Innen dort und fragt sie, was sie fordern und brauchen und trage ihre Forderungen weiter.
The hygenic Situation in Lagers
“I have been in Germany as an asylum seeker for less than one year. I was transferred to my new Heim from the central receiving station of Eisenhüttenstadt in August last year.
The hygiene situation in Eisenhüttenstadt is a catastrophe so that I was hoping I would get transferred soon. The place is overcrowded. That means, pads and pampers overflow the containers and one gets used to finding them all over the place. Nobody cares of the hygiene effects this could have to the people living inside this Lager, especially to children.
After I got transferred to Fürstenwalde, which is one of the new Heims currently opened in Brandenburg, I was impressed by how clean it was compared to Eisenhüttenstadt. I was one of the first people to occupy this Heim and thought I was done with the daily sight of sharing rooms, dirty toilets and messed up pads.
After settling down it did not take me long to realise that in the floor I am living in, almost 20 of us (some families included) have to share one toilet and one bathroom. This bathroom and toilet is having one door, so when one person is taking a shower nobody can go to the toilet. One has to leave the key outside to let the other persons know that someone else is inside. Recently a chain has been installed inside, but this does not solve the problem of the person waiting outside until the other one finishes their business. This bathroom/toilet has no container for pads and some women are leaving their pads on the ground, next to the toilet.
The toilet because of being used by so many people gets dirty very quickly and this can tell what the state of hygiene is. Nobody is cleaning these facilities, so we the residents have a duty roaster to do it. But when sometimes one looks at the dirty state the bathroom is in, one is not keen to clean it. On top of that we have to buy our own cleaning detergents and gloves. Personally I pass urine in a bucket and then throw it later in the toilet; if I have the need of a long call then I clean the toilet first. I have also experienced physical violence from one of the men living here, which is the reason why I avoid going out to the bathroom/toilet at night.”
In this Heim we (Women in Exile) talked to a woman living with her three young children 4-11 years. The 11 years is sick, on medication and has to go to school. He takes his medicine late because after waking up, he has to queue to get to the bathroom and then rush to school.
Of course, the kitchens are shared as well and the women we talked to complained that sometime it is impossible to cook on the hot plates because of the dirt.
Women in this new Lager are not only depressed by the fact that their asylum cases are hanging on the balance and they can be deported any time, but also for the reason of their living conditions. Many women and children are waiting to be deported to Poland (Dublin III). The one with the sick son is very worried, because she knows how the living conditions in Poland are and is afraid that her son will not get proper medical attention there.
This article wants to show how the asylum seekers, especially women, are not only affected by the hygienic situation in the Lagers, but also by the constant danger of other health problems.
Thanks to: Women in Exile e.V.
Go outside, visit the Heime in your local area. Talk to the inhabitants and ask them, what they need. Spread their demands!
Beitragsbild: Andreas Klodt
Beitrag erschienen in: Im Fluss
Beitrag erschienen in: golden.
Einfach unvorstellbar. 20 Familien- ein Badezimmer. Ich hoffe, dass viele Menschen das lesen, damit sich die Zustände verbessern. Der Beitrag geht um Asylbewerber 2002, ob sich seither wohl etwas getan hat?
Vielleicht lesen diesen Artikel auch jene Menschen, die mit Vorurteilen und Hass Asylbewerbern gegenüber treten. Die meinen, sie hätten es ja so gut bei uns in Deutschland.
Liebe Grüße, Heike