Von wilden Tieren, die durch Trennungen strudeln

Elternativ

Bis sich nach einer Trennung wieder alles einpendelt dauert es. Darf es auch. Findet unsere Autorin.
Anonym
Welcher Wochentag ist heute? Was passiert am Wochenende? Nächste Woche? – Keine Ahnung. Ist alles noch so weit weg. Ich wurstle mich von Tag zu Tag. Und das seit Monaten. Trennung und Umzug waren ziemlich scheiße. An Belastung war das eigentlich kaum zu überbieten. Dann lag meine Schwester auch noch mitten in diesem Wirrwarr im Krankenhaus und niemand wusste so recht, ob sie da jemals wieder rauskommt und hatte einfach nur mehr Rückenschmerzen. Es war einfach zu viel. So viel zu tragen. Einrenken ging nicht. Ein craniosacraler Wundermensch übernahm dann schließlich, drückte ein bisschen hier ein bisschen da und ich fühlte mich auf einmal groß. So groß wie noch nie in meinem Leben. Die Füße gingen plötzlich bis zum Boden. Der Rückenschmerz war weg. Dafür heulte ich anschließend zwei Wochen lang. Offensichtlich hatte sich da die Trauer ganz klein zusammengekauert und unter meinem Rippenbogen nach hinten gedrückt. Genauso hatte es sich angefühlt. Seither weiß ich: Bei Rückenschmerzen einfach ein bisschen Weinen. Das hilft. Trauer lass ich scheinbar nicht so gut an mich ran.
Alter Staub wird aufgewirbelt
Die ersten zwei Monate sind geprägt von Überleben. Überleben und nicht wissen, ob ich nun alleinerziehend bin oder nicht. Der Vater meines Kindes leidet vor sich hin. Das tat er vorher auch schon aufgrund seiner Trauma-Folgeerkrankung, aber mittlerweile kann ich dieses Leiden nicht mehr aushalten. Er leidet auch wegen dem Beziehungsende. Klar, tu ich auch. Aber bei ihm ist alles nur mehr Leiden. Vielleicht würde ich das auch gerne. Die Frage ist bloß: Wann? Funktionieren, funktionieren, funktionieren. Dazwischen triggert mich mein eigenes Kind und spiegelt mir meine eigene emotionale Abhängigkeit. Ich bemerke, mit welchen seiner Gefühle ich so gar nicht umgehen kann, wie es mir schwerfällt, seine Aggressionen, seine Wut auszuhalten, auch seine Bedürftigkeit, nach Mamakuscheln, nach mit Mamaeinschlafen. An den Tagen, an denen ich eh schon geschafft bin, ist es besonders schwer. Ich weiß nicht, wann der Papa wieder verfügbar sein wird, der Papa, zu dem du so eine enge Bindung hast. Der Papa, der auf einmal von der Bildfläche verschwindet.
Und dabei merke ich, wie sehr ich jemanden gebraucht hätte in diesem Alter, der mich auffängt, der mich beschützt, und der mal ganz nur für mich da ist. Immerhin kann ich mein inneres Kind nachnähren, indem ich meinem Kind Raum für das gebe, was es braucht. Leicht ist das nicht. Immer wieder hadere ich mit der Wut. Ich bin ja selber so. Ich schreie ja selber rum, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Soll ich Wut verbieten? Und dann dieses Beißen und Kratzen und Hauen, wenn er todunglücklich ist, weil ich nicht sagen kann, was mit dem Papa los ist, wann er wieder kommt, und weil ich auch grade wieder irgendwo mit meiner Aufmerksamkeit bin. Diese Berührungen halte ich kaum aus. Mein Körper gehört mir. Ich werde in Sekundenschnelle so aggressiv, dass ich ihm am liebsten ins Gesicht schlagen möchte. Ich weiß, dass ich das nicht darf. Im Notfall gehe ich aus dem Zimmer und sperre mich im Bad ein. Diese Grenzverletzungen halte ich nicht aus. Es macht mich so rasend.
So viel, was da zusammenkommt. Die Stränge verbinden sich zu einem gordischen Knoten, der sich zwischendurch immer wieder zu lösen beginnt, nur um sich bald darauf wieder neu zu verstricken.
Papa taucht wieder auf. Aus sporadischen Stunden wird plötzlich viel Zeit, dann wieder ein Einbruch. Dann wieder ein halbes Wochenende ohne Übernachtung, dann wieder mit. Langsam nähern wir uns vielleicht doch der Normalität an, die wir eigentlich von Anfang an geplant, auf die wir unser Kind eigentlich vorbereitet hatten. Aber mittlerweile ist das auch schon egal. Naja vielleicht nicht egal, aber wir haben unseren Wortschatz um einige Vokabel erweitert, der zumindest weiterhilft.
Da wären zum Beispiel die Mondpapas.
Christine Finke hatte auf ihrem Blog mama-arbeitet dieses Buch einmal vorgestellt. Ein Buch für Kinder von abwesenden Vätern. Die Sorte, bei der mensch nicht so genau weiß, wann die wieder kommen. Ich hab mir das Buch bald nach unserem Umzug besorgt und ich bemerkte beim ersten Durchlesen bereits die Erleichterung. Endlich wusste mein kleiner Schatz, was los ist. Ja, auch er hatte einen Mondpapa. Wann immer wir in Situationen kamen, wo plötzlich nicht mehr klar war, wann der Papa wieder auf der Bildfläche auftauchen würde, folgte nun: „Der Papa ist jetzt wieder ein Mondpapa.“ Damit konnten wir uns beide sparen, viel zu viel Zeit und Energie auf das Warten und Hoffen zu verschwenden, und uns stattdessen einfach auf uns zwei konzentrieren. Klappt gut.
Die wilden Tiere im Kopf.
In Was ist bloß mit Mama los? sind verschiedene Eltern mit psychischen Erkrankungen beschrieben. Nicht alles davon ist für einen 3jährigen brauchbar. Bei einem Bild mit verschiedenen Gesichtsausdrücken analysierte er aber recht schnell, wie es denn wirklich gerade in unserer Familie aussieht. Es lässt sich halt doch nichts verbergen. Trotzdem ist es schwer einem Kind die emotionalen Ausraster der Eltern zu erklären; und zwar so, dass es nicht die Schuld bei sich sucht. Wilde Tiere im Kopf, die so laut sind, dass sie beim Denken und Fühlen stören, waren da recht hilfreich als Hinweis aus diesem Buch. Wenn ich ihn also mitten in der Nacht plötzlich von Papa holen musste, weil der nicht mehr wusste, wie er seinen Stresspegel runterbekommen sollte und kurz vorm Ausrasten war, half später die Erklärung der wilden Tiere. Auch, dass es einen Arzt gibt, der da hilft. Und auch, warum wir denn Papa eben nicht so oft sehen können. Die wilden Tiere müssen sich eben erst beruhigen. Haben sie auch. Blöd nur, dass in meinem eigenen Kopf selbst so ein wildes Tier sitzt.
Das lila Monster, das schnarcht
In meinem Kopf sitzt auch ein kleines Tier. Gemeinsam haben wir es ein kleines Monster getauft. Mein Sohn sagt, es sei lila. Lila ist seine Lieblingsfarbe. Wenn ich mich nicht gut darum kümmere, stampft es wütend auf und tobt herum. Und dann werde ich auch schnell wütend. So wütend, dass ich eben ins Bad gehen muss. Da hilft nur meine Ärztin (die Traumatherapeutin) und viel Bewegung. Praktisch alleinerziehend ist das scheiße, jedes Mal jemanden zu bezahlen, damit mensch in Therapie kann, zum Schwimmen oder Tanzen oder was auch immer. Auf den Mondpapa konnten wir uns ja lange nicht verlassen. Und dieses „Mein Körper gehört mir“-Thema war kaum noch auszuhalten. Also half das lila Monster weiter. Es gab Wochen, in denen wir jeden zweiten Tag Besuch hatten von lieben Freundinnen, die mir und dem Kind nach der Therapiestunde Gesellschaft leisteten, weil ich mich nicht im Stande fühlte für ungeteilte Aufmerksamkeit. In diesen Wochen kamen auch noch weitere Freundinnen oder bezahlte Babysitterinnen dazu, die mir ein paar Stunden schafften für ein ausgedehntes Tanzen gehen, einige Bahnen im Schwimmbad, für Sex oder Fitnessstudio. Nicht alle dieser Personen kannte mein Kind gut. Die Erklärung, dass wir das Monster müde machen müssten, damit es dann einfach friedlich schnarcht, half ungemein. Es gab keine langen Trennungsszenarien oder Konflikte. Wir wussten beide: Das Monster muss schlafen.
Die Auszeiten halfen ungemein. Weniger weil es Auszeiten vom Mamadasein waren, sondern weil ich mich richtig auspowern konnte. Eine Alternative zur Kopfarbeit. Zwischendurch fragte mich mein Sohn immer wieder mal, wie es denn dem Monster gehe. Ob es schlafe oder was es grade macht. Manchmal tippte er auf meine Stirn und versuchte direkt mit dem Monster ein Gespräch anzufangen.

Und nun?
Die wilden Tiere, das Monster in meinem Kopf und der Mondpapa sind aktuell gar kein Thema. Vielleicht werden sie es wieder. Sie haben uns zumindest durch eine stürmische Zeit mit zahlreichen Baustellen getragen.
Ich habe keine Rückenschmerzen mehr, wenn ich traurig bin. Der alte Liebeskummer kommt nun in Wellen hoch. Dann heule ich und dann ist auch wieder gut.
Wütend bin ich noch. Aber warum auch nicht. Wut ist ein Gefühl, dass wir haben dürfen. Wir versuchen es mit Elefantentrampeln. Weniger Schreien, Hauen sowieso nicht. Die Wut raustrampeln. Manchmal auch gemeinsam. Klappt noch nicht perfekt. Wird schon werden. – Konflikte wegen Eile am Morgen vermeide ich. Entweder nehme ich mir Zeit oder einen Babysitterin, die ihn zum Kindergarten bringt. Weniger Stress für alle.
Mein Körper gehört wieder mir.
Welcher Wochentag ist, weiß ich noch immer nicht genau. Wir wursteln uns durch. Das mit dem Rhythmus wird schon noch kommen.
Mein Sohn hat übrigens auch ein lila Monster, sagt er. Seines sei immer fröhlich.
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Erschienen in: weitermachen.
Bild: Rechte bei der Autorin. Rahmen umstandslos.

3 Replies to “Von wilden Tieren, die durch Trennungen strudeln”

  1. plejade sagt:

    Danke für diesen ganz wunderbaren Text. 🙂 Das hilft mir sehr weiter. Bisher ist meiner Tochter noch nicht so richtig aufgefallen, dass wir zu Zweit keine Ausflüge machen, aber das wird ganz bald so sein. Ich werde mir mal Gedanken machen, wie ich meine Angststörung gut in der Monstersprache erklären kann ohne, dass sie auch Angst bekommt.

  2. jongleurin sagt:

    Jetzt musste ich doch sehr schlucken, das klingt nach einer harten Zeit. Und dennoch so mutmachend. Dein Kind und du, ihr seid stark, und das ist ein sehr guter Weg, den ihr gefunden habt. Es kann sehr froh sein, dich zu haben, eine so kreative und empowernde Mutter.

  3. k sagt:

    Danke für den Text. Ich fühle mich dadurch verstanden. Erleichternd, dass jemand anderes so gute Worte für meine Empfindungen findet.

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