von Cornelia
Ältere Frauen* und Mütter teilen ein ähnliches Los. Sie sind in vielen gesellschaftlichen Diskursen – auch in feministischen – nicht präsent. Gleichzeitig ist ihr Sein per se nicht gut genug: dem Älter-Werden wie dem Mutter-Werden muss durch Sport, gesunde Ernährung und geistigen Herausforderungen begegnet werden. Nur keinesfalls „nur“ alt sein oder „nur“ Mutter sein. Dass dem ohnehin nicht so ist, bleibt vielfach ungesagt und unsichtbar.
Manchmal habe ich Angst vor dem Unsichtbar-Werden …
… und dann klammere ich mich an Anna Louise Friel und Mireille Enos. Nein, das stimmt nicht ganz. Ich klammere mich an die Geburtsdaten der beiden Schauspielerinnen. 1976 und 1975. „Du also auch“, nickt eine Freundin wissend, als ich ihr verrate, regelmäßig das Alter von Schauspieler_innen aus Filmen und Serien, die ich sehe, zu googlen. Ja, ich will wissen, wie Popkultur mein Alter übersetzt und ich will wissen, was danach kommt. Frauen werden mit den Jahren – zumindest in den Mainstream-Medien im wahrsten Wortsinn – unsichtbar. Ausradiert. Gleichzeitig verkörpern und leben ältere Frauen das, was so viele nicht werden wollen. Alt. Alt sein. Älter werden. Sie sind das Schreckgespenst vieler jungen Frauen: Wenn, dann will man im besten Fall eine „Jung Gebliebene“ sein.
„Die Jahre zwischen 30 und 40 waren die besten in meinem Leben“, hat eine Bekannte einer Freundin quasi als Tipp auf den Weg in ihre Dreißiger gegeben. Damals war sie Anfang 40 und beschrieb ihr Leben praktisch als “vorbei”. In diesem Satz liegen all der Schmerz und die Resignation verborgen, die Medienbilder und Jugend-Imperative Jahrzehnte lang sorgfältig aufgebaut haben.
„I have simply been transported into the next phase of sexism that comes with middle age, and it’s a dramatic change well illustrated metaphorically by the female body that is ogled and objectified transforming into the female body that is invisible. (…) I’m looking at perhaps three more decades of my life that will be shaped to some degree by not only misogyny, but by the intersection of misogyny and ageism. That’s a whole bunch of years I never gave the slightest thought to when I was younger“, schreibt die damals 51-jährige Lori Day in dem Text “Aging while female is not your worst nightmare” in “Feminist Current”.
Warum ich mich ausgerechnet an Friel und Enos klammere? Sie stellen nicht nur spannende und differenziert gezeichnete weibliche Hauptfiguren über Dreißig in den (auch darum) sehenswerten Fernsehserien „Marcella“ und „The Killing“ dar, sondern verkörpern darin zusätzlich Mütter. Und zwar so, wie männliche Protagonisten Väter sind: Sie sind es „auch“. Sie sind Kommissarinnen und zufällig eben auch Mütter. Ja, das geht (und zwar durchaus authentischer als es dem Hannover-Tatort mit Charlotte Lindholm gelingt).
Mütter-Schreckensbilder
Irgendwann während meiner Schwangerschaft habe ich mit Bedauern festgestellt, im engeren Verwandtschaftskreis nun bald nicht mehr zur jüngsten Generation zu gehören. Diese „Erkenntnis“ hat mich getroffen. Das ist durchaus überraschend für mich gekommen, weil ich immer davon überzeugt gewesen bin, dass Alter und Älterwerden keine Themen für mich sind. Anders als so manche Freundin ist mir nichts ferner gelegen, als über die Beschaffenheit der Haut an Hals und Armen oder über Falten nachzudenken oder mich deswegen gar zu grämen. Mit Kind habe ich die Illusion der Jugend begraben, ganz ohne dafür ergrauen zu müssen.
In der kleinen Ortschaft am Land, wo ich aufgewachsen bin, habe ich im Laufe der Jahre ein unschönes Bild von Klischee-Mutterschaft erworben. Die Mütter dort gingen nicht oder maximal halbtags arbeiten. Sie schnitten sich die Haare praktisch kurz. Trugen alltagstaugliche, mich wenig ansprechende Kleidung und verzichteten auf Make-Up. Sie alterten innerhalb nur eines Jahres nach der Geburt des ersten Kindes (gefühlt zehn Monate nach der Hochzeit) von der jungen zur mittelalterlichen Frau und strahlten auf mich eine abstoßende Fadesse aus. Diese Frauen schienen alle „Sexyness“ – verstanden als gesellschaftlich wirksame Kategorie – abgelegt zu haben. Das schürte in mir die Mär, dass sie all ihre als weiblich verorteten Attribute nur eingesetzt haben, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen: einen Mann und ein Kind. Als Jugendliche empfand ich dieses Verhalten als Affront gegen jegliche Emanzipationsbestrebungen.
Es ist schwer, nach all den Jahren im Rückblick meine Erinnerung auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Aber das Bild hat sich eingebrannt. Und dieses Bild war ganz und gar nicht neutral, sondern massiv negativ besetzt. Gesellschaftliche Weiblichkeitsdiskurse, getratschte Misogynie und mediale Vorbilder hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Diese Frauen, die Mütter geworden sind, wurden zum Inbegriff des Stereotyps der „Frau und Mutter, die sich gehen lässt“ gemacht. Für mich wurden sie unbewusst zu (m)einer Albtraum-Zukunft, aus der sich dann – als ich selbst Mutter geworden bin – jener Druck speiste, den ich heute noch empfinde. Nicht mehr quälend, doch ich nehme ihn wahr. Ich habe längst in feministischen Mutterschaftsbildern mein Korrektiv gefunden. Aber auch wenn ich jede Jungmutter, die mit Jogginghose in den Drogeriemarkt geht, feiere, so ist ein fahler Beigeschmack geblieben.
Alt und abwesend
Erst im Nachhinein ist mir klar geworden, wie sehr ich Mutter-Werden und Für-die-Gesellschaft-irrelevant-Werden mit dem Alterungsprozess verknüpft habe. Nicht aus persönlichen Verwirrungen, sondern weil das eben unser gelebtes Gesellschaftsbild ist. Mütter sind mit Kinderversorgen beschäftigt. Sie fallen nicht auf – weder durch „Sexyness“ (das Attribut „MILF“ beweist durch die Kennzeichnung der Ausnahme diese Regel) noch durch politische Partizipation. Und zwar genauso, wie diese gesellschaftlichen Feldern der Mehrzahl ältere Frauen verwehrt werden. Mutterschaft und Alter machen unrelevant und unsichtbar – so mein bitteres Resümee damals.
Hand in Hand geht das mit der Abwertung von Care-Arbeit, die von so vielen Frauen auch im Alter im familiären Bereich weitergeführt wird. Selbst in vielen feministischen Beschäftigungen mit weiblich gelesenen Körpern ist die ältere Frau nur in ihrer Abwesenheit signifikant.
Much popular feminist writing about aging contains serious theoretical flaws. When writers whose earlier work challenges other body-based, culturally constructed stereotypes attempt to challange the current prescriptive and negative constructs of old age, they often not only do not deconstruct the current hegemonic, but validate some of the very social structures that they identify as problematic. For example, many suggest that revising the aging process means staying active – traveling, going back to schoon, becoming involved in their communities. Even overlooking the potential classism inherent in these recommendations, such advice values ‚doing’ over ‚being’.
Leni Marshall [1]
Mit der Mutterschaft empfand ich mich plötzlich gealtert – nicht im Aussehen, sondern im Verhalten. Besser, eigentlich in dem, was ein diffusen Außen in meinem Verhalten sah oder mir als Verhalten nachsagte. Vernunft, Biederkeit, Monotonie – ich fühlte mich mit Zuschreibungen konfrontiert, die unsere Gesellschaft nicht nur für Mutterschaft, sondern eben auch fürs Alter(n) bereit hält.
Jung-Sein wirkt in diesem Verständnis nicht als Zustand, sondern als Aktivität, der ich im Rahmen meiner Mutterschaft vermeintlich nicht gerecht werden konnte. Während ich also schnell Werkzeuge fand, um verkrustete Mutterschaftsmythen und idealisierte Mutterschaftsbilder zu dekonstruieren und ihre Last von mir zu nehmen, vermisse ich bis auf einzelne Ausnahmen kluge feministische Texte über das Altern. Sie fehlen oder sind in einer breiteren Öffentlichkeit unsichtbar – wie die Frauen selbst.
But if the invisibility of older women in academic feminism and the arts is striking, it should not be surprising. Ageism pervades American culture, and feminism in all its forms, as well as cultural studies in general, have not been exempt from it. With the exception of disability studies and work on illness narratives, our implicit and unex- amined assumption when we make reference to the body as a category of cultural criticism is that the body is a youthful healthy body. We need to bring the representation of the older female body into focus, and we need to reflect on what we see and what we don’t.
Kathleen Woodward [2]
Wie geht also Älterwerden ohne Leiden, frage ich mich. Wie geht feministisches Älterwerden? Vor fünf Jahren habe ich mit der Geburt meines Kindes angefangen, beharrlich Ausschau nach Mütter-Vorbilder zu halten. Das Beruhigende ist: Ich habe sie gefunden, die tollen Mütter (und Eltern). Sie waren letztlich immer schon da, ich musste nur die Perspektive verändern. Sehen, was unsichtbar gemacht wird. Nur ein klein wenig genauer hinschauen. Verinnerlichte Stereotype und infiltrierte Erzählungen loswerden.
Diesen Blick bewahre ich mir gut auf. Bis ich ihn wieder brauche, wenn ich aufregende und interessante ältere Frauen aufspüren mag, die ihr Älterwerden nicht auf Falten und schlaffe Haut als Defizite reduzieren (lassen). Damit es möglich ist, älter zu werden und alt zu sein – ohne sich mit dem eigenen Tun und Handeln ständig als Jung zu reproduzieren. Denn Aktivität kann auch genuiner Teil von Alter sein. Genauso wie Passivität Teil von Jugend ist.
PS: Und wenn ich es wirklich ganz genau wissen will, dann schaue ich auf Wikipedia auch nach, ob die Schauspielerinnen meiner Lieblingsserien selbst Kinder haben. Stichwort: Vereinbarkeit. Aber das ist dann schon wieder fast ein anderes Thema …
PPS: Zumindest in der Modewelt scheint sich in Sachen Alter und Präsenz von Frauen übrigens etwas zu tun, wie erst vor wenigen Tagen Sonja Eismann im Missy Magazin festgestellt hat: Old is the New Gold
Zum Weiterlesen
[1] Aging: A Feminist Issue von Leni Marshall (Registrierung notwendig)
[2] Performing Age, Performing Gender von Kathleen Woodward (http://depts.washington.edu/uwch/documents/articles/Performing_Age.pdf)
Erschienen in: übergänge.
Beitragsbild: Dave Spicer via www.geograph.org.uk (Rahmen und Beschneidung: umstandslos)
* als Frauen gegenderte/gelesene Menschen
Als Frau altern ist natürlich ein Thema für sich. Aber als Mutter fühlte ich mich irgendwann gar nicht mehr so alt, sondern viel mehr in Kontakt mit “jungen” Themen als lange Zeit zuvor – und auch mehr als so manche kinderlosen Menschen in meiner Umgebung.
Wann wäre ich sonst mal wieder Schlittschuhfahren gegangen. Hätte ein Waveboard ausprobiert. Würde einiges über YouTuber wissen, aus Interesse und nicht, weil ich für den Beruf muss. Und während meine Kinder immer jugendlicher werde, hoffe ich, dass wir in so gutem Kontakt bleiben, dass ich auch da ein bisschen “mitlesen” darf, was sie gerade interessiert. Mir nimmt es Sorge vor vielen Themen, wo die Welt sich angeblich hinentwickelt, wenn man einigen Kontakt zu echten Kindern und Jugendlichen hat und merkt: die verblöden nicht, sind sicher ausbildungsfähig, können z.T. sogar Rechtschreibung (!) und kümmern sich um ihre Mitmenschen.
Ich fühl mich da als kinderlose Frau auch viel mehr betroffen … auch so im Bezug auf Kirstens Kommentar jetzt
Ich finde es interessant, dass es in deinen Zitaten speziell um die Körper von alternden Frauen geht. Wenn ich an mein Älterwerden denke, denke ich v.a. an mein geistiges Altern. Auf meine Arbeit bezogen finde ich das gut: Älter sein heißt belesener sein heißt bessere Philosophie machen können. Als Mutter finde ich es spannend, darüber nachzudenken, wie ich meine eigene Mutter empfunden habe, als ich im Alter meiner Kinder war, und die Perspektive von damals nach heute zu wechseln. Ich finde es schön, für meine Kinder eine Person zu sein, die ihre Lebenserfahrung teilen kann (Stress mit Freundinnen? Misserfolge in der Schule? Hatten wir alles schonmal). Beängstigend finde ich eher meine Zukunft als ganz alte Frau – irgendwann vielleicht nicht mehr selbständig leben zu können, geistiger und körperlicher Verfall.
danke für eure kommentare!
ich denke das thema altern ist so subjektiv. auch inwiefern wir uns davon “betroffen” fühlen. eben weil ich mein eigenes alter durch das kind besonders spüre – gerade dadurch, dass ich dinge mache, die ich sonst nicht tun würde. ein eigenartiges paradoxon. fühlt sich fast an wie das vorgeführte alter …
an das geistige altern denke ich zum beispiel nie explizit. erfahrungen machen, mehr verstehen, klüger werden – ja, aber eigenartigerweise verbinde ich auch das wenig mit älter-werden. weil mir das “natürlich” in meinem leben vorkommt und ich es auch als sehr positiv erleben.
das körperliche altern, auch das nicht sichtbare, indes ist eben schon sehr ein thema, auf das ich durch meinen kontext und durch medien und gesellschaft ständig gestoßen werde (oder es selektiv einfach mehr wahrnehme?).
deswegen finde ich es auch schade, dass es wirklich wenig (aus feministischer sicht) zu dem thema gibt (oder ich noch nicht darauf gestoßen wurde). es wäre spannend, all seine oder zumindest viele seiner dimensionen irgendwo gesammelt zu lesen.
Ich habe nach dem Lesen des Beitrags ganz neugierig angefangen, Marcella zu schauen – und vielleicht so viel als kleiner Trost: Ich finde es sehr schade, dass Anna Friel aussieht wie eine schlecht operierte 50jährige, ihre erstarrte Mimik macht mich richtig fertig. Sinead Cusack ist dagegen wunderschön und sieht dabei wie die 68jährige aus, die sie ist. Jung und glatt ist am Ende wirklich nicht das, worauf es ankommt.
Spannender Artikel! Das Erlebnis, mit dem Mutterwerden vor allem auch körperlich RASANT zu altern, war für mich persönlich sehr eindrücklich. Ich finde übrigens, dass es schon zumindest ein paar gute (feministische!) Quellen zum Thema Alter(n) gibt, abgesehen von den im Text zitierten. http://wamuog.co.uk/postgraduate-journal-of-women-ageing-and-media und hier: http://www.yorku.ca/mandell/courses/4680/pdf/Twigg%202004%20PDF%20file.pdf und hier: https://books.google.de/books?id=mflTAQAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=aging+studies+feminist&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwif0YP4xIHSAhUGWxoKHUD9CdQQ6AEIKTAB#v=onepage&q=aging%20studies%20feminist&f=false zum Beispiel. Leni Marshall ist ja mit dem North American Network in Aging Studies sehr aktiv http://agingstudies.org/NANAS/ und es gibt auch ein Europäisches pendant: Das European Network in Aging Studies, in dem viele Feminist*innen versammelt sind: http://www.agingstudies.eu. Oh und noch ein tolles Journal: http://www.ageculturehumanities.eu Liebe Grüße! 🙂
danke dir für die links! sehr spannend, ja. ich hatte beim schreiben eher die nicht-präsenz des themas im deutschsprachigen (halb)öffentlichen diskurs im kopf. vielleicht müsste ich da ein bisschen tiefer graben … danke jedenfalls. lg!
ah … und ein interessantes buch dazu wäre vielleicht die dissertation von elisabeth hellmich: http://www.frauenberatenfrauen.at/rezensionen/hellmich.html , die auch einen explizit feministischen zugang wählte.