… doch das Seepferdchen-Modell?

von M.

“Wär’ ich gern ein Seepferdchen oder ein Schnabeltier? Beides Tiere, die es scheinbar besser drauf haben mit ‘Männlein’, ‘Weiblein’ und ‘Körperverantwortung bei der Reproduktion’. Eierlegen statt Wochenbett?” – M. erzählt von der Zeit zwischen dem Ende ihrer ersten Schwangerschaft, dem Wochenbett, der Trauer dabei und danach und der Vorbereitung aufs erneute Schwangerwerden.

Ich wünsche mir ein Haus voller lauter, lachender, schreiender, glücklicher Kinder. Der Kinderwunsch ist da, schon ziemlich lange. Ich bin bereit für Windeln wechseln nachts um drei und all die Höhen und Tiefen mit Kindern, sofern mensch je bereit dafür ist.

So ganz praktisch bedeutet das für mich, schwanger zu werden und hoffen ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Soweit die Theorie. Aber irgendwie kann ich es mir gerade (noch) nicht vorstellen, da wieder durchzugehen. Der überraschende Tod unseres Sohnes hat mich fundamental aus der Bahn geworfen. Ich hatte den positiven Schwangerschaftsstreifen gefeiert und mich unglaublich auf den Zwerg gefreut. Emotional mit seinem Tod und allem klarzukommen ist das eine, aber ich war auch über sieben Monate in meinem Körper schwanger, hatte zwischendurch Krankenhaus-Episoden, habe eine (stille) Geburt überstanden, im Wochenbett vor mich hin geblutet und mit jeder Menge Milch gekämpft (für die es kein lebendes Baby gab) und dann auch noch eine Gebärmutterhalskrebs-OP über mich ergehen lassen. Jetzt, acht Monate nach der Geburt nochmal Beckenboden-Shizzle, weil ich mich nicht danach gefühlt hatte, in einen Rückbildungskurs mit glücklichen Neu-Müttern zu gehen.

Weiterleben nach einer (stillen) Geburt

Ich feiere gerade jeden Tag, an dem ich mit dem Rad fahren kann, jeden Einkauf, den ich einfach so nach Hause trage, jeden Zug an der seltenen Frust-Kippe oder den zweiten Gin Tonic. Ich feiere, dass ich selbstbestimmt mit meinem Körper umgehen kann und auch mal unvernünftig sein darf, ohne Angst haben zu müssen um ein kleines Wesen in mir.

Ich fange diesen Text zum dritten Mal an, weil es mir jedes Mal anders geht, weil immer ein anderes Gefühl dominiert.

Ich schwanke zwischen Wut, Trauer, Angst, einem schlechten Gewissen, und eben dem Wunsch nach einem gesunden Baby in meinen Armen.

Da ist die Wut, dass ich seit 14 Monaten auf Körperdinge zurückgeworfen bin, während der Vater nichts davon hat. Die Wut, dass es meine Freizeit ist, die ich mit Therapie und Arzttreffen verbringe, dass ich monatelang ausgefallen bin und immer noch ausfalle in meinem Job, der mir wichtig ist.

Da ist die unendliche Trauer um meinen kleinen Sohn.

Die Angst, dass ich nie wieder unbeschwert schwanger sein kann. Die Angst, dass auch eine zweite Schwangerschaft nicht gut enden könnte. Die Angst vor der Angst.

Und ich weiß bei allem, dass ich krass privilegiert bin. Ich hab das alles überlebt, weil ich Zugang zu guter medizinischer Versorgung habe. In anderen Regionen sterben Frauen bei Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, etwa 303.000 Frauen allein im Jahr 2015.

Immer noch und wieder: der Kinderwunsch

Anders als Menschen in nicht-hetero-Beziehungen oder Menschen mit eingeschränkter Fruchtbarkeit könnten mein Freund und ich jederzeit wieder eine Schwangerschaft an den Start bringen. Wir leben hier dazu noch mit geregeltem Einkommen auf einem friedlichen Flecken des Globalisierungsgewinners-Europa. Viel schlechtes Gewissen.

Und dann immer noch und immer wieder der Wunsch nach Kindern.

Vor ein paar Tagen saß ich neben meinem Freund und dachte: „Wenn er jetzt schwanger werden könnte, ich wär jetzt sofort dabei! Neun Monate Tee kochen, Kopf streicheln, Einkäufe für ihn tragen! Yo! Richtig gut!“ 

Fuck the „wir machen alles zusammen“. WIR sind nicht schwanger!! ICH war schwanger! ICH würde wieder schwanger sein! Wenn ich eins gelernt hab ist, dass es bei Schwangerschaft kein 50/50 gibt. Bei der Trauer um ein Kind: ja, das teilen wir. Aber ich habe jetzt noch den Körperscheiß der ersten Schwangerschaft, 14 fucking Monate! Und wenn wir uns biologisch eigene Kinder wünschen, bin ich allein wieder schwanger. Ich trage das Kind und die Verantwortung allein für mindestens die ersten neun Monate. Auch das ist ein Privileg, ich weiß. Schwanger sein war für mich ein sehr intensives und schönes Gefühl. Aber auch verdammt fordernd.

Eine Hebamme hat zu meinem offensichtlichen gigantischen Brainfuck etwas sehr Schlaues gesagt: „Sie sind Mutter geworden, Sie haben ein Kind geboren, Sie hatten ein anstrengendes Wochenbett und dann noch eine OP. Fragen sie mal andere Frauen in den ersten Monaten nach der Geburt, ob Sie direkt wieder schwanger werden wollen. Kaum eine Frau hat sofort wieder Lust, sich direkt wieder Schwangerschaft und Geburt zuzumuten.“

Aber andere Frauen haben nach der Geburt ein quietschlebendiges Kind im Arm.

Ich die Trauer um meinen Sohn und dazu meinen Kinderwunsch nach in dieser Welt herumspringenden Geschwistern für J.

Zugegeben, dass klingt nach einem beschissenen Dilemma. Ist es auch. Dann denke ich an Seepferdchen und an die Schnabeltiere und bin neidisch.

Wut und Angst werden weniger

Aber dann denke ich an das unbeschreibliche Gefühl, meinen Sohn im Bauch gefühlt zu haben. Und dann werde ich wieder traurig, und wütend, und bekomme ein schlechtes Gewissen, und habe Angst und wünsche mir trotzdem wieder ein Strampeln im Bauch. Argh!!!

Mut macht, dass sich alles immer wieder verändert. Die Trauer wird anders, die Körperdinge werden weniger scheiße, die Gespräche drehen sich seit einigen Wochen wieder mehr um die Zukunft…mit Kindern.

Ich hoffe, dass die Wut und vor allem die Angst weniger werden und die Vorfreude auf eine mögliche Schwangerschaft größer wird. Es ist schon toll, wenn das Gummibärchen auf dem Ultraschall langsam zum eigenen Kind heranwächst. Vielleicht verpassen die Schnabeltiere beim Eierlegen doch was.

Ich bin froh, dass ich die Zeit und den Raum habe, dass meine Gefühle sich verändern können.

Immer auf sein Herz hören und so…

Und sonst werde ich im nächsten Leben vielleicht einfach ein Seepferdchen.


Beitrag erschienen in: übergänge.

Beitragsbild: © Autorin M., Rahmen und Zuschnitt: umstandslos

5 Replies to “… doch das Seepferdchen-Modell?”

  1. Danke, dass du deine Geschichte mit uns teilst. Etwas Tröstliches gibt es nicht zu sagen…? ich wünsche euch alles Liebe! Lg

  2. feministmum sagt:

    Liebe M., danke für diesen Text, der mich schon seit gestern sehr beschäftigt. Er thematisiert so vieles, wichtiges! was ich sonst nicht so oft (in der Öffentlichkeit) besprochen sehe. Danke, dass du es (so gut und so bewegend zu lesen) aufschreibst und mit uns teilst.
    Bei mir war es so, dass ich mir erst ca. 3 Jahre nach der Geburt meines ersten Kindes vorstellen konnte, wieder schwanger zu werden. Es hat so lange gedauert, bis ich das Gefühl hatte, körperlich wieder bereit zu sein. Und ich stell es mir in deiner Situation überhaupt nicht einfacher vor, im Gegenteil.
    Auch den Wunsch, dass das nächste Kind doch bitte mein Freund kriegen soll, kenne ich sehr gut.
    Viel Kraft für deine/eure nächsten Schritte und ich würde mich sehr freuen bald wieder einen Text von dir zu lesen! Lg Antonia

  3. K sagt:

    Liebe M.,
    du schreibst mir aus dem Herzen. Diese ganzen Ängste, dann werde ich auch nicht jünger und die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind wieder nicht gesund wird, wird somit (angeblich) immer größer. Ich vermisse meinen Sohn auch so sehr.
    Du hast ein großes Geschenk, nämlich deinen Freund und die Menschen um dich herum von denen du woanders geschrieben hast. Mein Partner und ich trauern sehr unterschiedlich und es fühlt sich nicht so an, als würden wir etwas teilen. Das ist unglaublich hart. Vielleicht magst du irgendwann schreiben, wie ihr das bewerkstelligt? Ich finde es bei uns sehr normativ, ich heule, er nicht usw usw…
    Meine Ärztin hat mir gesagt, dass das alles nur heilen kann, wenn sich eine neue Geschichte, eine neue Erfahrung darüber legt. Und ich erinnere mich oft an das Sprichwort, wenn man vom Pferd fällt, soll man schnell wieder aufsteigen, auch wenn es weh tat. Sonst traut man sich nicht mehr.
    Ein bisschen stimmt das wohl auch für uns. Die Angst wird nicht weniger.
    Trotzdem ist es bestimmt gut, erstmal wieder in deinem Körper anzukommen. Mir geht es auch so. Ich genieße es, mich wieder freier zu bewegen.
    Ich persönlich finde es auch schön unserem Baby Raum zu geben, auch wenn er nicht hier bei uns ist. Wir haben uns entschieden, das “Trauerjahr” einzuhalten und dann weiter zu sehen. Trotzdem wäre ich auch gern Mama eines lebenden Babys. Der Wickeltisch steht immer noch am gleichen Platz.
    Ja, es ist ein verdammtes Dilemma.
    Viele Grüße und danke für deinen Text. K.

    • M. sagt:

      Liebe K.,
      es tut mir sehr leid, dass ihr euren Sohn verloren habt.
      Umarmung von einer trauernden Mama zur anderen aus der Ferne!
      Danke für dein Feedback zum Text! Ich kann deine Ängste und Themen und das “sich im Trauern ganz allein fühlen” sehr gut nachvollziehen, hier auch das alles oft. Ich finde auch den teilweise normativ daherkommenden Trauerprozess total ätzend und einen Haufen Arbeit, das immer immer immer (!) wieder auzubrechen und aufzulösen.
      Ganz schön dazu fand ich diesen Artikel im Guardian, weil das mal die Väter-Perspektive ist:
      https://www.theguardian.com/football/2016/dec/08/harry-arter-bournemouth-daughter?CMP=fb_gu
      Kennst du das folgende Buch? Gute Hoffnung, jähes Ende. Fehlgeburt, Totgeburt und Verluste in der frühen Lebenszeit von Hanna Lothrop?
      Für mich war es das einzig hilfreiche Buch unter viel Mist.
      Viele liebe Grüße, m.

  4. nina sagt:

    Liebe m.,
    ein spätes DANKE, dass ich einen Text über Stillgeburten mit feministischer Perspektive lesen durfte… besser wär’s, wenn du ihn nie hättest schreiben können, klar. Ich hoffe, die “Körperscheiße” ist seitdem weiter viel besser geworden und der Wechsel zwischen Angst und dem Wunsch nach lebenden Kindern sich irgendwie an einem für dich positiven Punkt einpendelt.
    Nach dem Tod unseres ersten Kindes (auch ein J.) waren Freund und ich bei einer Trauerbgeleitung, war sehr gut, neutraler Blick von außen, Hilfe beim Aufbrechen normativer Muster, aber eben auch: privilegiert und irgendwie auch outgesourct von der Gesellschaft/ unserem Umfeld. Ich war nach sieben Monaten wieder schwanger, die Welt erleichtert und wir neun Monate das Gegenteil: im mentalen Ausnahmezustand, immer drauf vorbereitet, dass wieder… Der Zug ‘entspannte Schwangerschaft’ ist halt einfach abgefahren für uns. Das hat mich so wütend und neidisch gemacht, trotz lebendem Geschwisterkind, aber mittlerweile (nach drei Jahren) ist es okay.
    Genau: Immer auf dein Herz hören und dich von den langsamen Veränderungen tragen lassen. Wat kommt, dat kommt.
    Alles, alles Gute
    nina
    ps: bei mir ist es so, dass die Schwangerschaften eher Entspannung von einem ätzenden Zyklus waren (viel Migräne, viel Schmerzen, viel viiiiiieeeel und lange Blut), den ich gerne abgeben würde. Mein Wunschtier für’s nächste Leben wäre also eher was Richtung Kaninchen: Eisprung on demand…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.