von Cornelia
Buchcover und Titel von Antonella Gambotto-Burkes “Mama: Love, Motherhood and Revolution” vermitteln eine starke, von sich einnehmende Botschaft. Das gesellschaftskritische Buch ist ein Plädoyer gegen die Abwertung von Mutterschaft. Statt progressiver Lösungsstrategien zur Stärkung von Elternpositionen in neoliberalen Leistungssystemen verharrt es jedoch vorrangig auf individuellen Verhaltenstipps mit Fokus auf die Mutter.
Antonella Gambotto-Burke zelebriert in “Mama: Love, Motherhood and Revolution” ein Mutterbild, das in seinem Biologismus und Idealismus mit feministischen Forderungen nur schwer vereinbar ist. Die Betonung der besonderen Mutter-Kind-Bindung legt nicht nur die Gesamtlast auf Mütter, sondern schließt gleichzeitig andere Elternteile oder soziale Bezugspersonen aus. Diese Perspektive reiht sich in die Konstruktion des romantisierten Muttermythos im Sinne des Pädagogen Jean-Jacques Rousseau Ende des 18. Jahrhunderts ein. Dieser Muttermythos wurde anfänglich vor allem durch die Frauen des Bürgertums in der Hoffnung auf gesellschaftliche Aufwertung getragen und später durch psychoanalytisches Verantwortlich-Machen der Mutter für das lebenslange seelische Wohl und die künftige psychische Gesundheit des Kindes befeuert.
Wahre Beobachtungen, schiefe Schlüsse
Warum kann das Buch dennoch wertvoll sein? Abgesehen von den fraglichen Rückschlüssen, auf denen Gambotto-Burke ihr Manifest aufbaut, erweist sie sich als scharfe Beobachterin von gesellschaftlichen Verhältnissen. Es ist eine Gegenstimme zu einem Karrierefeminismus, der unter dem Deckmantel der Wahlfreiheit wieder lediglich nur ein neues Ideal mit einem Rattenschwanz an Zwängen erfunden hat. Die Autorin zeigt auf, wie sehr westliche Gesellschaften weibliche Zuschreibungen abwerten und männliche Verhaltensmuster glorifizieren. Sie prangert die Sexualisierung von Mädchen an und zeichnet anhand ihrer eigenen Kindheit und Jugend zwischen Bulimie und Anorexie ein Bild vom weiblich sozialisierten Erwachsenwerden als eines, das von Defiziten, Kontrolle und Einschränkungen geprägt ist.
Beispielhaft arbeitet Gambotto-Burke problematische Zusammenhänge auf: Schauspielerinnen, die wenige Tage nach der Geburt unter lobendem Beifall auf die Bühne zurückkehren, die mediale und politische Ignoranz gegenüber Müttersterblichkeit weltweit, die Unzulänglichkeitsgefühle, mit denen Müttern schon ab Beginn der Schwangerschaft – nicht zuletzt vom Gesundheitssystem – gefüttert werden.
When mothers find themselves in the suburbs, isolated from status – and from partners forced to work hours (…) – they can feel as if they’re drowning. Because effective mothering requires not only a sustained investment of energy into the child by the mother, but an equal investment of energy into the mother by her partner, family and community. (Antonella Gambotto-Burke)
Immer wieder finden sich am Ende der Kapitel, die wahlweise Episoden aus Gambotto-Burkes eigener Mutterschaft erzählen oder Gespräche mit Expert*innen (u. a. Historikerin Stephanie Coontz, Sozialanthropologin Sheila Kitzinger, Psychologin Laura Markham, Attachment-Parenting-Pionierin Lysa Parker, Mediziner Gabor Maté) wiedergeben, optisch hervorgehobene Kästen mit Tipps (Anregungen für freudvolles Erziehen, Ratschläge für eine Verlangsamung des Alltags, acht Schritte zu Attachment, Leitfaden für IVF-Eltern), die verschiedene und durchaus wertvolle Anregungen für die eigene Elternschaft geben können.
Attachment Parenting mit Scheuklappen
Das Buch ist ein radikales Plädoyer für (ausschließliches) Attachement Parenting. Und damit in letzter Konsequenz auch ein Vorwurf an andere Erziehungswege. Die Autorin kritisiert die vermeintliche Wahlfreiheit, die es Müttern heute erlaubt, ihre Erziehungsverantwortlichkeit zu “vergessen” – der Kontext und der Druck von (aber nicht nur) Alleinverdiener*innen, Geld verdienen zu müssen, bleibt dabei ausgeblendet, wie strukturelle Rahmenbedingungen von Familien insgesamt.
Es ist schade, dass es Gambotto-Burke nicht gelungen ist, sich von reaktionären Mutterschaftsidealen zu befreien und dennoch Kritik an der neoliberalen Neudefinition von Mutterschaft zu üben. Es ist auch schade, dass die Autorin im Feminismus keinen Verbündeten gefunden hat, sondern ihn (TM) mitverantwortlich für die Herabwürdigung von Mutterschaft macht. Ebenso schade ist, dass die Argumentation sich auf die fatale Hochstilisierung der so genannten Mutterliebe stützt. Es ist auch schade, dass Väter in dem Buch dadurch aus ihrer Verantwortung für die Sorge und Pflege von Kindern entlassen werden und damit trotz Kritik an dem Ist-Zustand eine traditionelle Rollenverteilung in heterosexuellen Beziehungen fortgeschrieben wird.
Men, too, have forgotten that they have to care for women, not simply desire them – in particular, they have to care for the women who bear their children. One of the most tragic facets of our culture is that men have come to understand their role as one of earning money and little more. (Antonella Gambotto-Burke)
Schade ist ebenso, dass der Aspekt Scheidung ausschließlich aus der Vater-(Kind-)Perspektive reflektiert wird (ein Standpunkt, der wiederum an Väterrechtler-Perspektiven in Deutschland und Österreich erinnert). Doppelt schade ist in diesem Licht, wie oft in dem Buch Männer als Experten vorkommen, die Müttern erklären, wie sie sich zu verhalten hätten.
Anstatt mit ihrer Kritik tiefer in patriarchalen Strukturen und kapitalistischen Zusammenhängen zu graben, spinnt Gambotto-Burke lediglich das althergebrachte Mutterideal weiter. Damit schließt sie freiwillig und unfreiwillig gelebte Realitäten vieler Familien, Eltern und Mütter aus. Ja, das ist schade. Und eine vergebene Chance.
Das Buch hat seine großen Momente, wenn Gambotto-Burke sich vom ideologischen Ballast befreit, den sie gleichsam auf ihr Buch wie auf Mutterschaft geschaufelt hat, und aus ihrem Leben erzählt – ehrliche und offene Episoden über ihre eigene Kindheit, ihre Ehe, die Geburt, die ersten Tage als Mutter, das Zusammenleben mit ihrer Tochter und nicht zuletzt über die Trennung von ihrem Mann während der Fertigstellung des Buches. Damit skizziert sie nach und nach, warum Attachment Parenting für sie persönlich der Schlüssel zum (Eltern-)Glück ist. Der Rest ist lässlich.

Gambotto-Burke, Antonella (2015). Mama: Love, Motherhood and Revolution. London: Pinter & Martin Ltd.
Beitragsbild: Buchcover-Ausschnitt (Zuschnitt und Rahmen: umstandslos)
Anmerkung: Das Buch wurde als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
erschienen in: widerständig