10 Jahre EHE OHNE GRENZEN – wir bleiben widerständig!

Elternativ

von Claudia
Wenn man nach den Buchstaben des Gesetzes geht, macht es einen sehr großen Unterschied, in wen ich mich verliebe, ja das ganze Familienleben kann davon abhängen. Welchen Aufenthaltstitel hat mein*e zukünftige*r Partner*in, darf er*sie überhaupt nach Österreich einreisen, bin ich überhaupt bereit zu heiraten und verdiene ich genug für ein gemeinsames Leben? Das Recht auf Familienleben ist nicht immer gleich viel wert, vor allem dann nicht, wenn ein Teil der Familie aus einem sogenannten Drittstaat kommt. Aber was können binationale Paare tun, um dieses Recht zu erlangen?

Nur das Beste für die Kinder… immer?
In Elternzeitschriften oder Ratgebern häufen sich Artikel über die Wichtigkeit des Vorlesens und Erzählens. Körperliche Nähe zum Kind und die Anwesenheit konkreter Bezugspersonen helfen bei der Entwicklung des Kindes, stärken das Sicherheitsgefühl und schützen vor Suchtverhalten – so ist es zu lesen.
Es gibt sogar Theorien darüber, wie viel Körperkontakt zwischen Menschen – insbesondere auch zwischen Eltern und Kindern – nötig ist, um positive Effekte wie Vertrauen, Empathie oder Verständnis zu erzeugen (eine Studie spricht von 20 Minuten pro Tag).

Die Annahme (…), dass die üblichen Kommunikationsvorgänge im Zusammenhang der Beziehung zwischen einem Vater und einem etwa einjährigen Kind, nämlich vor allem körperliche Nähe und nonverbale Interaktion, durch elektronische Medien ersetzt werden können, ist lebensfremd“ (vgl. VfGH 25.2.2013, U2241/12)

Eigentlich logisch. Oder? Leider dann nicht, wenn es um nicht-österreichische Familien geht. Erst das Verfassungsgericht in Österreich muss dieses urteilen, damit das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) eines Familienvaters anerkannt wird.
Mehr als zwei Jahre später muss oben zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erneut hervorgeholt werden, damit eine Frau nicht vom Rest ihrer Familie getrennt wird. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) argumentiert nämlich, dass ein Elternteil abgeschoben werden kann, obwohl sich der Lebensgefährte und das damals fünf Monate alte Kind in Österreich befinden und asylberechtigt sind. Laut BVwG sei ein Familienleben auch durch briefliche, telefonische oder elektronische Kontakte, oder durch gegenseitige Besuche, die auch außerhalb des Verfolgungslandes des Vaters stattfinden könnten, möglich. Der VfGH hebt diese Erkenntnis mit oben angeführtem Argument auf (vgl. VfGH 19.06.2015, E426/2015).

Auf die Staatsbürgerschaft kommt es an
Familien, die vom Asyl- oder Fremdengesetz betroffen sind, wird ihr Recht auf Familienleben durch den österreichischen Staat aberkannt. Plötzlich spricht kein*e Politiker*in mehr über das „Familienleben als höchstes Gut“. Er*Sie hat kein Problem damit, einen Elternteil abzuschieben oder erst gar nicht in das Land einreisen zu lassen. Das Familienleben wird zu einem Privileg und hängt von der Staatsbürgerschaft ab. Dass sich auch ein*e Österreicher*in in eine*n sogenannte*n Drittstaatsangehörige*n verlieben kann, bringt den Staat sozusagen in eine Zwickmühle. 2015 werden 13.372 binationale Ehen in Österreich geschlossen, bei 3.240 Ehen davon sind beide Partner*innen Nicht-Österreicher*innen. Der Großteil der binationalen Ehen wird also zwischen einer österreichischen und einer nicht-österreichischen Person geschlossen, in etwa mehr als der Hälfte der Fälle ist der ausländische Teil Drittstaatsangehörige*r. (Vgl. EHE OHNE GRENZEN. Begegnung mit Familie grenzenlos. Hintergrundbericht zur Situation binationaler Familien und Lebensgemeinschaften in Österreich. 2016. Seite 66.)
Binationale Paare und Familien haben mit der derzeitigen Rechtslage zu kämpfen und müssen immer öfter getrennt voneinander leben. Im Jahr 2006 kommt es in Österreich zu gesetzlichen Bestimmungen, die ein gemeinsames Ehe- und Familienleben verhindern. Eine Ehe allein begründet seither nicht mehr das Recht auf Aufenthalt und gemeinsames Familienleben, ein Berufen auf Artikel 8 EMRK wird in einem Gespräch zwischen Aktivistinnen der Initiative EHE OHNE GRENZEN mit dem damaligen Innenminister bereits am 6.6.2007 zunichte gemacht: „Wo steht denn geschrieben, dass Ihr Familienleben in Österreich stattfinden muss?“

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Für Alle!

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. (Artikel 8 EMRK)

Als Beraterin von EHE OHNE GRENZEN erreichen mich fast täglich Hilferufe von Familien, denen es nicht möglich ist, gemeinsam in Österreich zu leben. Familien, die sich entschieden haben gemeinsam nach Österreich zu übersiedeln, um auch das Land des*der anderen Partners*Partnerin kennenzulernen, die Kinder in eine österreichische Schule zu schicken oder der restlichen Familie nahe zu sein. Wenn diese Familie dann erfährt, dass es dem*der sogenannten drittstaatsangehörigen Partner*in aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nicht möglich ist, mitzuziehen, bricht eine Welt zusammen.
Für einen Aufenthaltstitel als „Familienangehörige*r“ in Österreich braucht es u.a. ein Mindesteinkommen – für eine vierköpfige Familie entspricht das rund 2.000 Euro netto pro Monat, das zuerst der*die Österreicher*in nachzuweisen hat. Der*die drittstaatsangehörige Partner*in muss ein Sprachzeugnis für Deutsch auf A1-Niveau nachweisen, bevor er*sie überhaupt einreisen darf. Das heißt: das Familienleben muss für eine gewisse Zeit getrennt stattfinden, um die Voraussetzungen des Zusammenlebens zu erreichen. Der Staat schreibt vor, wie viel Geld die Familie braucht, wie eine Familie zu leben hat – nämlich an der gleichen Meldeadresse – und was eine „echte Ehe“ ausmacht – auch das kann ganz genau überprüft werden. Ohne standesamtlich verheiratet zu sein, ist es nämlich tatsächlich nicht möglich, das Familienleben in Österreich zu führen. Kinder binationaler Paare haben in Österreich also kein uneingeschränktes Recht auf beide Elternteile.

Schutz des Kindes über alles?
Der Artikel 18 Abs 1 der UN-Kinderrechtskonvention bekräftigt den Grundsatz der Verantwortlichkeit beider Elternteile für die Erziehung und Entwicklung des Kindes:

(1) Die Vertragsstaaten bemühen sich nach besten Kräften, die Anerkennung des Grundsatzes sicherzustellen, daß beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind. Für die Erziehung und Entwicklung des Kindes sind in erster Linie die Eltern oder gegebenenfalls der Vormund verantwortlich. Dabei ist das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen.

Österreich hat erst seit 2011 und auch nur einige Kinderrechte der UN-Konvention in der österreichischen Bundesverfassung verankert. In dem Bundesverfassungsgesetz heißt es in Artikel 2 Abs 1:

Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehung und direkte Kontakte zu beiden Elternteile, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.“

Doch Österreich hat vorgesorgt und durch einen Vorbehalt in Artikel 7 das wiederum relativiert, da zahlreiche Ausnahmeregelungen vorgesehen sind:

Eine Beschränkung der in den Artikeln 1,2,4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes gewährleisteten Ansprüche ist nur zulässig, insoweit sie gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Fremdenrecht schlägt Kinderrecht. Die in der UN-Konvention vorgesehenen Schutzrechte von Kindern im Asyl- und Fremdenrecht werden von Österreich völlig ignoriert – ansonsten wäre das Fremdenrecht ohne Zweifel gesetzeswidrig.

Widerständig seit 10 Jahren
In wie weit kann es sich hier eine Familie leisten widerständig zu sein? Den meisten Paaren fehlt verständlicherweise die Kraft, neben dem bürokratischen Aufwand und dem Erfüllen aller Voraussetzungen für den Aufenthaltstitel auch noch auf die Straße zu gehen und für ihre Rechte zu kämpfen, oder sich bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchzukämpfen. Vor allem haben es schon manche vor ihnen versucht und sind gescheitert. Wer es von vornherein nicht schafft, in ein Land einzureisen, weil die Kriterien dazu so verschärft sind, hat es auch schwer, vor Gericht nachzuweisen, dass ein Privat- und Familienleben in dem jeweiligen Land bereits vorliegen kann – und neben all den rechtlichen Verpflichtungen soll dann auch noch eine Ehe/Partnerschaft gelebt werden.
Die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention sind wichtige Meilensteine in der Gesetzgebung. Dass diese auch zu 100 Prozent erfüllt werden und ohne Gesetzesvorbehalt in Österreich umgesetzt werden, dafür setzt sich die Initiative EHE OHNE GRENZEN ein. Wir bleiben widerständig, auch nach 10 Jahren ehrenamtlichen Engagements kämpfen wir weiterhin für die Rechte von binationalen Paaren, Familien und Lebensgemeinschaften sowie für die Gleichstellung von binationalen mit österreichischen Familien.


Ehe ohne Grenzen (EOG) mit Sitz in Wien ist eine Initiative, die gegen gesetzliche Bestimmungen kämpft, die ein gemeinsames Ehe- und Familienleben verhindern. Das Hauptziel von EOG ist die rechtliche Gleichstellung von binationalen und österreichischen Paaren, Familien und Lebensgemeinschaften.
Beitragsbild: Ehe ohne Grenzen. Rahmen und Zuschnitt umstandslos.
Erschienen in: widerständig

3 Replies to “10 Jahre EHE OHNE GRENZEN – wir bleiben widerständig!”

  1. A.P sagt:

    Guten Abend!
    (mein englisch ist besser in dieser beziehung besser als mein deutsch. bitte um entschuldigung.)
    welch ein überaus interessanter artikel und ein interessantes und relevantes thema noch dazu. leider auch extrem komplex und dabei höchst wichtig.
    ich weiß wie schwierig das thema ist, aber ich meine trozdem, dass Ihr artikel das problem als etwas zu einfach darstellt.
    “Fremdenrecht schlägt Kinderrecht. Die in der UN-Konvention vorgesehenen Schutzrechte von Kindern im Asyl- und Fremdenrecht werden von Österreich völlig ignoriert – ansonsten wäre das Fremdenrecht ohne Zweifel gesetzeswidrig.”
    das klingt,als ob österreich blindlings geltendes recht ignorieren würde. recht,das genauso bindend ist wie nationales oder eu recht und auf das sich jeder vor gericht berufen kann. dem ist natürlich nicht so. ich lese häufig auf blogs das dieses oder jehnes “UN recht” / “un convention XY ” verletzt etc. Der aufschrei ist dann dementsprechend.
    dabei sind un conventions nicht wirklich bindend und selbst die ratifizierung der ländern nicht verpflichtend.
    Das problem ist meiner meinung nach nicht nur gültiges nationales recht, sondern das dem zugrunde liegende eu recht der actuellen directive. die folgt,leider, immernoch den ideen der markt und wirtschafts union und binded bleiberechte der dritt staatlichen eltern an die situation des eu bürger elternteils. traurige urteile wie McCarthy bestätigen das.
    Das ganze scheint mir daher eher ein eu problem als ein rein nationales, was es umso schwerer macht. Ich weiß wie schwierig der bereich ist, allerdings ist der eintrag, jedenfalls in meinen augen, etwas irre führend. klingt es doch so als ob es alleine darum geht, das absolut geltendes recht verletzt wird. ( UN convention) ich finde es sollte auch,zumindest teilweise, aufmerksamkeit auf das darüberliegende größere eu weite problem geworfen werden oder zumindest,deutlicher, darauf hingewiesen werden. (einige mögen evtl den zusammenhang zwischen “was in österreich sache ist” und ” wie die situation in deutschland ist” nicht sehen.)
    Dennoch, viel erfolg bei ihrer arbeit! ich finde es es enorm wichtig, menschen in diesen situationen zu unterstützen. 🙂

  2. Claudia sagt:

    Die Unterzeichnung und Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wurde eine feste Beitrittsbedingung für Staaten, die dem Europarat angehören möchten. Die EMRK ist das wichtigste Menschenrechtsübereinkommen in Europa und von „Jedermann“ einklagbar. Sie ist nicht einfach eine bloße unverbindliche Absichtserklärung, sondern ein besonderer Rechtsschutz, deren Einhaltung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg überwacht wird und dessen Urteile rechtlich bindend sind.
    Eine UN-Konvention ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Österreich hat die Kinderrechtekonvention erst vor kurzem und nur teilweise ratifiziert – und in das österreichische Verfassungsrecht übergeleitet. Mit dem Beitritt zur bzw. mit der Ratifikation der UN-Kinderrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, die in mehr als 50 Artikeln festgelegten Rechte der Kinder innerstaatlich durch entsprechende Gesetze und behördliche Maßnahmen zu verwirklichen.
    In den Fremdenrechtssammlungen findet sich immer wieder folgende Ausschließungsklausel: „bei Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ – mit dieser Klausel wird de facto in der aktuellen Rechtsprechung das „Wohl des Staates“ über das „Wohl des Kindes“ und auch über das der Antragsteller*innen für Aufenthaltstitel in Österreich gestellt.
    Weil die Beraterinnen von Ehe-ohne-Grenzen mit dieser österreichischen Rechtsauslegungspraxis regelmäßig konfrontiert werden, kam es zur kürzestmöglichen Formulierung in diesem Zusammenhang. Wir beobachten höchst interessiert die Arbeit des EuGH und die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht, die einzelnen Betroffenen müssen entsprechend unserer Rechtslage informiert werden.

  3. […] stellt bei umstandslos Ehe ohne Grenzen vor, eine österreichische Organisation, die Menschen in binationalen Ehen zu rechtlichen Fragen […]

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