von Cornelia
TIP [abwechselnd lachend und wütend]: “Oh! Ich glaub’s einfach nicht! Aber dein Schiff ist doch weggeflogen? Aber du bist wieder da! – Aber was machst du hier?”
OH [mit Alien-Akzent]: “Es ist da, wo ich gehöre hin. Du und Schweinkatze sind meine Freunde.”
(Aus: Home – Ein smektakulärer Trip)
Freundschaften sind ein wichtiger und gefragter Wert im Unterhaltungsfernsehen. Seit den Nullerjahren spielen Hollywood-Filme mit hohen moralischen Werten mehr Geld ein als Filme, in denen sich viel um Gewalt und Sex dreht. Der Filmkritiker und Historiker José García führt dies auf mehrere Gründe zurück: „Als ein Motiv kann vielleicht die aus der Globalisierung folgende Verarmung zwischenmenschlicher Beziehungen ausgemacht werden, die zu einer Suche nach Geborgenheit drängt. Des Weiteren ist zu beobachten, dass der Aufschwung der Freundschaft mit einer positiven Besetzung der Familie im Film einhergeht, was nach dem Individualismus und Egoismus des Kinos der Siebziger- und Achtzigerjahre auf eine Rückkehr konservativer Werte hindeutet.“ [1]
Welche Gründe auch immer für die steigenden Werte von Freundschaft und Solidarität im Erwachsenenkino schlagend gemacht werden können, für Kinder hat die Entwicklung von Freundschaften im Alltagsleben einen ganz besonderen Stellenwert: Kinderfreundschaften sind wichtige Grundpfeiler beim Entwickeln von sozialen und kognitiven Fähigkeiten. Sie sind auch wichtig für spätere Beziehungskompetenzen und lehren den Umgang mit Emotionen in komplexen Situationen. Streite werden entfacht, Versöhnungen gefeiert, Verbündungen geübt und Geheimnisse geteilt. Eifersüchteleien, Schwärmereien und Held_innentum – die Bandbreite der Gefühle, die Freundschaften schon bei Kindergartenkindern hervorrufen, ist beachtlich. „Du bist nicht mehr mein_e Freund_in“ ist ein starkes Argument, das in bestimmten Altersgruppen (vermeintlich) leichtfertig in den Mund genommen wird. Es ist ein Herantasten an die Bedeutung und Definition von Freundschaften für das eigene Leben. [2]
Romantische Liebe in Kinderfilmen
Entsprechend werden Freundschaften auch in Kinderfilmen hochgehalten. Sie sind eng und nicht selten gegen äußere Feind_innen gerichtet. Sie zeichnen sich oft durch die Unterschiedlichkeit der Charaktere aus und müssen im Laufe der Handlung häufig harte Proben bestehen. Und: Sie sind meistens gleichgeschlechtlich.
Skeptisch betrachtet werden kann die parallel dazu kontinuierlich eingewebte Romantik, wenn es sich um Mädchen- und Bubenfreundschaft handelt. Diese sorgt für knisternde Begegnungen und spätestens beim Happy End für zumindest einen Kuss und gerötete Wangen – selbst in Filmen für jüngere Kinder. Und das fast als Gesetzmäßigkeit: Rabe Socke und Bibermädchen Fritzi („Der kleine Rabe Socke“), Hicks und Astrid („Drachenzähmen leicht gemacht“), Mulan und Shang („Mulan“ 1+2 ), Lilli und Andreas („Hexe Lilli – Der Drache und das magische Buch“), Mogli und Shanti („Das Dschungelbuch“ 1+2), Mike und Amy („Einmal Mond und zurück“), Maki und Soula („Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa“). Die Liste ist unendlich erweiterbar.
Eindimensionale weibliche Figuren zum Verlieben
Die Problematik ergibt sich unter anderem aus dem ohnehin bestehenden Mangel an weiblichen Hauptfiguren. Während es meist mehrere männliche Identifikationsfiguren gibt, ist das weibliche Charakter-Repertoire nicht selten reduziert auf eine mütterliche Figur und eine Figur aus der Peergroup des Heldens. Überspitzt gesagt: Neben dem Cleveren, dem Starken und dem Chaotischen ist das Mädchen im Bunde durch sein Geschlecht offenbar ausreichend markiert – und muss dann zum Ende hin auch noch als Liebe für den Protagonisten herhalten.
Vor allem bei den Disney-Filmen spielt Romantik eine große Rolle bei der Definition von Weiblichkeit [3]. Entsprechend der tradierten Geschlechterstereotypen sind Mädchen und Frauen vielfach durch Unterwürfigkeit und Passivität charakterisiert – selbst wenn sie die Hauptrolle spielen (schöne Ausnahmen sind Merida aus “Merida”, Elsa aus “Frozen” und die neue Disney-Prinzessin Elena aus “Elena of Avalor”, die weder passiv sind, noch romantische Liebe im Sinn haben).
Glücklich macht die klassische weibliche Disney-Figur selten die erfolgreiche Meisterung der Aufgabe oder Herausforderung, die ihr der Film stellt, allein, sondern erst das Liebesglück.
Mulan bringt ihrem Vater, nachdem sie als (verkleideter) Soldat das Kaiserreich gerettet hat, ein Schwert und das Siegel des Kaisers zu Ehren der Fa-Familie. Dieser legt die Gaben zur Seite und versichert Mulan, dass das schönste Geschenk und die größte Ehre für ihn sei, sie zur Tochter zu haben.
GROSSMUTTER zu Mulans Mutter: “Na, toll. Sie bringt ein Schwert mit. Ich frage mich, warum hat sie keinen Mann mitgebracht?”
SHANG taucht überraschend auf: “Entschuldigung! Wohnt hier eine Fa Mulan.”
Die beiden weisen ihm wortlos den Weg. SHANG: “Danke sehr.”
Die GROSSMUTTER raunt: “Uuhh! Jetzt wäre ich auch gern Soldat!”
Shang bringt Mulan den Helm zurück. (…)
MULAN fragt: “Möchtest du zum Essen bleiben?”
GROSSMUTTER ruft (aus der Ferne): “Möchtest du für immer bleiben?”
Gerade in den älteren Prinzessinnen-Filmen sind die beiden Motive – das Bewältigen einer Herausforderung und die Suche nach Liebesglück – verschmolzen und das „They lived happily ever after“ ist die im Film zu lösende Aufgabe.
Im Gegensatz dazu ist die romantische Liebe für männliche Helden stets nur eines neben weiteren Zielen im Film. Die Fixierung von weiblichen Figuren auf die romantische Liebe ist besonders mit Berücksichtigung der normschönen Optik der Heldinnen, die angesichts deren Passivität mehr oder weniger einzige Gehilfin beim Erreichen des romantischen Filmziels ist, mehr als kritikwürdig.
Filme als Orientierungshilfen
So wird für Kinder, die sich mit den weiblichen Figuren identifizieren, das in ihrer Lebenswelt wichtige Thema Freundschaft stark vernachlässigt und zugunsten vom Thema romantische Liebe, das sich in der realen Entwicklung meist erst viel später stellt, verdrängt. Rezeptionsforschungen und Mediensozialisationsstudien zum Kinderfernsehen zeigen, wie wertvoll mediale Held*innen für die Alltagsorientierung von Kindern sein können und dass besonders Kinder aus ökonomisch benachteiligten Familien Kompensationsvorlagen und Orientierungshilfen im Fernsehen suchen. [4]
Parallel dazu ignoriert die Reduktion von romantischer Liebe auf nicht-gleichgeschlechtliche Figuren gleichgeschlechtliche Liebe, ebenso wie die klare Trennung in als weiblich und als männlich gekennzeichnete Figuren die konstruierte Binarität der Geschlechter fortschreibt.
Eine interessante Lösung für den (filmisch konstruierten) Freundschaft-Liebe-Konflikt bietet der dänische Film „Kletter-Ida“. Sebastian und Jonas, die beiden Freunde der zwölfjährigen Protagonistin Ida, scherzen damit, in wen sich ihre Freundin verlieben könnte. Im Laufe der Vorbereitungen für einen Bankraub, den die drei zur Geldbeschaffung für eine wichtige Operation für Idas Vater verüben wollen, buhlen die beiden Jungs derart ungeschickt um das Mädchen, dass der Plan dadurch gefährdet ist. Es endet in einem Streit. Ida täuscht daraufhin jedem der beiden vor, in ihn verliebt zu sein. Sie bittet um Geheimhaltung, um den jeweils anderen nicht eifersüchtig zu machen. In Wirklichkeit ist sie in keinen verliebt.
Nicht-gleichgeschlechtliche Freundschaften ohne romantischem Touch im Film sind eine Rarität [5], dafür aber umso besonderer – auch weil darin gesellschaftliche Geschlechter-Zuschreibungen und damit verknüpfte Eigenschaften kaum eine Rolle spielen. Außerdem unterwandern diese Filme die klassische Einteilung in Mädchen- und Bubenkino wohltuend.
[1] Vom Wert der Freundschaft im Film (Kulturzeitschrift Humboldt)
[2] Warum sind Kinderfreundschaften so wichtig und wie lassen sie sich fördern? (Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung/KITA-Handbuch)
[3] Das Disney Gender-Modell (Ruhr-Universität Bochum)
[4] Kinder suchen Helden noch im Fernsehen (Die Presse)
[5] Beispiel sind Johanna & Mathias in „Der Blaue Tiger” (FSK 0 | empfohlen ab 6 Jahren), Heidi & Peter in der Neuverfilmung „Heidi“ (FSK 0 | JMK-Empfehlung: ab 6 Jahren) und Tip & Oh (als tendenziell männlich lesbarer außerirdischer Freund) in „Home – Ein smektakulärer Trip“ (FSK 0 | JMK-Empfehlung: ab 6 Jahren)
Beitragsbild: “Der blaue Tiger” (c) Farbfilm via Farbfilm Verleih
Erschienen in: Sommeredition