von Kristin
Zugegeben: Ich weiß nicht viel über meine Oma, unser Verhältnis war nie und ist bis heute nicht besonders gut. Alles was ich weiß, habe ich in den letzten Jahren durch meine Mutter erfahren. Da ist dieser Graben zwischen uns, den ich auch für diesen Text nicht überwinden konnte. Ich habe es nicht geschafft, mit ihr zu sprechen. „Das kannst du ja auch nicht mit ihr. Das können wir ja auch nicht,“ sagt Mama, auch sie weiß vieles nicht, erfuhr erst als Erwachsene Details. „Sie hat sich immer nur mit meinem Vater gestritten, wenn wir nicht dabei waren.”
Mama und ich haben uns auf den Balkon gesetzt. Zwischen uns wuseln das Kind und die Katzen. Es ist nicht das erste Gespräch, das wir führen zu unserer Geschichte – und es wird bestimmt auch nicht das letzte sein. So vieles hat sich geändert, so vieles ist gleich geblieben. Meine Mutter: geboren Anfang der 50er, als erste von zwei Schwestern in einer Kleinstadt in Niedersachsen, ihre Mutter gerade erst Anfang 20, gelernte Haushälterin aber dann doch ihr ganzes Leben Hausfrau geblieben. Sie hätte gerne gearbeitet, ihr Mann wollte das nicht. Tatsächlich ist mein Großvater oft Thema in dem Gespräch über uns drei Mütter, bezeichnend für seine Art, alles kontrollieren zu wollen, alles besser zu wissen. Ich mag versuchen, ihm nicht noch mehr Raum hier zu geben.
Also zurück zu Oma, die hat ihre Töchter trotz allem verteidigt: „Lass sie doch machen oder stell sie dir in’ Glaskasten!“ Im Zweifelsfall wurde der Vater eben belogen. Es war die klassische heteronormative patriarchalische Familie. Oma kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Kindergarten kam nicht in Frage. Nur sonntags ging der Vater ‘mal mit den Kindern spazieren, damit sie das Essen machen konnte. Die Familie verbrachte viel Zeit bei meiner Uroma, wenn mein Großvater arbeiten war und meine Mutter liebte es „Meine Oma war ja ‘ne ganz liebe. Das war so’n bisschen wie auf dem Bauernhof … Wir haben uns immer gefreut wenn es hieß: Wir gehen zu Oma.“ – „Das ist heute auch immer noch so, nicht wahr?“
Das Kind grinst.
Die Großmutter als (einzige) Unterstützung der Mutter, auch heute noch bzw. wieder, Normalität.
Das zweite Kind wollte sie nicht, ich erfahre zum ersten Mal, dass sie versucht hat, es abzutreiben. Von der Treppe springen. Angst vor der Geburt, weil es bei der ersten Komplikationen gab. Meine Tante kommt 1957 zur Welt. Politisch aktiv war Oma nicht. Ich weiß nicht, was sie über Frauenrechte und Feminismus denkt, aber ich bekomme eine Ahnung von dem, was sie durchmachte. Mein Großvater hat sie bis zu seinem Tod abhängig gehalten.
Hatschi!
Das erkältete Kind niest und wir wechseln die Generation: Mama brach irgendwann aus, ging nach der Lehre nach Berlin, mein Vater kam nach. Sie kennen sich schon, seit sie 15 sind. Meine Mutter ging arbeiten, Papa studierte. Sie wäre gerne schon früher Mutter geworden, doch mit Mitte 30 lag sie im Durchschnitt ihrer Freundinnen. Frau traf sich im Park und während die Kinder gestillt wurden und spielten, wurde über Politik und Gesellschaft gesprochen. „Wir waren ja schon die Generation, die auch wirklich gern gearbeitet hat. “ Und das tut meine Mutter dann auch ein halbes Jahr nach meiner Geburt wieder, Elternzeit gab es eh nicht. Ich gehe zur Tagesmutter und später in den Kindergarten.
Sie ist außerdem aktives Mitglied in den Frauengruppen des DGB und der Gewerkschaft Textil-Bekleidung, ist im Betriebsrat, ehrenamtliche Richterin beim Arbeitsgericht, geht auf Demos, nimmt mich auch mal mit. Als Feministin hat sie sich nie bezeichnet, aber zu ihrem Arbeitskampf gehör(t)en immer auch die Frauenrechte, Anpassung der Gehälter und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie [Anekdote am Rande: es gibt zu dem Thema eine ZDF-Reportage mit ihr und mir als großes dickes Baby].
„Fandest du, dass Papa zu wenig gemacht hat? Zu wenig geholfen hat? Bei meiner Betreuung, emotionale Arbeit usw.?“
Jein, meine Eltern haben sich den Haushalt schon immer geteilt und auch bei meiner Betreuung war das nicht anders. 50/50 war es dennoch nicht, die emotionale Sorgearbeit übernahm meine Mutter. Das hat sich geändert.
„Der [Opa] ist besser als Papa”, wirft das Kind ein.
„Das war aber bei den anderen Frauen auch nicht anders. Es waren immer die Frauen, die zusammen gesessen haben … aber ich glaube nicht, dass es was damit zu tun hatte, dass wir für die Kinderbetreuung allein verantwortlich waren.“ Als ich zur Schule komme, geht meine Mutter in Teilzeit. Meine Eltern geben mir das Vertrauen und lassen mir die Freiheiten, die meine Mutter nie hatte. Mama arbeitet bis heute und kümmert sich obendrein noch um mich und ihre Enkelin …
Die Großmutter als (einzige) Unterstützung der Mutter.
Ich werde, wie meine Oma, mit Anfang 20 Mutter, aber innerhalb nur einer Generation wird aus Normalität etwas Ungewöhnliches. „Du bist ja selbst noch ein Baby!“ Es ist ein bisschen eine Self-fulfilling-prophecy und ich werde zur Alleinerziehenden. Seit dem kämpfe ich gegen die verschiedensten Vorurteile und wachse mit meinem Kampf. Manchmal bin ich müde, aber immer zu stur zum Aufgeben. Ich schaff das schon, ich schaff das schon … Ausbildung, Studium, Job und Kind … Ich will nicht mein Ich für das Mutter-Sein aufgeben.
Aktivismus? Ich wünsche mir mehr politische und gesellschaftliche Unterstützung für Mütter, Alleinerziehende und alle anderen Familienkonzepte abseits der 2 hetero Eltern Kind Familie. Mutterschaft im Jahr 2016. Es hat sich soviel geändert und es ist soviel noch zu tun …
Und das Kind? „Weiß ich doch nicht, ich bin elf! Aber ich will, glaube ich, einen kleinen Jack Russell.“
Erschienen in: generationen.
Beitragsbild: Kristin (Zuschnitt und Rahmen: umstandslos)