von Claudia
Einem Vater wird die Instrumentalisierung seiner Beziehung zu Tochter und Kindesmutter unterstellt, die Fähigkeit „feine Signale des Kindes“ zu erkennen abgesprochen. Außerdem sei die Einstellung des Vaters zum deutschen Rechts- und Wertesystem problematisch (siehe auch hier.) Aber alles von vorne.
Im Jänner 2015 wird in Deutschland ein skandalöser Sorgerechtsstreit, in dem Jugendamt und Familiengericht einem Vater die neugeborene Tochter wegnehmen, beendet. Das Bundesverfassungsgericht wird eingeschaltet und hebt die rassistische Gerichtsentscheidung auf (BvR 1178/14) . Die Kindesmutter hat eine schwere psychische Erkrankung und der Vater einen prekären Aufenthaltsstatus in Deutschland. Gründe genug für das Jugendamt, einzugreifen.
Das Kindeswohl sei gefährdet, so die Begründung. Der Vater kann kein Vorbild im rechtsstaatlichen Sinn für sein Kind sein, sein Aufenthalt ist nicht gesichert und er kann seinem Kind keine feste Struktur im Alltag bieten; außerdem werte der Kindesvater „die afrikanischen Erziehungsmethoden deutlich höher als die europäischen“ und distanziere sich nicht von der selbst erlebten, teilweise gewalttätigen Erziehung, so heißt es in einem Gutachten. Erst das Bundesverfassungsgericht beendet mit seinem Beschluss ein Jahr später den Spuk und stellt fest:
„Die Ausführungen des Oberlandesgerichts sind mit 16 Zeilen sehr dürftig ausgefallen. Beide Gerichte stützen sich maßgeblich auf die Feststellungen im Sachverständigengutachten. Dessen Verwertbarkeit unterliegt hier jedoch erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln (…) Nicht näher begründete negative Stereotype finden sich in Bezug auf die Kindererziehung in afrikanischen Ländern, die sie (Anm.: die Sachverständige) dem Beschwerdeführer ohne hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte zuschreibt. (…) Auf das Fehlen der gebotenen Neutralität weist insbesondere hin, dass die Sachverständige Äußerungen und Verhaltensweisen des Beschwerdeführers ebenso wie seine von der Gutachterin wiederholt in den Vordergrund gerückte Herkunft aus einem afrikanischen Land in sachlich nicht nachvollziehbarem Maße negativ bewertet (…) Der Aufenthaltsstatus ist jedoch für sich genommen ohne Bedeutung für die Frage der Erziehungsfähigkeit.“
Dieser Fall veranschaulicht sehr detailliert spezifische Problemfelder mit denen migrantische Väter zu kämpfen haben und mit denen sich das Buch Väter in internationalen Familien (In Folge ViF), herausgegeben von Carina Großer-Kaya, Özcan Karadeniz, Anja Treichel beschäftigt. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften aus Deutschland offeriert Beratung in rechtlichen und psychosozialen Fragen für binational oder bikulturell lebende Menschen an. Er ist Herausgeber des genannten Buches, in dem unter anderem das Projekt Stark für Kinder – Väter in interkulturellen Familien vorgestellt wird. Im Fokus stehen dabei migrantsiche Väter in Hetero-Beziehungen. Außerdem bietet das Buch einen Überblick über sozialwissenschaftliche Ansätze der Väterforschung, sowie der interkulturellen Väterarbeit.
Migrantische Väter sind vielen Vorurteilen und Verallgemeinerungen vor allem bei Behörden ausgesetzt. Sie werden als einheitliche Gruppe, als traditionell und sehr konservativ, aggressiv, gewalttätig, machohaft und „integrationsverweigernd“ wahrgenommen (ViF S.42).
Der Verband binationale Familien und Partnerschaften hat es sich zum Ziel gesetzt, diesen Zuschreibungen von Defiziten und Problemfaktoren entgegenzuwirken und begann 2011, die Perspektive von Männern/Vätern mit Migrationsgeschichte stärker zu berücksichtigen und Projekte zu entwickeln, die sich auf deren spezielle Interessen- und Problemfelder fokussieren. Wichtig dabei war es, die biografischen Ressourcen der Väter in den Mittelpunkt zu rücken und einen geschützten Raum anzubieten.
Der Sozialpädagoge Cengiz Deniz schildert in seinem Beitrag die Einstellung bei Fachkräften in der Jugendhilfe, diese sei defizitorientiert und es herrsche eine Distanz zu Migrant_innen in der Familienbildung und -beratung vor. Migrantische Väter finden in der Praxis der Sozialarbeit kaum Berücksichtigung. Ebenfalls fehlen positive Bilder von migrantischen Vätern als aktive und liebevolle Väter in den Medien. (ViF S.55). Vorherrschende Themen im öffentlichen Diskurs, wenn es um migrantische Väter/Männer geht, sind immer noch häusliche Gewalt, sogenannte Ehrenmorde oder Kindesentzug. Auf der einen Seite werden Väter medial als Helden gefeiert – zumindest, wenn es sich um weiße cis-hetero-Männer handelt – migrantische Väter landen auf der anderen Seite in rassistisch aufgeladenen Diskursen.
Co-Autor Michael Tunç schlägt vor, sich von der Differenz- und Defizitfixierung ethnisierter Genderdiskurse zu lösen und sich dem Konzept der Intersektionalität, das sich durch feministische Bewegungen entwickelt hat, zu bedienen. In der Väterforschung sollte der Ansatz genutzt werden, um die Diversität von Männern/Vätern zu analysieren und so die Überschneidung bzw. Wechselwirkung verschiedener Kategorien sozialer Differenzierung wie Geschlecht, Ethnizität, Klasse, Sexualität, Alter, Behinderung/Disability etc. zu erfassen. (ViF S.43) Väter- und Männlichkeitsforschung stehen seiner Ansicht nach vor der Herausforderung, widersprüchlich Positionierungen der Männer/Väter mit Migrationsgeschichte zu verdeutlichen – sie sollte sich der Mehrfachzugehörigkeit öffnen
Weiter werden im Buch Interviews mit migrantischen Vätern analysiert. In den Interviews spielt vor allem die Familiensituation eine Rolle – Erfahrungen mit Rassismus, Fremdheit, Abhängigkeit und Dominanzverhalten haben negative Auswirkungen auf die Paarbeziehung. Isolation kann als Faulheit, Unfähigkeit oder kulturell bedingtes männliches Auftreten interpretiert werden, schreibt Anja Treichel, Geschäftsführerin und Beraterin beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften in Leipzig.
„Wir sind nach Deutschland gekommen, ich konnte kein Wort Deutsch, so musste sie sich um alles kümmern. Ich habe eine Ausbildung angefangen und das war eine ganz, ganz schwere Ausbildung, sogar für die Deutschen (…) Sie musste sich um alles kümmern, was Geld betrifft und Papierkram und so weiter.“ (Interview mit Mimo, VIF S.160)
Zusätzliche Zuschreibungen aus dem Familien- und Freund_innenkreis verleiten dazu, das Verhalten des/der Partners/Partnerin zu kulturalisieren oder sogar zu entpersonalisieren. Ein Zusammenleben in Europa ergibt sich in vielen Fällen „automatisch“ durch soziale Absicherung, Angebote der Kinderbetreuung oder die Arbeitsmarktsituation. Die Gründung einer Familie untermauert zusätzlich die Bandbreite der Gründe. Treichel bezeichnet diesen Prozess als informelle Entscheidungshierarchien zugunsten der deutschen Partnerin ( ViF S.161). Individuelle Gründe des Mannes spielen meist eine untergeordnete Rolle. Der Verlust der Herkunftsfamilie und des sozialen Netzwerkes des Mannes werden hingegen selten thematisiert. Der Umzug nach Deutschland hat häufig auch einen Verlust des sozialen und beruflichen Status zur Folge. Es entsteht ein Gefühl der Dominanz der Kultur der Partnerin und ihrer Herkunftsfamilie wenn es um Entscheidungen der Kindererziehung geht – dabei werden schriftliche Quellen, Bücher oder das Internet oft als Rechtfertigung angeführt oder eine konstruierte „Normalität“, so Treichel (ViF S.164). Migrantische Väter können dadurch den eigenen Erziehungsbeitrag als unorganisierter und weniger wertvoll wahrnehmen.
„Ich hab ihn immer in die Schale getan (…) und wenn sieben Uhr oder acht Uhr kam, Zeit zum Schlafen, habe ich das bisschen geschaukelt und dann ist das Kind eingeschlafen und es war Ruhe. Aber sie (Anm.: die Partnerin) hat gelesen, Kinder sollten nicht daran gewohnt sein, dass sie so einschlafen. Sie müssen selbstständige einschlafen und im eigenen Bettchen. Und dann kam noch ihre Mutter dazu (…) Dann mussten wir das so machen.“ (Mimo, ViF S.163)
Eben Louw zieht zum Schluss des Buches Parallelen zwischen seiner Arbeit mit Opfern rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland und den „rassistisch motivierten, kumulativ stressbesetzten Lebensereignissen“ von einigen der interviewten Väter. Selbstbestimmung und Kompetenzerweiterung wird strukturell verhindert und erreicht seinen Höhepunkt, wenn für Behörden migrantische Vätern eine Gefahr für das Kind darstellen, was auch der anfangs erwähnte Fall veranschaulicht hat. Louw spricht von einer feindlich gesinnten sozialen Umgebung. Projekte, die in diesem Sinne also einen geschützten Raum bieten, können dabei Potenziale für wirkliche Empowermentprozesse schaffen.
Großer-Kaya, Karadeniz, Treichel, Verband binationaler Familien und Partnerschaften (Hrsg): Väter in interkulturellen Familien. Erfahrungen – Perspektiven – Wege zur Wertschätzung. Brandes & Apsel (2014).
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Claudia ist Beraterin bei Ehe ohne Grenzen (EOG) in Wien. Die Initiative kämpft gegen gesetzliche Bestimmungen, die ein gemeinsames Ehe- und Familienleben verhindern. Das Hauptziel von EOG ist die rechtliche Gleichstellung von binationalen und österreichischen Paaren und Lebensgemeinschaften.
Bild über: Brandes&Apsel (Rahmen und Zuschnitt: umstandslos)
Beitrag erschienen in: Väter
Dieser Beitrag erscheint auch in gekürzter Form als Rezension in: asyl aktuell. Zeitschrift der asylkoordination österreich. 1/2016.
Danke für diesen wichtigen Text
[…] Wem das nicht objektiv genug ist: Der aktuelle Text zu migrantischen Vätern bei umstandslos fasst die Situation dieser sehr gut zusam… […]