Pole Position bei der Geburt. Über selbstbestimmtes Gebären

Muttermythen

von Cornelia
Ob das Krankenhaus auch eine „Walking PDA“ anbiete, fragte die schwangerste Frau von allen, die sichtlich zufrieden auf dem Gymnastikball wippte, während der Mann hinter ihr ihre Schultern massierte. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach und während ich mich in der Runde der Schwangeren umschaute, ahnte ich: Viele von ihnen auch nicht. Es war ein gemeinschaftlicher Besichtigungstermin in der Geburtsabteilung eines Krankenhauses. Die Hebamme nickte der Frau zu und zeigte dann die Ausstattung im Kreißsaal inklusive Badewanne, Sprossenwand, Gebärhocker, Bälle und Matten. Daneben stand das klassische Entbindungsbett …
An Wehenschreiber (CTG) und/oder Ringerlösung angeschlossen, von einer starken PDA bewegungsunfähig gemacht, durch andere auftretenden Komplikationen geschwächt oder aber einfach weil keine Alternativen angeboten werden, erleben Gebärende die Geburt anders als ursprünglich geplant nicht selten schlussendlich dann in diesem Entbindungsbett.
Nichtzuletzt ist es für die Geburtshelfenden selbst die bequemste und einfachste Gebärsituation. Und: Tatsächlich wünschen sich diese Bettsituation auch viele Gebärenden, einfach weil es ein hierzulande ein schon sehr kulturell geprägtes Bild ist. In vielen Filmen und auf vielen Bildern ist es die klassische Geburtsdarstellung. Auch wenn der erste Geburtsvorbereitsungskurs – so ein solcher besucht wird – ganz schnell darüber aufklärt, dass die berühmte filmische „Und jetzt pressen!“-Phase meist nur ein ganz kleiner Teil der Geburt ist. So malen sich viele vielleicht lange vor einer Schwangerschaft ihre Geburt aus und möglicherweise bleibt die Vorstellung später auch – und daran ist freilich nichts falsch. Es ist möglicherweise das einzig Kontrollierbare an dem Vorgang der Geburt. Ein Bild, eine Situation, an die eins sich während der vielen Wochen des Wartens festhalten kann.

geburtspositionen umstandslos knocked up Universal Pictures

Bild (c) Universal Pictures (Film: Knocked Up)


Die Problematik dabei: Nicht ausblenden, nicht einfach nicht erwähnen. Gebärhocker und Sprossenwand sind super, aber für wie viele endet die reale Geburt ungewünscht eben nicht dort? Das ist ein strukturelles Problem, das geändert werden muss – aber das hilft den aktuell Schwangeren herzlich wenig. Genauso wenig wie Kaiserschnitte und die Vorbereitung darauf in Geburtsvorbereitungskursen nicht ignoriert werden dürfen.
Geburten sind nicht planbar.
Sicher. Manche können sich auf eine Geburt besser vorbereiten als andere. Manche wollen sich auch nicht vorbereiten. Aber die Informationen dazu gehören so gut wie möglich bereitgestellt.
Wissen um Geburtsstellungen ist wesentlich
Geburtsstellungen, die Wahl der Geburtsstellungen und das Wissen darum, dass es verschiedene Geburtsstellungen gibt, welche Hilfsmittel es braucht, welche Tricks, welche Unterstützung von anderen Personen – auch das hat sehr viel mit Selbstbestimmung zu tun.
Obwohl Studien wie diese zeigen, dass alternative/traditionelle Geburtsstellungen wie Hocken, Vierfüsser oder Knien mehr Raum im Becken schaffen, dominieren in vielen Krankenhäusern nach wie vor (halb-)liegende bzw. sitzende Stellungen im Bett. Eine andere Studie ergab, dass traditionellere Geburtspositionen die Wehen im ersten Stadium verkürzen. Viele Frauen* berichteten auch davon, dass sie in aufrechten Stellungen weniger Wehenschmerzen verspürten.
Die Studienautor*innen insgesamt sind sich einig, dass Gebärende immer ermuntert werden sollen, verschiedene Stellungen zu versuchen, um die für sie tatsächlich beste Position herauszufinden – auch wenn diese schlussendlich wieder jene im Bett sein sollte.
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Geburtspositionen | Bild via www.motherhood.org.uk/nb1.html


 
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Geburtspositionen | Bild via www.motherhood.org.uk/nb1.html


Auch ein simples, herabhängendes Seil (bzw. zwei) und/oder eine “Hüftbinde” kann Gebärenden eine große Unterstützung sein. Diese Technik wird besonders von indigenen Frauen* in Südamerika angewendet. Verschiedene Bilder dazu finden sich auf dieser und dieser Website. Eine bebilderte Anleitung für Geburtshelfende auf Spanisch gibt es: hier.
Denn es sind freilich nicht nur die Gebärenden, die ihre Bilder und kulturellen Vorstellungen sowie Prägungen ändern müssen, sondern auch die Geburtshelfer*innen. Und das beginnt bei den Darstellungen in den Lehrmaterialien und endet bei der Ausstattung in den Krankenhäusern.
Bei der Recherche zu und vor meiner eigenen Geburt bin ich übrigens vor allem auf viel Material zur Verhinderung jeglicher Risse gestoßen: Welche Geburtsposition verhindert Damm- und Labienrisse. Und jetzt, bei der Recherche zu diesem Artikel ist mir aufgefallen: Während es einen englischsprachigen Wikipedia-Artikel zu Geburtspositionen gibt, fehlt ein solcher in der deutschsprachigen Ausgabe. Welches Wissen gibt es wozu und welches Wissen fehlt? Und warum? Auch eine interessante Frage, nicht?
Wer also dazu in der Lage ist: Fordert Wissen ein! Und wer Wissen weitergeben kann: Zögert nicht, es weiterzugeben!
Videos gibt es unter www.rcmnormalbirth.org.uk
Studien und Bilder via wellroundedmama.blogspot.com


Beitrag erschienen in: selbst.bestimmen

5 Replies to “Pole Position bei der Geburt. Über selbstbestimmtes Gebären”

  1. Eva sagt:

    Ich habe letztens die Serie Sense8 geschaut, die ich eigentlich ganz gut fand. In einer Folge gab es eine Rückblende zu 8 verschiedenen Geburten in der ganzen Welt. Wenn ich mich richtig erinnere, waren die (bis auf eine) alle liegend im Bett. Ich fand’s etwas lächerlich.
    Bei meiner zweiten Geburt, die sich endlos hingezogen hat, habe ich eigentlich alles mögliche gemacht: Wasserbecken, rumlaufen, sitzen, liegen, schlafen… Die heiße Phase verbrachte ich im Kreißsaalbett, aber auf den Knien hockend und mich an der hochgeklappten Lehne festhaltend. Ich finde daher auch, dass frau versuchen sollte in der Geburtssituation nach dem eigenen Bauchgefühl gehen sollte, welche Position für sie am erträglichsten ist.

    • Cornelia sagt:

      der Hinweis auf die Serie und die Darstellung der Geburten darin ist gut, ja! deshalb habe ich im Beitrag auch auf den Hollywood-Film verwiesen. Ich glaube tatsächlich, dass die Darstellung (und ständige Reproduktion) solcher “klassischen, westlichen Geburten” in der Populärkultur (halb/liegend) eine sehr nachhaltig wirksame ist – für alle Beteiligten vermutlich.
      Dem eigenen Bauchgefühl zu folgen ist dann manchmal ganz schön schwer – umso wichtiger sind gute, bestärkende, ermunternde, wegweisende und umsichtige Geburtsbegleiter*innen, die alle Möglichkeiten aufzeigen – im besten Fall schon vorher.

  2. Hallo Cornelia, danke Dir für den guten Artikel. Ich bin HypnoBirthing Kursleiterin in Frankfurt und sehe es genau wie Du. Eine Geburt ist niemals planbar aber eine gute Vorbereitung kann helfen. Deshalb freue mich auch immer, wenn ich gute Informationen zu Geburtspositionen finde, die ich an meine Kursteilnehmer weitergeben kann. Meine Frage: Du schreibst, dass Du viel Material gefunden hast, mit welchen Geburtspositionen man Geburtsverletzungen Dammrisse etc vermeiden kann. Das ist super. Ich habe auch schon einiges dazu gelesen, zB dass eine Wassergeburt hier hilfreich ist und dass die so oft propagierte Frosch-Position Verletzungen eher fördert, weil sehr viel Spannung auf dem Gewebe ist. Wo finde ich dazu denn mehr Informationen? Herzliche Grüße, Barbara

    • Cornelia sagt:

      ich habe bei meiner Geburt eigentlich zu recherchieren begonnen, als mir wer das (meiner Meinung nach) ominöse “Scheiden-Erweiterungsinstrument” epi-no empfohlen hat. es gibt dazu allerdings nur eine Studie vom Hersteller und auch insgesamt erscheint mir die Idee einer mechanischen Erweiterung der Vagina im Vorfeld ohne Hormonausschüttung etc absolut nicht empfehlenswert. auch gibts keine Untersuchungen zu Spätfolgen.
      Naja, nichtsdestotrotz hat die bloße Existenz eines solchen Gerätes etwas Panik bezüglich der Geburt bei mir geschürt, weshalb ich überhaupt erst begonnen hab, in diese Richtung zu recherchieren.
      Generell waren das dann so Studien wie die hier angeführten (http://www.gentlebirth.org/archives/perinealProtection.html), die zeigten, dass es einerseits um sehr viel mehr geht als um die Geburtspositionen, um Geburtsverletzungen zu vermeiden – allerdings aufrechte oder seitliche diesen sehr entgegenwirken, andererseits Geburtsverletzungen jahrelange Spätfolgen nach sich ziehen können.
      Umso wichtiger erscheint es mir, jede Möglichkeit sie zu verhindern bzw. sie gut versorgen auch auszuschöpfen. (ich möchte jedoch betonen, dass ich Laie auf dem Gebiet bin).
      In Prozenten ausgedrückt (zB auch in Bezug auf die Frosch-Position, ich glaube das wäre die “squatting position”?) findest du hier Informationen (auf Englisch): http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1046/j.1523-536X.2002.00151.x/abstract;jsessionid=ACA1C0572A77DEA1A315543D2DC2F07C.f02t04?userIsAuthenticated=false&deniedAccessCustomisedMessage=
      -> und zwar von 2.891 Geburten wurde in dieser Studie die Seitenposition in Bezug auf den Damm als möglicherweise (!) entlastendere (66,6 % intact perineum) und die hockende als die weniger gute Position (42 % intact rate) beobachtet, vor allem für Erstgebärende. Allerdings wurden auch statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Geburtsverletzungen den Damm betreffend und dem Geburtshelfenden-Typus gefunden (Arzt_innen machen zB auch eher einen Dammschnitt als Hebammen usw.). Zudem gibt es zu viele andere Variablen. Also belassen es die Studienautor_innen bei einem “may”. Also: Die Geburtsposition KANN Auswirkungen auf die Intaktheit des Dammes haben.
      Ich persönlich habe die Konzentration auf mögliche Geburtsverletzungen als manchmal sehr sehr verunsichernd empfunden – vor allem weil dadurch das Gefühl erzeugt wird, wenn du nur deine “Hausaufgaben” vor der Geburt machst (Dammmassage, Kräuterdampfbäder, wasweißich) und dann auch die richtige Position wählst, dann kann nichts passieren. Eben doch.
      (aber es muss nicht schlimm sein, wenn richtig und gut versorgt!)
      Liebe Grüße!

  3. Elternteilin sagt:

    Ich empfehle das Buch “Aktive Geburt” von Janet Balaskas. Dort wird auf jeden Bereich eingegangen. Über die Anatomie des Beckens, über geburtsvorbereitende Übungen zu den Phasen der Geburt, die ausführlich beschrieben werden, Tipps zur Vermeidung von Verletzungen und Geburtspositionen.
    Das beste Buch zu dem Thema. Nimmt viel Recherchearbeit ab 😉

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