von Pamela Huck
I – Die Illusion der Selbstbestimmung
Wie immer rückt mir Laurie Penny zu lesen den Kopf zurecht: Eigentlich ist die Frage nach Selbstbestimmung im Zusammenhang einer kapitalistisch-patriarchalischen Gesellschaftsordnung doch sinnlos. Habe ich selbst bestimmt, 40 Stunden oder mehr pro Woche in irgendeiner Bude bezahlt zu arbeiten? Oder nur die Hälfte und die andere Hälfte der Zeit in unbezahlte Fürsorgearbeit zu stecken? Habe ich selbst bestimmt, dass ich die Hausarbeit mache? Mich hauptsächlich ums Kind kümmere? Dass mein Partner deutlich mehr verdient als ich?
Natürlich nicht. Dieses System schreibt den Geschlechtern sehr genau vor, wie das Leben abzulaufen hat – durch Ideologie, gesellschaftlichen Druck und finanziellen Zwang.
Aber es verleiht mir auch viele persönliche Privilegien. Ich schreibe hier als 40-jährige Mutter (Hurra, Gesundheitssystem und gute Ernährung!) eines dreijährigen Sohnes ohne Geschwister (Danke, erschwingliche Verhütungsmittel!), in heterosexueller Ehe (Juhu, staatlich unterstützte Beziehungsform!) mit einem liebevollen 53-jährigen Mann lebend (Thumbs up für die geglückte freie Partnerwahl!), als gesunde weiße Cis-Frau (fast schon der Jackpot in der Gen-Lotterie) mit akademischer Ausbildung (Danke, Mama, Papa, Oma und Studienbeihilfe), finanziell abgesichert (dafür arbeitet auch mein Partner) als Staatsbürgerin (Ka-ZING! Doch noch Jackpot!) eines politisch stabilen Wohlfahrtsstaates sozialdemokratischer Prägung (öffentliche Kinderbetreuung FTW!). So viele Tore, die mir dadurch offen stehen, so viele Aspekte, in denen meine Freiheit nicht beschnitten wird! Nichts davon ist selbstverständlich, vieles davon wurde von Feministinnen erkämpft.
Aber „Selbstbestimmung“?
Ich glaube, die Idee der Selbstbestimmung ist eine patriarchalische Illusion, die auf dem Ausblenden der eigenen, oben beschriebenen Privilegien beruht. Diese Privilegien manifestieren sich sehr konkret in Status und in Geld.
Mutter zu werden bedeutet zuerst einmal, Status und Geld zu riskieren. Wer den Job annimmt und die Fürsorge für das Kind selbst leistet, verliert im Extremfall beides. Mir ging es genauso, und gerade weil ich so viele Privilegien habe, hatte ich daran schwer zu schlucken: Die finanzielle Abhängigkeit und das Herausfallen aus dem beruflichen Umfeld kränkten ein Selbst, das gewohnt war, auf eigenen Beinen zu stehen und sich über seine Erwerbsarbeit zu definieren.
Weil diese Erwerbsarbeit aber immer schon schlecht bezahlt war – ich habe Germanistik studiert und war in journalismusähnlichen Schreibjobs am glücklichsten –, werde ich bis auf weiteres in der traditionellen Frauenrolle leben, Kind und Haushalt versorgen und nur einen kleinen Teilzeitjob haben.
So ist die Lage.
II – Feministische Mutterschaft
Nach der Geburt meines Sohnes ging ich kurze Zeit in eine Rückbildungs-Yogagruppe. Ein Teil der wöchentlichen Stunde bestand immer darin, dass die neuen Mütter von ihren Erfahrungen erzählten und der Hebamme, die das Yoga anleitete, Fragen stellen konnten. Einmal sagte eine Frau, sie wisse nicht, was sie machen solle. Ihre Tochter sei offensichtlich unzufrieden mit den Stoffwindeln. Der dicke Packen Material, den sie durch Windel, Einlage, Windelhose, Body etc. im Rücken habe, überstrecke ihr das Kreuz, sie liege wohl unbequem und protestiere heftig. Es entwickelte sich eine Diskussion, der ich fasziniert folgte, in der aber offenbar niemand auf die Idee kam, dass sie es einfach bleiben lassen und die viel dünneren Einwegwindeln nehmen könnte. Zum Schluss seufzte die sehr unsichere Mutter müde auf und meinte nur, sie werde es halt einfach weiter probieren.
Ich habe nicht verstanden, warum sie das tun will, wenn sowohl ihre Tochter als auch sie selbst die ganze Prozedur hasst. Für mich war diese Episode ein Paradebeispiel für Fremdbestimmung, auch wenn ich vermute, die Frau selbst würde es umgekehrt sehen: Hatte sie nicht Überzeugungen, denen sie treu bleiben wollte? Hatte sie nicht vor der Geburt entschieden, Stoffwindeln verwenden zu wollen, und war es nicht richtig und wichtig, bei dieser Entscheidung zu bleiben?
Von dieser Frau weiß ich nicht mehr als diese eine Erzählung aus ihrem Alltag. Aber sie illustriert für mich das Problem mit dem Begriff „Selbstbestimmung“ und warum ich die Frage nach der Freiheit und dem Glück wichtiger finde: Ich kann viel leichter feststellen, ob mich etwas glücklich macht, als ob ich es tatsächlich selbst bestimmt bzw. gewählt habe – was ich ja, siehe oben, eigentlich sowieso nicht kann.
Und, wie das Beispiel zeigt, es sind ja neben Staat und Gesellschaft auch neue Kontrolleur_innen und Normgeber_innen aufgetaucht, die vorgeblich im Interesse des Kindes oder der Umwelt über das Leben von Müttern bestimmen wollen. Meine Hebamme meinte zum Beispiel, ich könnte mir ja die Brustwarzen lasern lassen, um die infernalischen Schmerzen beim Stillen loszuwerden. Äh – nein danke, diese Empfindungsfähigkeit ist ein wesentlicher Teil meiner Sexualität, die ich natürlich nicht zerstören lassen wollte. Ich habe ohne Schuldgefühle abgestillt.
Noch einmal anders herum: Es gibt Frauen, die tatsächlich Kinder und Beruf und Haushalt und Sport und Was-weiß-ich in frauenzeitschriftenartiger Anmutung perfekt umsetzen. Mir käme das nicht in den Sinn, aber mein Feminismus will Frauen nicht beurteilen, sondern ihre Entscheidungen respektieren und fragen: Bist du glücklich? Und wenn nicht: Was kannst du tun, um es zu werden? Mit diesen Fragen sind dann auch die Mommy Wars erledigt, ich kann solidarisch und intersektional sein und muss keine sinnlosen Kämpfe führen, welche Frau denn nun das „richtige“ Leben lebt.
So gehe ich auch mit mir selbst um. Die Fragen, Vorstellungen und Vorschriften, wie mein Leben mit Kind auszusehen habe, sind mir mittlerweile vollständig egal. Wer könnte überhaupt entscheiden, ob ich jetzt reaktionär bin, weil ich in einer traditionellen Frauenrolle lebe, oder subversiv, weil ich eine Fürsorgearbeit am Rande des kapitalistischen Verwertungszusammenhanges wähle? Den Statusverlust habe ich verschmerzt – „saure Trauben“ vielleicht, das gebe ich zu. Nur beim Geld bin ich drangeblieben. Es ist wichtig, dass ich nicht draufzahle und mein Partner und ich fair miteinander umgehen. Geld kauft Freiheit, daran ist nicht zu rütteln.
III – Mutterliebe
Zum Schluss möchte ich noch über Liebe sprechen. Über Liebe und ihr Verhältnis zum Selbst und zur Freiheit. Weil es ja nach all dem schon erstaunlich ist, dass es überhaupt noch Mütter gibt.
Wer erwachsene Menschen liebt, gibt ein Stück eigener Freiheit auf. Wünscht, begehrt, ist plötzlich innerlich gebunden. Sucht Kontakt und Austausch, will sich hingeben, will sich zurücknehmen, will selbst aber auch vom Gegenüber etwas bekommen. Die Vereinbarung unter Erwachsenen lautet in der Regel, dass es sich für beide ausgehen muss und beide genügend aus der Beziehung erhalten müssen.
Mit einem Kind ist diese Kalkulation so nicht möglich. Ein Kind, besonders wenn es noch ganz klein ist, gibt nicht einmal annähernd zurück, was es erhält. Die Liebe von Müttern – damit meine ich alle Menschen, die sich wie Mütter verhalten – widerspricht der kapitalistischen Tauschlogik so grundsätzlich, dass sie im Bezugsrahmen dieser Logik nur als naturgegeben denkbar ist: als „Mutterinstinkt“. Damit konnte bekanntlich den Frauen und Müttern bequem alle Fürsorgearbeit aufgehalst werden, zugleich wurde ein weiblich konnotierter „privater“ Raum konstruiert, der als gefühliger Gegenpol zur „kalten“ kapitalistisch-pseudorationalen Außenwelt galt.
Als Feministin lehne ich diese Zweiteilung und ihre Naturalisierung ab: Mütter sind natürlich nicht „von Natur aus“ fürsorglich, liebevoll oder selbstlos. Aber sie handeln fürsorglich, liebevoll und selbstlos, und zwar sehr oft. Ist es nicht seltsam, dass sie das tun? Und was braucht es, damit das gelingt?
Mit dem Baby allein daheim zu sein, während die anderen Menschen weiter arbeiten gingen, war oft sehr monoton. In dieser von geistlosen Pflichten zerfressenen Langeweile hat es mir geholfen, dass mein Selbst stabil genug ist, um es für eine Zeit hintanzustellen. Manchen mag das abschreckend vorkommen, aber ich finde, auch dies ist ein Privileg: Mein Selbst ist mir selbstverständlich, weil es mir noch nie in existenziellem Ausmaß abgesprochen wurde. Wenn ich Geschichten anderer Frauen höre, weiß ich, dass dies wiederum nicht selbstverständlich ist.
In der Liebe nicht rechnen zu müssen, nicht aufrechnen zu müssen, entspricht am ehesten meiner Vorstellung von Glück. Mein Kind hatte keine Wahl. Es hat sich, wie jedes Kind, an seine Bezugsperson gebunden, lange bevor es ein Selbst hatte. Ich hingegen habe entschieden, diesem Menschen Platz in meinem Leben einzuräumen. Als Feministin weiß ich, dass mein Selbst kein einsames Raumschiff im weiten All der Welt ist, sondern vielmehr ein Knotenpunkt von Beziehungen, denen ich Bedeutung verleihe. Meine Mutterschaft ist so gesehen eine Erfahrung, in der ich mich selbst und mein Kind im Austausch erlebe. Sie ist keine Aufgabe, die zu meistern ist, und kein Projekt, das von einem Ich umgesetzt wird. Wir gestalten das miteinander.
Welches Ausmaß die Bedeutung dieses einen Menschen für mich haben würde, war und ist aber tatsächlich und immer noch erschütternd. Der banale Satz, den angehende Eltern vor der Geburt immer und immer wieder zu hören bekommen – dass nämlich „alles“ danach „anders“ sei – meint ja üblicherweise die Dauer der Nachtruhe und den Stellenwert von pflegeleichter Kleidung. In Wahrheit aber wurde mir mein Herz umgebaut.
Ich habe noch immer kein Bild dafür, was eine Mutter ist und warum sie tut, was sie tut. Kann man das wählen – die Tränen und die Sorge, das Lachen und die Leichtigkeit, das große Glück, jemanden so gut zu kennen, und den fröhlichen Schmerz, ihn fremd werden und gehen zu lassen? Ich glaube nicht.
Das ist meine Freiheit: Nimm dein Selbst und wirf es in den Wind.
Pamela Huck lebt in Wien.
https://pamelahuck.wordpress.com/
erschienen in selbst.bestimmen
Foto (c) r. nial bradshaw girls-umbrella-wind-flight.jpg via flickr CC BY 2.0
Beitragsbild (c) Stan Lupo Tale of the Marine Biologist via flickr CC BY-NC-ND 2.0
Ohne Worte, guter Artikel. Hat mich genau getroffen. Danke das fasst es gut zusammen wie es sein kann.
Danke, Lisa.
“In dieser von geistlosen Pflichten zerfressenen Langeweile hat es mir geholfen, dass mein Selbst stabil genug ist, um es für eine Zeit hintanzustellen. Manchen mag das abschreckend vorkommen, aber ich finde, auch dies ist ein Privileg: Mein Selbst ist mir selbstverständlich, weil es mir noch nie in existenziellem Ausmaß abgesprochen wurde.”
Ich habe mich immer gewundert, warum in der zweiten Hälfte meines Elternjahres plötzlich zurück kam, was ich schon geglaubt hatte, aufgearbeitet zu haben. Diese eine Situation, in der – wie du sagst – mir mein Selbst in existenziellem Ausmaß abgesprochen wurde. Es hat mich sehr getroffen, dass ich nicht mehr für meinen Sohn da sein konnte. Danke für diesen Satz und diesen Zusammenhang, den ich bisher nicht gesehen habe.