von Rix
Rix ist 27 Jahre alt, hat zwei Kinder (3 und 4 1/2 Jahre alt) und war bis vor einem halben Jahr die hauptverantwortliche Bezugsperson der beiden. Inzwischen leben die Kinder bei dem Vater und Rix kümmert sich an 2 Tagen in der Woche und 1 bis 2 Wochenenden im Monat um die Kids.
Dass Kinder grenzüberschreitend sind, werden wohl die wenigsten abstreiten. Im Folgenden geht es um meine subjektiven Erfahrungen mit verschiedenen Formen der Grenzüberschreitungen und mir ist bewusst, dass viele meine Einschätzungen wohl nicht teilen werden. Dennoch möchte ich darüber schreiben, zum einen weil mir dieses Thema persönlich sehr wichtig ist und zum anderen weil es meiner Meinung nach bisher zu wenig Raum in Debatten um Elternschaft bekommt.
Kinder schränken die persönliche Freiheit ein. Ich denke, das ist den meisten Eltern mehr oder weniger klar, schon bevor sie Eltern werden. Ein Wesen, welches so hilflos ist, braucht selbstverständlich Menschen, die bedingungslos für es sorgen. Ich bin dabei oft an meine Grenzen gestoßen. Ich habe zwei Kinder. Beim ersten hatte ich schon oft das Gefühl, „einfach raus“ zu wollen. Da es im Frühling geboren wurde, konnte ich zumindest tatsächlich viel raus gehen. Das zweite Kind ist im Winter geboren. Und es war ein Schreikind. Irgendwann war ich soweit, dass ich Schweißausbrüche bekam, wenn ich ein Kind (musste nicht mal das eigene sein) weinen hörte. Ich hatte schon auch oft Lust auf Kuscheln mit den Kids, aber dieses Gefühl, fremdbestimmt zu sein, war sehr dominant. Den Kids schien es egal (oder zumindest hatten sie noch nicht genug Empathie entwickelt), wenn es mir nicht gut ging. Egal, wenn ich Migräne hatte. Egal, dass ich nach zwei Geburten ein schreckliches Körpergefühl hatte und damit einhergehend auch nur sehr gering Lust auf unfreiwilligen Körperkontakt. Ich will nochmal betonen, dass ich sehr wohl weiß, dass Kinder (insbesondere Babys!) sich nicht „absichtlich“ grenzüberschreitend verhalten, sondern Bedürfnisse haben. Leider änderte dieses Bewusstsein nichts an meiner persönlichen Wahrnehmung, sondern führte zusätzlich noch dazu, dass ich mich ständig schuldig fühlte.
Die Kinder wurden älter und die Arten der Grenzüberschreitungen änderten sich. Ständig getragen werden wollen, mir auf die Toilette hinterher rennen, schlagen, beißen,… was Kinder halt so machen. Ich wollte meinen Kids früh eine Sensibilität für Konsens beibringen. Das führte mitunter zu absurden Situationen. Z.B. das kleine Kind schlägt mich, Ich: „Hör bitte auf mich zu schlagen!“ Kind: „Nein.“ Ich: „Doch, hör auf. Ich will das nicht.“ Kind: „Nein heißt Nein!“ Klingt vielleicht erst mal amüsant, aber ich bin oft am verzweifeln. Ich kann in meinem Kopf schlecht voneinander trennen, dass sich meine hart erarbeitete Selbstbestimmung nur auf Erwachsene beschränken soll. Wenn mich eine erwachsene Person, egal wie nah sie mir steht, ungefragt an die Brust fasst, kann ich mich wehren. Bei den Kindern war ich gezwungen, meine negativen Emotionen in mich hineinzufressen, da die Handlungsoptionen, die ich bei Erwachsenen in Erwägung ziehe (ernsthafte Diskussionen, wegstoßen,…) bei meinen Kindern nicht oder kaum denkbar sind.
Inzwischen sind die Kinder alt genug und kennen mich gut genug, dass sie (zumindest meistens) wissen und spüren, wenn ich meine Freiräume brauche. Auch wenn ich es immer noch schwer ertragen kann, wenn ich zum Beispiel einem Kind die Schuhe zubinden soll, während das andere mir im Rücken liegt. Immer wieder Schweißausbrüche und ich springe auf und muss tief durchatmen. Dazu kommen jetzt aber noch andere Formen der Grenzüberschreitung, die nicht körperlich sind. Die Kids lernen in ihrem Umfeld sehr genau das hetero-cis-normative Leben kennen. Sie wollen oder können einfach (noch?) nicht verstehen, dass die falsche geschlechtliche Zuschreibung für eine Person sehr verletzend sein kann. Und ich möchte ungern „Mama“ genannt werden. Zum einen weil es nach außen eine Rolle und eine Geschlechtszuschreibung mit sich bringt, die ich für mich ablehne. Zum anderen habe ich oft das Gefühl, hinter diesem Wort als Individuum zu verschwinden.
Doch zum Glück funktionieren bestimmte Dinge ganz gut bzw. arbeite ich daran, dass sie funktionieren. Zum Beispiel, dass die Kids meinen neuen Namen verwenden (zumindest die wenigen Male, dass ich nicht „Mama“ genannt werde). Den größten Freiraum hab ich sicherlich dadurch erlangt, dass ich nicht mehr mit den Kindern in einer Wohnung lebe. Das allein bedeutet mir schon so viel, dass ich insgesamt viel entspannter mit den Kids umgehen kann, weil ich weiß, dass der Zeitraum begrenzt ist. Mein Bedürfnis nach weiteren Freiräumen komme ich nach, indem ich den Kindern offen meine Grenzen und Bedürfnisse kommuniziere, indem ich mir bewusst Zeit nehme für Projekte, die mir am Herzen liegen und indem ich mir Unterstützung suche für die Zeiten, in denen ich für die Kids verantwortlich bin. Außerdem versuche ich, die Kinder für andere Lebensrealitäten zu sensibilisieren (z.B. alternative Kinderbücher lesen, gemeinsam auf das „Wer-lebt-mit-wem?-Camp“ gehen, stereotype Rollenbilder ständig hinterfragen). Und durch mein Umfeld (im Haus-Projekt, Freund_innen und andere Herzensmenschen) lernen die Kids automatisch Menschen kennen, die nicht der Cis-Hetero-Normativität entsprechen.
Ich möchte meinen Kindern ein gutes Elter sein, aber nicht zum Preis meiner eigenen Selbstbestimmung!
erschienen in selbst.bestimmen
Foto (c) Martin Abegglen via flickr (CC BY-SA 2.0)
Danke! Diese körperlichen Grenzüberschreitungen auszuhalten und ihnen kindgerechte zu begegnen, dabei selber nicht unterzugehen, gehören für mich manchmal zum Schwierigsten am Elternsein.
Ich find die Grenzüberschreitungen auch sehr anstrengend an Kindern. Mein Eindruck ist, ein großer Teil der Erziehungsarbeit bei solchen Sachen ist bloße Konditionierung. Zum hundertsten Mal sagen “Das ist meine Privatsphäre, das will ich nicht”, auch mal heftig werden, und ein paar Tage später schon wieder dasselbe. Mein älteres Kind versteht das mittlerweile, ist mein Eindruck, aber dem Kleinen ist es echt weiter sehr fremd.
Dass Kinder ein tiefer Einschnitt in die Selbstbestimmung im Sinne von freiem Verfügen über Zeit sind, finde ich nochmal einen anderen – ebenfalls unerfreulichen – Punkt. Ein Stück weit blende ich das aus und mache halt Dinge mit Kindern, die mir auch Spaß machen (rausgehen vor allem und lesen). Aber wenn ich mal wieder dran denke, wie wenig Zeit ich für mir allein hab, bin ich neidisch auf meine kinderlosen Freunde_innen.
Ich finde deinen Text sehr wichtig.
Ich habe selber keine Kinder, mache aber diese Erfahrungen mit verwandten Kindern und kenne daher selbst Situationen, wo es zermürbend ist, immer und immer wieder dieselben Grenzen zu zeigen, auf kindgerechte Weise.
Danke für deinen Text.
Vielen Dank für deinen Text!
Mir geht es in einigen Punkten so wie dir. Ich finde es so schwer mich zu beherrschen wenn mein Körper gegen meinen Willen benutzt wird. Besonders nachts passiert es mir leider oft, dass ich sehr sauer werde, wenn das Kind (1,5) im Halbschlaf an meinen Brüsten rumknibbeln will, um wieder in den Schlaf zu finden. Da hilft dann auch gar nichts, meistens endet es in Tränen auf beiden Seiten und es dauert seine Zeit, bis alle wweiterschlafen können. Ich hoffe, dass er bald in das Alter kommt, wo er verstehen kann, dass mein Körper kein Kuscheltier ist…