Zeit heilt nicht alle Wunden. Von der Ausbildung zur SAFE®-Mentorin…

von Katja
Es ist ja nicht so, dass ich im Juli nichtsahnend eine Weiterbildung besucht hätte. „SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern“ lautete der Titel und sollte mich zur Mentorin von schwangeren Paaren machen, die eine sichere Bindung zu ihren Kindern aufbauen wollen. Natürlich wollen das viele Eltern. Nona. Mit dem Gelingen ist es allerdings nicht so einfach. Einerseits weil, wie der Initiator von SAFE – Karl-Heinz Brisch verkündete, Kinder Trigger für ihre Eltern sein können, und zweitens weil uns niemand wie in der Hundeschule die Codes für die Kommunikation mit einem Säugling vorab verrät. Dabei geht das viel einfacher, als durch Versuch und Irrtum der Schreiinterpretation. Zu diesem Zweck filmen Eltern in SAFE®-Kursen sich z.B. auch  in der Interaktion mit dem Baby beim Wickeln, bei der Nahrungsaufnahme beim Spiel usw. Darauf erhalten sie dann Feedback, was sie toll machen, und auf welche Signale sie noch mehr eingehen könnten. Über Bindungsmuster lernen sie auch recht viel. Über das Auseinanderklaffen von Erwartungen und Realität beim Kinderkriegen, und wie Partnerschaften weiterhin lebendig gehalten werden. Die Quote bei SAFE®-Eltern liegt bei 3 Kindern. Weil Elternschaft damit so leicht von der Hand gehe (verkürzt gesagt), purzeln die Babys nach einander in die Familien.
Das klingt alles sehr schön watteweich bis auf das Wort Trigger. SAFE® wurde entwickelt im Sinne einer Gesundheitsprävention, damit z.B. Babys nicht zu Tode geschüttelt werden. Viele fragen sich überhaupt, wie das passieren kann. Wie gesagt, Kinder rütteln in uns oft Erinnerungen wach, die traumatisch gewesen sein könnten. Ein Tritt ins Gesicht beim Wickeln (was ja durchaus vorkommen kann), und plötzlich tickt ein Elternteil aus. Oder: Eine vorangegangene Fehlgeburt die dazu führt, dass das Frühgeborene unablässig zur Nahrungsaufnahme gedrängt wird, aus Angst es möge sterben. Vernachlässigung, weil sich ein Elternteil vom Baby ignoriert fühlt, das den Blickkontakt noch nicht halten kann. So etwas lässt sich früher abfangen – unter anderem eben durch eigens entwickelte SAFE®- Kurse, die Eltern bereits von der Schwangerschaft weg bis zum Ende des 1. Lebensjahres begleiten. Eine Kombination aus Gruppe und Einzelsettings federt vieles ab. Ein sogenanntes Bindungsinterview und ein Traumafragebogen klären, ob es eventuell noch ungeschlossene Baustellen gibt, an denen mensch mal (am besten noch vor der Geburt) arbeiten sollte. Ein/e TraumatherapeutIn wird dann empfohlen.
…bis zu mit Profiteroles besänftigten Gespenstern
In der Ausbildung zur SAFE®-Mentorin probierten wir zwei scheinbar unverfängliche Fragen übungshalber aus dem Bindungsinterview mit unseren SitznachbarInnen aus und als ich die vorab las, sträubte sich bereits alles in mir, sie zu beantworten. Super. Bingo. Schweißausbrüche. Während ich mich am ersten Tag noch gefragt hatte, ob ich unsicher gebunden oder ambivalent gebunden sei, attestierte ich mir an diesem Tag gleich mal eine Bindungsstörung. Die fällt zwar momentan nicht so ins Gewicht, aber das Bindungsinterview bereitet mir ein derart schweres Gefühl im Bauch, dass ich beschloss, das gesamte Interview, das mit meinem Partner (schließlich müssen die MentorInnen ja auch auf Herz und Nieren geprüft werden) noch anstand, nur im Beisein von einer großen Portion Profiteroles und einer großen Portion Tiramisu durchzuführen. Es war dann doch nicht so schlimm wie befürchtet, dafür lecker. Trotzdem drängten sich ein paar dunkle Flecken in meiner Biografie auf, die ihre Fangarme bis zum heutigen Tag ausstrecken und deren Bearbeitung ansteht, wenn ich als SAFE®-Mentorin arbeiten will.
Da wäre z.B. der Unfall aufgetaucht, als ich meine körperbehinderte Schwester mit dem Buggy über eine Stufe bei Oma im Alter von 8 Jahren oder so nach draußen rollte, aber den Buggy dabei nicht kippte, weil ich dachte es funktioniert auch vornüber. Eine Platzwunde, viele Schuldgefühle, einen Anschiss und ein Buchleseverbot (Fernsehen gab’s zu selten) waren die Folge. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich bin nun 32. Vor jeder kleinen Schwelle über die ich meine Schwester fahre – z.B. von einem Raum in den anderen – steigt mein Stresspegel. Die 3 Stufen zum Haus meiner Eltern sind zu bewältigen, aber lieber ist es mir, wenn ich’s nicht machen muss. Ich hab sie auch noch nie ins Auto gehievt, obwohl ich sonst als Kind schon bei vielen Handgriffen angepackt habe. Irgendwie gab es nie eine Gelegenheit dazu – was seltsam ist. Für meine Schwester fühlte ich mich als Kind mütterlich. Sie bat mich damals auch, sie rauszufahren. Situationen, in denen ich heute bemutternd sein sollte, strengen mich wahnsinnig an. Vor allem, wenn ich auch noch von der zu bemutternden Person um etwas gebeten werden. Krankheit ist eine echte Zerreißprobe für mich:
Als im Sommer mein Partner Bauchschmerzen hatte, überlegte ich eine Viertelstunde, ob ich ihm eine Wärmflasche anbieten soll. Es kostete mich echt Überwindung, diese Frage zu stellen. Als er bejahte war ich überrascht, aber erleichtert und bot gleich noch mehr Genesungsvorschläge an. Damit war er allerdings dann gar nicht einverstanden und von einer Sekunde auf die andere fühlte ich mich total überfordert, als hätte ich etwas total Schlimmes gemacht und bekam eine Panikattacke. SAFE® sei Dank. Ich denke, wir hätten da einen kleinen Zusammenhang.
(Mit dem Kind geht’s übrigens leichter, weil ich hier tatsächlich die Mutter bin.)
Neben noch ein paar anderen „Kleinigkeiten“ fiel mir durch den Traumafragebogen, den wir dann ebenfalls noch in Angriff nehmen mussten, auch die Geburt meines Sohnes wieder ein. Aber diesmal war es nicht der Kaiserschnitt an sich. Es war das Kreuzchen, das ich bei der Frage nach Situationen mit Todesangst machte. Als mir der Wehenhemmer ins Kreuzbein schoss und mein Herz zu rasen begann, dachte ich nur daran jeden Moment sterben zu müssen. Auf eine Geburt war ich nicht eingestellt. Und schon war das Baby da und ich durfte nicht „rasend“ sein, sollte mich freuen. Tat ich aber nicht. Ich war taub. Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass ich es noch bin. Nicht so extrem, aber es fällt mir nicht gerade schwer in einen emotionslosen Funktionsmodus zu switchen. Das überrascht mich. Früher führte ich Kontra-Betäubungsmittel-Diskussionen, weil ich es so genoss, mich meinem intensiven Gefühlsleben so hinzugeben – dem Liebeskummer genauso wie jedwedem anderem Rausch der Sinne. Davon fehlt mir seit gut zwei Jahren bei näherer Betrachtung etwas. Statt Intensität gibt’s Tümpelei. Ist praktisch, erinnert mich aber nicht an mich. Irgendwo tief in mir drin ist diese Todesangst noch gespeichert. Wenn ich drüber rede, merke ich, wie sie mich erfasst. Das muss raus. Aufarbeiten die Zweite, wen ich SAFE®-Mentorin sein will.
Da hätten wir nun zwei unsichtbare Gespenster, die mich stetig begleiten und Einfluss auf meine Gefühlswelt und mein Handeln nehmen. Ich bin mir ziemlich sicher, derlei gibt es viele in allen von uns. Wenn wir Kinder in unsere Familien einladen, zerren diese aber oft an den Gespenstern, mit denen mensch es sich doch gut eingerichtet hatte. Deswegen wär’s schon gut, mal ein bisschen auszumisten. In meinem Fall: Damit die Liebe endlich wiedermal Herzchen bekommt.
Beitragsbild (c) Amy Riddle CC BY-ND 2.0 via flickr
Text erschienen in Gespenster

One Reply to “Zeit heilt nicht alle Wunden. Von der Ausbildung zur SAFE®-Mentorin…”

  1. lareine sagt:

    Das klingt sehr interessant.
    So interessant, dass ich sofort auch gerne so einen Bogen ausfüllen würde – oder überhaupt mehr erfahren will!
    Spannend!
    Danke für’s Mitteilen und liebe Grüße 🙂

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