von Ella
Vor einiger Zeit habe ich auf meinem Blog die Frage in die Runde geworfen, womit behinderte Kinder anderer Leute denn gerne spielen. Von anderen Eltern und vielleicht auch von Menschen, die beruflich mit behinderten Kindern zu tun haben, erhoffte ich mir ein paar nützliche Inspirationen, was ich unserer Tochter vielleicht zum Spielen schenken könnte. Noch viel mehr als bei nicht behinderten Kindern, bei denen Forschungsdrang und Entwicklungsehrgeiz ja sowieso ganz von alleine übersprudeln, möchte man Kindern mit Behinderung ja vielleicht besonders gerne etwas anbieten, das ihnen nicht nur Spaß macht, sondern vielleicht auch ihre Entwicklung fördert. Die Resonanz auf diesen Blogpost war so groß, dass ich all die Tipps, die ich von meinen Leser*innen bekam, und all die Erkenntnisse, die ich seither selbst dazugewonnen habe, gerne noch mal teilen möchte. Am Ende dieses Artikels hier auf umstandslos.com findet ihr eine Liste mit Links zu verschiedenen Onlineshops für „spezielles“ Spielzeug, sowie mit ein paar Ideen zum Selbermachen.
Passendes Spielzeug für ein behindertes Kind zu finden, erscheint mir ungleich schwieriger als ein nicht behindertes Kind zu beschenken. Denn womit ein behindertes Kind etwas anfangen kann, hängt natürlich sehr von Art und Grad seiner Behinderung ab. Es gibt Kinder, die sind so schwer beeinträchtigt, dass sie selbst kaum etwas aktiv machen können. Andere interessieren sich fast ihr ganzes Leben lang nur für dieselben zwei oder drei Dinge. Dann gibt es Kinder, die fast genau so spielen wie nicht behinderte Kinder. Und es gibt Kinder wie unsere Tochter, deren Einschränkungen und Fähigkeiten ein bisschen diffus und nicht einfach zu beschreiben sind. Und ganz sicher gibt es überall dazwischen noch vielfältige Facetten, sodass man einfach nicht pauschalisieren kann, was ein sinnvolles Spielzeug für ein Kind mit Behinderung wäre.
Unsere Tochter ist unser drittes Kind. Sie ist fast 2,5 Jahre alt, hat wunderschöne, intensiv rote Haare. Sie schaut unglaublich süß aus, lacht und kichert viel, ist freundlich und neugierig und das unbeschwerteste Sonnenscheinchen, das ich je gesehen habe. Sie ist auch zu 80% schwerbehindert, was sich vor allem darin äußert, dass sie in ihrer Entwicklung sehr weit zurückliegt. Warum das so ist, wissen wir nicht. Obwohl wir alle denkbaren sinnvollen Untersuchungen durchgemacht haben, gibt es keine Diagnose. Ausgegangen wird von einem bisher noch nicht klassifizierten genetischen Syndrom. Gerade lernt sie ganz langsam laufen. Sie hat grundsätzlich Probleme mit allem, was irgendwie feinmotorisch ist. Deshalb spricht sie noch nicht, beherrscht keinen Pinzettengriff und muss immer noch hauptsächlich mit Brei ernährt werden, da sie nicht richtig kauen und schlucken kann. Auch kognitiv ist sie weit hinter gleichaltrigen zurück. Bezogen auf ihre Art zu spielen heißt das, dass sie mit alldem, was ihre Brüder im gleichen Alter interessierte, nichts anfangen kann. Perlen fädeln, malen, Puzzles legen, Knöpfe sortieren, basteln, beim Backen oder Kochen helfen – von alldem, was normal entwickelte gleichaltrige Kinder tun, ist unsere Tochter sehr weit entfernt. Dennoch haben wir ihr immer wieder mit viel Liebe und Hirnschmalz versucht, das ein oder andere Spielzeug zu schenken, das sie mögen könnte.
Wovon wir irgendwann mal dachten, dass es unserer Tochter gefallen könnte (Auszug):
Eine Kugelbahn, Holztiere, Greiflinge, eine Puppe, ein weicher Ball, ein Buch, ein einfaches Puzzle, ein Nachziehtier, eine selbstgemachte Rassel.
Vor Bällen jeder Größe und anderen Dingen, die sich wie von selbst bewegen können, hat sie panische Angst, weswegen sowohl der Plüschball, als auch ein Großteil des Kugelbahnzubehörs gleich wieder verbannt wurden. Für Puppen und Holztiere interessiert sie sich einfach nicht, daher spielt sie auch keine Rollenspiele oder Geschichten damit nach. Bilder und Geschichten in Büchern kann sie nicht erfassen – für Bücher hat sie eine andere kreative Art der Nutzung gefunden (siehe nächstes Bild). Anstatt mit Greiflingen ihre motorischen Fährigkeiten zu üben, kullert und schubst sie sie so lange über den Boden, bis sie unter irgendeinem Schrank verschwinden: Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Rassel interessiert sie grundsätzlich nur nachts, wenn sie damit Krach machen und uns vom Schlafen abhalten kann. Tagsüber: püh! Und der Sinn des Nachzieh-Häschens erschließt sich ihr auch nicht. Vermutlich weiß sie nicht mal, was ein Hase ist, und erkennt daher auch nicht, was sie mit diesem Holztier unternehmen könnte.
Dinge, die sich unsere Tochter selbst zusammengesucht hat, und mit denen sie sich auf ihre eigene Art stundenlang beschäftigen kann (Auszug):
Auf diesem Bild habe ich alle Schätze, die meine Tochter besitzt, zusammengesammelt. An diesen Dingen hängt sie, auf die passt sie auf, die lässt sie nicht aus den Augen – weswegen ungestörtes Fotografieren auch nicht möglich war. Ihr allerliebstes Spielzeug ist eine (mittlerweile halb kaputte) Katze aus großen Holzperlen zum anclippen. Die dreht und wendet sie stundenlang in der Hand und macht dabei ein monotones, knurrendes Geräusch. Diese Katze muss sie haben, um einschlafen zu können und auch sonst sieht man sie selten ohne dieses Ding. Es scheint fast, als fände sie die Holzkatze nicht nur zum Spielen interessant, sondern als würde sie ihr in irgendeiner Form auch Sicherheit vermitteln: Ist die Katze da, ist alles gut. Kann sie die Katze nicht finden: Größtes Unwohlsein, manchmal fast bis zur Panik.
Direkt danach kommen die Bögen eines Holzregenbogens, der eigentlich als Stapelspielzeug gedacht ist. Unsere Tochter nimmt einen der Bögen, stellt ihn mit der Rundung nach unten hin, schubst ihn an und lässt ihn dann schaukeln – stundenlang, hochkonzentriert. Bei Bilderbüchern interessiert sie eigentlich nur der Klappmechanismus, den sie sich ebenfalls stundenlang zu Gemüte führen kann. Sie räumt die Schubladen in der Küche aus und kullert dann sämtliche Melaminbecher lautstark durch die gesamte Wohnung. Sie klaubt Magnetbuchstaben vom Kühlschrank und Bäckereitüten aus dem Altpapier, und beides testet sie dann ausführlich auf Essbarkeit. Da sie ihren Mund nicht gut Schließen und vor allem nicht saugen kann, kann sie den Schnuller nicht „normal“ benutzen. Dennoch hat sie ihn oft im Mund und macht damit lustige Quietschgeräusche, in dem sie drauf herumbeißt.
Aus dem Spielzeugbestand ihrer Brüder mopst sie sich immer wieder mal einen Duplostein – um ihre Finger mit sehr wissenschaftlichem Gesichtsausdruck in die Löcher auf der Unterseite zu stecken. Auch die Spielzeugautos interessieren sie sehr. Aber nicht, um sie herumfahren zu lassen, nein: Sie lässt die Räder rattern. Und wie die Jungs auch, interessiert sie sich für alles, was Tasten und Knöpfe hat. Daher spielt sie auch gern mit einem (seit jeher batterielosen) Plastiktelefon, das mein großer Sohn mal auf dem Flohmarkt erbeutete.
Seit ich den Artikel damals geschrieben habe, habe ich die Art, wie unsere Tochter sich beschäftigt, und welcherlei Dinge sie sich selbst zusammensucht, sehr genau beobachtet. Irgendwann fiel mir auf, dass sie sich darin gar nicht so von ihren nicht behinderten Brüdern unterscheidet: Auch deren größte Schätze waren und sind bis heute Dinge, die sie sich selbst zusammengesucht haben, und in denen sie einen ganz eigenen Wert sehen, der uns manchmal verschlossen bleibt. Das war schon so, als die noch Babys waren. Das schönste Superbilderbuch, Prädikatsmerkmal „von Eltern empfohlen“, mit 34 verschiedenen Oberflächen zum Gucken, Staunen, Fühlen, Tasten, Greifen – untinteressant. Viel toller: Selbst geklautes Zeitungspapier rascheln und bis zur Unkenntlichkeit einspeicheln. Unsere Söhne hatten Kistchen, in denen sich Dinge sammelten wie: Eine Babyhaarbürste, ein Badewannenthermometer, ein alter Geldbeutel, überdimensionale Plastikknöpfe, eine Pappschachtel, ein Stofftaschentuch – und gegen die all die handbemalten Holztiere und all der andere liebevoll ausgesuchte Kram abstinken konnte. So ist es bis heute geblieben: gibt es bei den Jungs zum Beispiel Ü-Eier-Spielzeug, teilweise kaputt oder unvollständig, oder uralte Einladungskarten von Kindergeburtstagen, nicht eingelöste und daher wertlose Kinderkarusell-Chips, Stoffreste aus meiner Nähwerkstatt, quietschende Karabinerhaken oder belanglose Kieselsteine, die mir bei jedem Aufräumen ein Dorn im Auge sind, die aber unter gar keinen Umständen entsorgt werden dürfen. Denn je nachdem, was die beiden dann spielen, werden aus diesen Dingen wertvolle Zaubermünzen, Handys, Schatzkarten und was nicht noch alles. Die Jungs lieben ihr Lego, ihre Blechautos und ihre Bücher. Aber die wahren Schätze sind diese scheinbar belanglosen Kruschtelsachen. Lego ist ersetzbar, die vielen kleinen Schätze sind es nicht.
Sowohl die Jungs, als auch unser Mädchen suchen sich die Dinge, an denen sie ihre Fähigkeiten und Sinne ausprobieren wollten, und die den größten Wert für phantasievolles Spielen haben, also immer selbst zusammen. Was wir Erwachsenen uns da immer für einen Kopf machen! Und am Ende sind die einfachsten Dinge mal wieder die besten.
All die Shops, die mir empfohlen wurden, habe ich natürlich trotzdem durchforstet, und die ein oder andere interessante Sache gefunden. Eltern von Kindern mit anderen Behinderungen finden da bestimmt noch mehr, als ich für unser Mädchen entdeckt habe: Kinetischen Sand möchte ich unbedingt mal ausprobieren, und auch Knete scheint mir eine interessante Idee, den Tastsinn und die Motorik ausprobieren und schulen zu können. Mein persönliches Fazit ist aber, dass es sich mit dem Spielzeug für behinderte Kinder aber ähnlich verhält, wie mit dem für normal entwickelte Kinder: Es ist ein großer Markt, und es gibt viel qualitativ minderwertigen Mist zu kaufen. Daher sind mir selbstgemachte Dinge, wie die „Calm-Down-Jars“ oder das Montessori-Material, das mir eine ganz liebe Blogleserin schickte, oft sympathischer als Plastikspielzeug, das nach Chemie stinkt oder schon bald nicht mehr funktioniert. Und am Ende hat unsere Tochter eben sowieso wieder ihre ganz eigenen Vorstellungen von sinnvollem Spielzeug.
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https://de.wikipedia.org/wiki/Snoezelen
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Ella Hartmann schreibt auf www.ringelmiez.de ein manchmal auch politisches Handarbeitsblog und führt seit 6 Jahren ihr eigenes Craftinglabel. Mit ihrem Mann und 3 Kindern lebt sie in Freiburg.
Beitrag erschienen in: spielen.
Beitragsbild © Ella Hartmann
Genauso habe ich es mit unserer Tochter auch gehalten. Am schönsten findet sie Sachen aus der Natur: Federn, Steine, Eicheln und Kastanien, Rinde. Alte Pappschachteln und Kartons sind toll zum Basteln und grosse Pakete ideal als Höhle. Schönes Spielzeug muss manchmal gar nix kosten und fördert viel mehr die Kreativität unserer Kinder als jeder andere moderne Kram. LG und wunderschön geschrieben!
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Liebe Ella Hartmann,
Danke für Ihren Blog. Ich arbeite in einer Kita und mache zur Zeit eine Ausbildung zur Heilpädagogin. Ab Dezember besucht uns ein neues Kind und ich habe auf Ihrer Seite interessante und mögliche Dinge gefunden die ich ihm zum Erkunden anbieten kann.
Viele Grüße, Tatjana
Hallo,
ich bin durch Zufall auf deine Seite gekommen weil ich ein Spielzeug für meinen behinderten Sohn suchen aber irgendwie nichts richtiges findet weil es sich ähnlich verhält wie bei deiner Tochter . Von wann ist diese Veröffentlichung ?
Wir haben nach nun fast sechs Jahren eine Diagnose falls ihr noch keine habt lege ich sie dir ans Herz .
Ganz liebe grüße Steffi würde mich freuen wenn du dich meldest dann suche ich raus wie der genetische Test heißt falls ihr noch keine Diagnose habt ?