von Cornelia
Die Grenzen unserer Rubrik “Muttermythen” haben wir für die “Im Fluss”-Ausgabe etwas geweitet: Für den zweiten Teil des Beitrages über Menstruation, Kunst und Aktivismus beleuchten wir den Kampf gegen einen Mythos bzw. dessen vielfältige Umkehr und Dekonstruktion, der eben nicht nur Mütter, sondern Menschen mit Gebärmutter insgesamt vielfach seit der Pubertät verfolgt, im Laufe der Zeit (Nachlese: Teil 1: Periodische Kunst – Aktivistische Periode).
Eine der jüngsten, im breiten öffentlichen Interesse stehenden Aktionen aus der Rubrik “menstrual activism” (“Menstruationsaktivismus”) ist die Fotoserie der ägyptischen Bloggerin Aliaa Magda Elmahdy. Unter dem Titel “Photo-action Against ISIS” veröffentlichte sie im letzten August auf arebelsdiary.blogspot.com Bilder von sich und einer unbekannten Femen-Aktivistin, wie sie auf die Flagge der Terrororganisation Islamischer Staat menstruieren bzw. koten.
In einem Vice-Interview mit Missy-Magazine-Mitherausgeberin Chris Köver sagt Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko dazu: “Dieses Mal haben wir eine fotografische Botschaft gewählt, weil wir eine passende Antwort auf die letzte Videobotschaft des IS geben wollten, bei der die Hinrichtung des Journalisten James Foley gezeigt wird. Durch das Foto wollen wir zeigen, wie wir die Ideen des Islamischen Staats „hinrichten“. Die Bildunterschrift lautet folgendermaßen: „Ihr Tiere, so sieht unsere Hinrichtung eurer Ideen aus! Seht genau hin! Wir verlangen kein Lösegeld, wir drohen nicht mit weiteren Morden, wir SCHEISSEN EINFACH AUF EUCH, IS!“ Die Aktion sei von Femen geplant und initiiert gewesen, der Menstruationsblut-Teil Aliaa Magda Elmahdys Idee gewesen.
Eine weniger aufsehenerregende, aber im kleinen Rahmen dennoch weit über die deutschen Grenzen hinaus rezipierte Aktion ist von “Elonë Kastratia”: Die Karlsruherin klebt mit feministischen Botschaften beschriftete, ungebrauchte Binden an öffentliche Orte und dokumentiert diese auf fotzenueberall.tumblr.com und Instagram. In den sozialen Netzwerken kursierte vor allem das Bild mit der Message “imagine if men were as disgusted with rape as they are with periods” [s. u. Übersetzung 1].
Die Aktion hat bereits Nachahmung in Indien gefunden: Pads Against Sexism – Delhi. Auf der Facebook-Seite werden vor allem Bilder mit möglichst unteschiedlichen Menschen, etwa bei einem Biker-Festival, mit den “Bindenbotschaften” gezeigt. Die Initiator*innen wollen damit zeigen, dass keine*r alleine steht im Kampf gegen Geschlechterdiskriminierung und Vergewaltigungskultur.
Die Bandbreite von Menstruationsaktivismus ist breit und setzt heute im Kleinen wie im Großen Irritationen – auch dann, wenn diese von einer nicht in erster Linie als feministisch bekannten Seite wie der Modewelt kommen.
Über die Diskrepanz zwischen Politik/Aktivismus und Mode schreibt Arabelle Sicardi: “Clothing marketed as feminist apparel is a joke.” [2] Und dennoch: Auch diese Sprache mag produktiv werden, wie Anna Leszkiewicz in Verteidigung der Modewelt schreibt und als Beispiel u.a. die blutigen Tampon-Ohrringe des Desinger-Duos Meadham Kirchhoff nennt.
Menstruationsblut für politische Statements zu nutzen bricht heute zwar immer noch ein Mainstream-Tabu. Innerhalb der feministischen Szenerie ist die Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Bluten wie im ersten Teil dieses Beitrags gezeigt längst eine übliche, wenn auch durchaus kontroversielle Praxis.
Das Sichtbar-Machen des wiederkehrenden Blutens ist mehr oder weniger der gemeinsame Nenner der aktivistischen Menstruationsbewegung. Ein besonders “anschauliches” Beispiel dafür lieferte die Künstlerin Casey Jenkins mit ihrer “Vaginal Knittig”-Performance “Casting Off My Womb”. Für diese strickte sie 28 Tage an einem Schal. Die Wolle dafür kam aus ihrer Vagina, in die Jenkins jeden Tag ein Knäuel steckte. Während ihrer Menstruation verfärbte sich der Schal erwartungsgemäß.
Menstruationsaktivismus und der Sex-Gender-Konflikt
Im Vorwort zu „New Blood. Third-Wave Feminist and the Politics of Menstruation“ (2010) von Chris Bobel schreibt Judith Lorber: „For a second-wave feminist like me, whose early goal in life was to have a full-time career and a family at the same time, menstruation was something to be minimized, managed, and made invisible. The idea of flaunting its bodily manifestations and making it the basis of political activism would have been unbelievable and retrograde to me. My generation gratefully seized on tampons and ‘the Pill’ to accomplish the goal of making menstruation and birth control less of a bother.“ [3]
Lorber konstatiert darüber hinaus, dass Menstruationsaktivist*innen im Spannungsfeld wesentlicher feministischer Konflikte stehen: zwischen sexueller Differenztheorie und Gendertheorie. Manche Menstruationsaktivist*innen wollen Intersex-Menschen und Trans-Männer, die menstruieren, sich aber nicht als Frau* identifizieren, in die Bewegung inkludieren und Frau-Sein sowie Femininität vom Menstruieren trennen. Dadurch wird im Sinne der Queer-Theorie über den Akt des Menstruierens und der Beschäftigung damit auch die Norm einer Geschlechter-Binarität herausgefordert – ein Herzstück des Feminismus der Dritten Welle.
Bobel selbst macht in dem Buch noch einen ganz anderen Aspekt deutlich: Die Industrie hat sich das Tabu und die Unwissenheit über Menstruation für den Absatz von Zyklus aussetzende, hormonelle Verhütungsmethoden zunutze gemacht. Der wissenschaftlichen Forschung über Langzeitwirkungen der Pille von Pharma-Seiten sei nicht zu trauen.
„What women do know is this: Menstruation is a hassle, and technology gives women freedom. (…) But how free is choice making in the dark?”, bringt es Bobel auf den Punkt. [4] Verantwortungsvolle Menstruationsaktivist*innen müssen sich demnach dem Dilemma bewusst sein und nicht in die Fallen von essentialistischem Romantizismus oder biologischen Determinismus fallen. In dem Sinne schlägt Bobel vor, den „My Body, my Choice“-Slogan um ein „My Right to Information“ zu erweitern.
Als alles begann …
Die Anfänge des Menstruationsaktivismus sind Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre auszumachen. Diese sind eng verknüpft mit der Videokünstlerin Shigeko Kubota und ihrem “Vagina Painting” im Rahmen des Perpetual Fluxfest in New York 1965. Dabei malte sie in hockender Position mit einem im Scheidenbereich befestigten Pinsel mit roter Farbe auf das Papier unter ihr. Ihre “Vagina Malerei” kann als Antwort auf das “Action Painting” (mit dessen Hauptvertreter Jackson Pollock) verstanden werden.
Eine Pionierin der Bewegung war Judy Chicago mit ihrer “Red Flag”-Lithographie, die ein blutiges Tampon zeigt, der aus einer Vagina gezogen wird. Bobel berichtet in “New Blood” von dem ersten “bleed-in” (in Analogie zu den damals populären Sit-ins) genau zu derselben Zeit in den USA mit dreizehn Frauen organisiert von Emily Toth, Mary Jane Lupton und Janice Delaney. Aus der Aktion entstand das 1976 veröffentlichte Buch “The Curse: A Cultural History of Menstruation”, das sich mit den Tabus, Mythen und Symboliken der Menstruation aus feministischer Sicht beschäftigt.
Nach wie vor erinnern Performances heutiger Künstler*innen an die Aktionen der 70er und frühen 80er Jahre, etwa jene von Isa Sanz, wenn diese mit blutigen Fingern “Amor” [“Liebe”] an die Wand schreibt, während ihr Blut die Beine entlang fließt.
In den 80er Jahren verlagerten sich die Ziele der Menstruationsaktivist*innen vom Tabubrechen hin zum Sicherheitsaspekt der Produkte. Anlass dafür waren mehrere hundert Fälle von Frauen, die am Toxischen Schocksyndrom erkrankten. 38 Frauen starben daran.
Der Konzept- und Performance-Künstler und Umweltaktivist Jay Critchley sammelte für das Kunstwerk “Miss Tampon Liberty” in den 80er Jahren 4.000 Plastik-Tampon-Applikatoren an Ozeanstränden – die Analogie zur Freiheitsstatue ist eine Art Umhang, der zu besonderen Anlässen getragen werden soll.
In den 90er Jahren entstanden aus der “Riot Grrrl”-Musikszene eine Reihe Songs mit feministischen Aussagen. Die Indie-Punk-Band “Heavens to Betsy” steuerte mit “My Red Self” einen “Menstruationssong” bei.
[youtube=https://www.youtube.com/watch?v=j8cSWgmiYxo]
“what is the color | the color of shame | is it red | is it blood blood red | does it creep out | from my two legs | up to my face | if you notice the stain”, heißt es darin, und weiter: “is this the rag | you use to humiliate me | cuz i was born | i was born a girl | is this the rag | you use to humiliate me | cuz i was born | i was born to bleed (…) what is the color | the color of shame | i know its red | i know its blood blood red | is this the period | too long | too strange | for you to | understand | so you make me hide | the truth from you | so you make me hide | my red self from you.” [5]
Beim Michigan Womyn’s Music Festival 2001 marschierten Menstruationsaktivist*innen, darunter die Gruppierung “The Bloodsisters”, als “The Red Brigade” bei der traditionellen Festival-Parade mit. Der Aufmarsch war ein wissenschaftliches “Erweckungserlebnis” für Bobel: “In that moment, I KNEW I had to study this little-known, but obviously passionate and creative loose network of activists.” [6]
Do it yourself, Punk und Ökofeminismus
Heute steht Bobel zufolge der Do-it-yourself- und ökofeministische Zugang stark im Zentrum der Bewegung, was wiederum stark auf deren Punk- und alternativen Wurzeln verweist. Oder wie es Kira Cochrane formuliert: “Where the hippy/spiritual wing of 70s feminism might once have composed celebratory songs to the lunar cycle, recent activists are more likely to dress up as a bloody tampon and perform a cheer: ‘Smear it on your face and rub it on your body, it’s time to start a menstrual party!'” [7]
“If you think you are emancipated, you might consider the idea of tasting your own menstrual blood – if it makes you sick, you’ve got a long way to go, baby” [8]
(Germaine Greer, The Wicked Womb)
Nicht weniger “modern” als eine Cheer-Perfomance ist das Menstruations-Computerspiel “Tampon Run” von Andrea Gonzales and Sophie Houser. Die beiden entwickelten das Spiel, um das Menstruationstabu zu bekämpfen.
[youtube=https://www.youtube.com/watch?v=vbKxx2UgKlo]
Eine andere Form des Tabubruchs wählte Rachel Kauder Nalebuff, die in dem Buch “My little Red Book” Geschichten von Frauen weltweit über das Erlebnis ihrer ersten Menstruation herausgegeben hat. Das Buch will einen Teil dazu beitragen, dass die erste Periode von vielen nicht länger als peinliches oder schambesetztes Erlebnis empfunden wird.
Dass die Menstruation nicht zwangsweise ein ernstes Thema sein muss zeigt Chella Quint, die sich als versehentliche Menstruationsaktivistin bezeichnet. Mit ihrem Programm “Adventures in Menstruating” nimmt sie sich die Werbebranche samt ihrer weißen Röcke und blauen Blutspuren zur Brust.
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Wie notwendig Menstruations-Aufklärung besonders für Teenager heute nach wie vor ist, zeigen auch die Kommentare unter dem nachfolgenden wunderbaren Youtube-Tutorial von “LeopordBunni1”, wie „I’m 12 nearly 13 and I haven’t started. I watched endless period videos and searched it up to be ready. I’m quite scared for when it happens.“ [9] oder “I’m scared that I’m going to get my period during school and it’s going to show on my pants! Any tips?! I’m scared to tell my mother.” [10]
[youtube=https://www.youtube.com/watch?v=pFiC0O6rYHE]
Nachtrag: Ein plakatives Beispiel für den absurd tabuisierenden Umgang mit sichtbarem Bluten führte in diesen Tagen Instagram mit dem Löschen eines Fotos aus der Serie “period” der Künstlerin Rupi Kaur vor. Begründung: Es widerspreche den Community Guidelines.
[1] “Stell dir vor, Männer wären ebenso angeekelt von Vergewaltigung wie von Perioden”
[2] “Kleidung als feministische Kleidung vermarktet ist ein Witz.”
[3] „Für eine Feministin der Zweiten Welle, deren frühes Lebensziel eine Vollzeit-Karriere und eine Familie zur gleichen Zeit war, war die Menstruation etwas, das minimiert, gemanagt und unsichtbar gemacht werden musste. Die Idee, ihre körperliche Manifestation zur Schau zu stellen und zur Basis von politischen Aktivismus zu machen, wäre unglaublich und rückschrittlich für mich gewesen. Meine Generation hatte Tampons und ‚die Pille‘ dankbar angenommen, um das Ziel, Menstruation und Geburtenkontrolle zu einem kleineren Ärgernis zu machen, zu erreichen.“
[4] „Was Frauen wissen, ist: Menstruation ist ein Ärgernis und Technologie bringt Frauen Freiheit. (…) Aber wie frei ist eine im Dunkeln getroffene Wahl?“
[5] frei übersetzt: “Was ist die Farbe der Scham, ist sie Rot, Blutrot? Kriecht sie aus meinen beiden Beinen hervor hoch zu meinem Gesicht, wenn du den Makel bemerkst? Ist das der Unsinn, den du verwendest, um mich zu erniedrigen, weil ich als Mädchen geboren wurde? Weil ich geboren wurde, zu bluten? (…) Was ist die Farbe der Scham? Ich weiß, sie ist Rot. Blutrot. Ist es die Periode, zu lang, zu fremd für dich zu verstehen, weshalb du mich die Wahrheit und mein rotes Selbst vor dir verstecken lässt.”
[6] “In diesem Moment WUSSTE ich, dass ich dieses wenig bekannte, aber offensichtlich leidenschaftliche und kreative Netzwerk von Aktivist*innen erforschen musste.”
[7] “Während der Hippie-/spirituelle Flügel des 70er-Feminismus einst feierliche Lieder auf den Mondzyklus komponieren mochte, ist es wahrscheinlicher für heutige Aktivist*innen, dass sie sich als blutiger Tampon verkleiden und einen Beifallsruf performen: ‘Verschmier es in dein Gesicht, reib es auf deinen Körper, es ist Zeit für eine Menstruationsparty!”
[8] “Wenn du denkst, du bist emanzipiert, dann könntest du die Idee in Betracht ziehen, dein eigenes Menstruationsblut zu kosten – wenn es dich krank macht, hast du einen weiten Weg zu gehen, Baby”
[9] “Ich bin 12 fast 13 und es hat noch nicht begonnen. Ich habe unendlich viele Perioden-Videos angeschaut und gesucht, um vorbereitet zu sein. Ich habe ziemlich Angst davor, wenn es passiert.”
[10] “Ich habe Angst, dass ich meine Periode während der Schule bekomme und man es auf meiner Hose sieht! Irgendwelche ratschläge?! Ich habe Angst, meiner Mutter davon zu erzählen.”
Beitragsbild (c) Chris Bobel (via www.faculty.umb.edu/chris_bobel/)
Beitrag erschienen in: Im Fluss
So viel Arbeit, vielen Dank fürs zusammen Tragen!
Hat dies auf hyper-heterotopia rebloggt und kommentierte:
Came across this interesting article on Menstrual Activism: Then and Now