von anonym
Du stürzt ins Leben. Aus mir heraus.
Über mir noch das zweite, unbekannte Hebammengesicht. Sie hat dich aus dem Bauch gedrückt. Ich habe dich in die Welt gepresst. Jetzt bist du da. Rundherum, das spüre ich, ist alle Anspannung weg. In mir nicht.
Ich hänge diesem Schmerz nach, der mich noch Tage und Wochen später zum Weinen bringt, wenn ich daran denke. Meine Beine krampfen. Still halten, ich werde genäht. Ich habe Angst, nicht still halten zu können. Diese Krämpfe.
Kann mir jemand das Kind abnehmen! Es rutscht von meiner Brust in die Nische zwischen Kinn und Hals. Du bist so klein. Kann mir jemand das Kind abnehmen? Ich schreie die Frage mehrmals, leicht panisch in den Raum. Niemand reagiert. Später wird mir erzählt, ich habe es nur einmal, leise, geflüstert. Worauf mir vergewissert wurde, alles sei gut.
Alles ist gut? So fühlt sich das nicht an. Ich bin müde. Müde wie nie zuvor. Mein Körper fühlt sich so groß an, ausgedehnt in alle Richtungen. Er ist der Raum, an dem sich alle bedienen. Ich spüre meine Ränder nicht mehr. Alles fließt. Das Kind, es ist so klein.
Bist du es wirklich? Kann mir jemand das Kind abnehmen? Ich mag meinen Körper einsammeln und den Schmerz verdauen, ich mag schlafen und meine Knie zur Brust ziehen. Der Mund ist so ausgetrocknet. Mir ist schwindelig. Das Kind, das ich zur Welt gebracht habe, liegt immer noch an meinem Hals. Zusammengekauert und zufrieden.
Bist du es wirklich? Hast du die letzten 39 Wochen in meinem Bauch gewohnt? Bist du in mir gewachsen? Alles ist so fremd – die Schmerzen, die Menschen, der Körper, die Müdigkeit. Du. Du bist mir fremd.
Da wird es mir plötzlich warm ums Herz. Es dauert eine Weile, bis ich verstehe warum. Ich spüre, wie auch mich nun die Anspannung ein Stück weit verlässt. Das kleine Wesen uriniert auf mich. Die warme Flüssigkeit rinnt über meine Brüste, über meinen Hals. Vermischt sich mit meinem Schweiß. In mir drinnen lächle ich.
Ich streichle über deinen kleinen Kopf. Tatsächlich, du bist es. Kleine, Kleine! Unsere Körper haben sich getrennt und doch spüre ich es jetzt – da entsteht ein neues Band zwischen uns. Bleib noch ein wenig auf mir liegen.
Da weiß ich noch nicht: Diese Stunde, in der ich keine Beziehung zu dir spürte und auch keine wollte, – mein erstes Mutter-Versagen? – wird noch lange an mir nagen. Lange dauert es, bis ich verstehe.
Beitragsbild (c) Igor Kraguljac
Beitrag erschienen in: Beziehungsweise.
Ich glaube das geht vielen so. Ich fühlte mich zunächst einmal “nur” verantwortlich, im Sinne von “Oh, das kleine Wesen da wurde jetzt mir zugeteilt, das muss ich jetzt füttern und windeln”. Die richtige Liebe kam erst drei, vier Wochen später. aber wie schon in einem anderen Text hier stand: Liebe ist nicht nur Sternchen und Glitzerregenbögen. Sie hat vielfältige Gesichter.
Und eh ich gecheckt habe, das dieses Kind wirklich MEINS ist und aus MIR kam, mussten zwei Monate vergehen.
Danke für deine Offenheit und fürs Teilen. Ich bin über deinen Nachsatz sehr erschrocken: Eine Stunde des Suchens und Verarbeitens hat dich als “Mutterversagen” verfolgt? Ich finde das furchtbar und würde so gern einmal verstehen, woher dieser arge Anspruch an sich selbst kommt, von dem ich in so vielen Texten von Müttern lese. Das meine ich wirklich ganz ohne Kritik oder gar Vorwurf. Im Gegenteil, ich möchte ehrlich verstehen, wie das im Kopf abläuft, welche Mechanismen da am Werk sind, weil mir die Erfahrungen anderer Frauen wichtig sind, ich das aber einfach nicht nachvollziehen kann und auf Basis der Erfahrungsberichte auch nichts kapiere. Das ist jetzt auch keine Bitte an konkret dich als Autorin – du hast ja schon einen Text geschrieben, der für sich steht -, sondern eher ein Ruf in die Runde. Wenn sich wer angesprochen fühlt, würde ich mich freuen, mehr zu erfahren.