Wir sind Viele.

Elternativinterview

P. lebt mit ihrem Kind  P’chen (3 Jahre) und J., P,’chens biologischem Vater, in einer mittelgroßen Stadt in Norddeutschland. Dort teilen sie sich Spaß und Arbeit mit P.’chen mit einigen anderen Menschen. Wie das geht und warum das grundsätzlich super ist, erzählt uns P. hier.

von Catherine

Wie hast du die Kinderbetreuung organisiert?
P.: Momentan ist es so. Wochentags geht P’chen in den Kindergarten. Morgens verbringe ich viel Zeit mit P’chen und bringe es dann in den Kindergarten. Nachmittags wird es dann fest von wechselnden Personen abgeholt. Montags von K. (cisMann), dienstags von F. (cisFrau), mittwochs von B. (cisMann), donnerstag von mir (der biologischen Mutter) und freitags von J. Irgendwann am Nachmittag, meist gegen fünf, wird dann getauscht, denn P’chen und B. verbringen jeden Tag Zeit zusammen und Mittwoch ist sowieso B.-Tag. Da kommt B. morgens, bringt P’chen in den Kindergarten und ist für alles verantwortlich und verbringt dann Nachmittag, Nacht und nächsten Morgen mit P’chen. An gewöhnlichen Abenden ist üblicherweise J. die Person, die mit P’chen Abendbrot isst, es ins Bett bringt, vorliest und so. An den Wochenenden sind J. und ich die Hauptpersonen. Wobei ich am Wochenende 8 Stunden lohnarbeite und J. und P’chen dann gemütliche zu-zwei-Zeit haben. Momentan ist es so ausgemacht, dass ich bei spontanen Dingen einspringe. Dafür geht J. mehr lohnarbeiten und zahlt meinen Krankenkassenbeitrag.

Wie kam es zu dieser Organisationsform? Hat sich die vorher jemand (wer?) ausgedacht, gab es eine Idealvorstellung von Kinderaufteilung oder hat sich das alles quasi von selbst ergeben?
P.: Ich finde die Idee von Kinderaufzucht zu zweit ziemlich obskur. Und verstehe nicht, warum das so sein soll und oft so ist. Ich hätte gern eine noch größere Verteilung. Ein Kind für alle. Und gemeinsame Verantwortlichkeiten. Ich will nicht allein dafür verantwortlich sein, nur weil ich es ausgebrütet hab. Das ist so ein Konstrukt und es ist mächtig und es ist unglaublich schwierig, da raus zu kommen. Und nein, von selbst hat sich wenig ergeben. Es ist Arbeit. Immer wieder Menschen ansprechen, fragen und immer wieder in die Rolle der Fragenden geworfen sein. Dabei wäre es so cool, wenn jemand käme und sagte: hej, wollen wir nicht teilen, ich kann mir das und das vorstellen und wäre gern das und das für P’chen. Ein bisschen so war es mit B. Aber auch die anderen Personen betrachte ich nicht als Babysitter*innen. Sondern als wichtige grosse Personen, zu denen P’chen eine Beziehung hat. Und die ich auch immer wieder bei Entscheidungen miteinbeziehen will. Und die sich gefälligst auch selbst miteinbeziehen sollen. Schön war, als es letztens morgens nicht in den Kindergarten wollte und ich erklärte, dass es da Gesellschaft hat und in seinem Zimmer nicht, sagte es: „Dann ruf ich eben K. an.“

Wie haben sich die Menschen gefunden, die das Kind mitbetreuen?
P.: Es sind alles Menschen, mit denen ich befreundet bin und bei denen ich mich zu fragen getraut habe – oder die selbst das Thema ansprachen.

Welche Konflikte gab und gibt es bei dieser Konstellation?
P.: Es braucht viel an Kommunikation, Organisation und Planung. Ich glaube, das unterschätzen die anderen der Bande häufig. Wenn es davon dann zu wenig gibt, kommt es zu Problemen bei der Absprache und zu Missverständnissen.

Welche Schwierigkeiten habt ihr durchlebt und vielleicht auch gemeistert?
P.: Mhm. Ich glaube als _wir_ gar nicht so viele. Was für mich schwierig ist, ist die Rolle, die ich habe/die mir zugeschrieben wird. Also, dass ich oft die Hauptperson bei der Kinderbetreuungsorganisation bin, mehr kommuniziere und dann eben auch mehr gefragt werde und es einen Haufen unsichtbarer Arbeit (Organisieren, Dinge im Blick behalten, Kommunizieren) gibt. Und: Beziehungen regeln. Nicht nur meine, sondern auch die für P’chen. Und all die Abhängigkeiten bedenken. Und: mit Enttäuschungen umgehen. Wenn eine Person die sich anbot, sich dann gar nicht mehr meldet oder wortlos die Beziehung zu P’chen beendet.

Du und das “Betreuungsumfeld” bewegt euch relativ weit weg von Geschlechterrollen und Vorstellungen darüber, was Kinder mit wem unternehmen. Kommt es trotzdem vor, dass ihr Dinge tut, in denen beispielsweise patriarchalische Strukturen reproduziert werden oder zumindest zu Tage treten (implizite Erwartungen darüber, wer was macht, wenn sich „sonst keine_r“ findet o.ä.)?
P.: Tun wir das? Mir kommt es nicht sehr so vor, auch wenn das ein großes Ziel ist, immer wieder alles zu hinterfragen. Und ja, es kommt ziemlich häufig vor, dass Menschen von uns recht rollenkonform handeln. Allein die Autogeschichte zum Beispiel: J. hat eins und wechselt dann eben auch die Reifen. Während ich von allen Fahrdingen keine Ahnung habe. Aber sonst ist es, merke ich beim Nachdenken gerade, doch sehr gemischt – zumindest was die sichtbaren Dinge (Kochen, Backen, Kinderbetreuung) angeht. Bei den unsichtbaren ist es anders und es bedarf manchmal eines lauten „so nicht“ von mir, um darauf aufmerksam zu machen, wenn zum Beispiel wieder offenbar wird, dass wenn ich nicht plane, alles Ungeplante an mir hängen bleibt. Und ja, hier drehe ich mich manchmal im Kreis: ich bin bemüht gut zu planen (Arbeit), um nicht am Ende verantwortlich zu sein und Dinge zwangsläufig tun zu müssen. Und auch: Kindergeburtstage, Beziehungen regeln, Klamotten organisieren und all diese Dinge sind mein Job. Und das ist ja völlig konformistischer Rollenscheiss und ich wünsche mir mehr Geduld und Kraft, das zu ändern (doch siehe oben: wenn etwas nicht gemacht wird, hängt es meist am Ende doch an mir und P’chen soll es schließlich oberspitzenmäßig gut haben).

Wie geht das Umfeld des Kindes mit eurer Situation um? Gibt es komische Reaktionen und Kritik?
P.: Oh ja, komische Situationen gab es vor allem in der Krippe. Da war die Liste der Menschen, die P’chen abholen durften eben länger als andere Listen. Und dann tauchten da ja auch immer verschiedene Menschen auf. Dafür, dass es um Kleinkindbetreuung geht, gab es überverhältnismäßig viele sorgende Männer und den biologischen Vater eher selten. Und Menschen mit Schmuck im Gesicht und andere, die vor P’chen noch nie ein Baby im Arm gehalten hatten. Ich glaube, das Großelternpaar sagte mal, es fände das alles super. Hach. So im Bekannt*innenKreis, sehr Szene und links geprägt, gibt es ein wohlwollendes bis skeptisches Beachtetwerden. Es gibt wenig konkrete Nachfragen, dafür gab/gibt es viel Tratsch und oft unglaublich bürgerliches Unverständnis. So von wegen: aber das arme Kind … Ich meine, für die meisten Menschen ist es schon fast problematisch, dass P’chen mich gewöhnlich nicht „Mama“ nennt und ich es oft „es“ oder “das Kind” nenne.

Wie gehst du und wie geht das Kind mit dieser Kritik um?
P.: Ich glaube (hoffe?) P’chen wird noch nicht direkt mit der Kritik konfrontiert. Was es mit mir macht, ist recht subtil: Weil ich will, dass P’chen es gut hat und glaube, dass es grundlegend cool ist, wie es läuft, will ich so weitermachen. Auch weil es mir und meiner politischen Verortung entspricht. Alles andere wäre Show. Aber dann gibt es eben auch Fragen und Unsicherheiten meinerseits: Wie wird es, wenn P’chen vermehrt eigene Beziehungen zu Kindern hat und es damit zu mehr Kontakt mit anderen Eltern kommt? Zögern die Eltern dann ein paar Sekunden länger, bevor sie sagen, dass das andere Kind bei uns spielen/übernachten kann? Und was macht das dann mit den Freund*innenschaften des Kindes? Und wie tragen Kinder das weiter, was deren Eltern am Frühstückstisch sagen? Und was macht das mit P’chen?

Gibt es Dinge, die du rückblickend anders machen würdest oder die du dir noch anders wünschst?
P.: Ich glaube, ich würde schon vorgeburtlich Menschen fester und definierter miteinbinden. Einfach um mir (und P’chen) Enttäuschungen zu ersparen und um den Menschen mehr Möglichkeiten zur Intervention und für Verantwortlichkeiten zu geben. Und ich würde mögen, wenn die P’chen-Menschen P’chen mehr als „ihrs“ sehen, also es auch mehr miteinbinden in ihre Verbindungen, Familien.

Welche Vorteile siehst du für dich und das Kind in eurer Organisationsform von Zusammenleben und Verantwortungteilen?
P.: Ich fang mal mit den Vorteilen für mich an: Ich habe schlicht mehr Zeit für mich und andere, als ich es in einer Zwei-mit-Kind-Konstellation hätte. Das heißt, die Zeit, die ich mit P’chen verbringe, fühlt sich manchmal weit weg von Alltag an und ist damit bewusster. Wir machen dann fetzige Dinge und verabreden vorher was. Weiters nimmt es viel Last von mir. Ich muss nicht so viel für P’chen sein, denn andere Menschen sind auch wichtig und konstant und da. Für mich mit all meinen Unzulänglichkeiten ist das arg wichtig. Auch weil ich eben gar keine „Familie“ im Sinne von Blutsverwandten, mit denen ich im Kontakt stehe, habe und oft das Gefühl, dem Kind dadurch weniger bieten zu können an Bezug und Rahmen. P’chens Vorteile, aber eben nur, wie ich sie sehe: P’chen hat Beziehungen zu tollen großen Menschen, die unglaublich verschieden sind. Einer spielt Badminton, der andere Bass, dann gibt es eine gewissen Affinität zu Straßenkunst und zum Meer. Andere machen mehr Politik. Eine wichtige Person wohnt in Göteborg (Schweden), eine andere in Berlin und zwei da irgendwo im Süden. Und bald wird P’chen einige Tage „allein“ in Schweden sein. Allein diese und die anderen Möglichkeiten sind großartig. Und: P’chen hat von klein auf ein ganz eigenes Leben und erlebt Dinge, von denen ich nichts weiß, wenn es mir nichts davon erzählt. Es war schon mehrmals ohne mich im Urlaub, hat im Zelt geschlafen oder mir unbekannte Menschen besucht. Es lernt Worte, die ich nicht benutze und kann mir/uns so mehr entgegensetzen, weil die Beziehung zu den biologischen Eltern eben nicht die einzige ist.

 


Beitrag erschienen in: Beziehungsweise.

5 Replies to “Wir sind Viele.”

  1. Eva sagt:

    Danke für den interessanten Beitrag!
    Ich habe mir in letzter Zeit Gedanken um eine (in gewisser Hinsicht) ähnliche Situation in meiner Familie gemacht: Die Kinder sind bis nachmittags in Kita und Grundschule, das zähle ich als nicht-Eltern-Bezugspersonen, einen Tag in der Woche bei Oma und Opa, einen Tag in der Woche kommt eine Babysitterin am späten Nachmittag/frühen Abend zu uns, zusätzlich ist die Große oft bei einer guten Freundin nach der Schule, und die restliche Zeit geben mein Mann und ich uns mehr oder weniger das Staffelholz in die Hand. Das läuft bei uns allerdings nicht erster Linie so, weil wir gerne mehrere Bezugspersonen für die Kinder hätten, sondern, damit wir unsere Arbeit auf die Reihe kriegen.
    Mein Eindruck ist, dass das für die Kinder ok ist. Es sind einige Bezugspersonen, aber stabil die gleichen, das scheint mir wichtig. Ich finde es – ähnlich wie es im Artikel zum Ausdruck kommt – gut, dass die beiden dadurch vielleicht ein offeneres Beziehungssystem haben als in einer eng gelebten Kleinfamilie. Ich finde es trotzdem schade, dass ich insgesamt relativ wenig Zeit mit den Kindern verbringe. Jenseits der Abendstunden konzentriert sich das aufs Wochenende, und selbst da muss ich manchmal arbeiten. Ich habe das Gefühl, dass ich dadurch einen eigentlich auch sehr schönen Alltag mit den Kindern verpasse, in dem ich sehr viel Zeit mit guten Kinderdingen/-aktivitäten verbringen könnte.

  2. berit sagt:

    Ein sehr interessantes Interview. Mich würde interessieren, wie sich die Interviewte wünscht, das ihre Freunde mehr eigenes Interesse an ihrem Kind im Sinne der großen Familie aufbringen sollen. Wäre es z.B. ok wenn A zu B sagt “Du bäckst mit dem Kleinen heute nachmittag Plätzchen und abends schauen wir bei mir Film” und das der Mutter einfach nur noch sagen, ohne das sie groß protestieren kann/soll?
    Abgesehen davon möchte ich noch anmerken, das es sich wesentlich einfacher lesen würde, wenn man statt einzelner Buchstaben einfach Namen verwendet. Diese lassen sich einfacher merken und gerade wenn die Konstellationen etwas weiter werden, so wie hier, behält man besser den Überblick. Ob das dann richtige oder falsche Namen sind, spielt doch dabei keine Rolle.

  3. tine sagt:

    hallo,
    schön das es da draußen noch andere menschen gibt die etwas sehr ähnliches machen wie wir ;-))
    das kind ist schon 7 , an bezugspersonen hat eine ganz die beziehung zum kind abgebrochen, die anderne nicht: außer den eltern sind noch 4 im alltag und einer aus der ferne von anfang an dabei.
    damit, was andere eltern und kinder sagen kommen wir gut klar, es gibt glaube ich tatsächlich einige, die zögern ihre kinder mit unserem zu verabreden, aber so ist das eben, auf die kann mensch auch gut verzichten.
    mir geht es ähnlich wie dir, ich habe oft das gefühl, dass wir doch auch immer noch viel reproduzieren und die orga- und andere verantwortung (wie bei dir auch beschrieben) an mir hängen bleibt.
    naja, muss halt immer wieder, wenn kraft da ist angesprochen werden…. z.b. wenn eine person an “ihrem” tag nicht kann, zu sagen, dass diese person sich ja erzatz unter den anderen suchen kann und ich nicht immer dafür zustândig sein muss/will.
    hast du lust auf persönlichen austausch? dann mail mir doch

  4. Teeniemutter sagt:

    Interessant zu lesen, und Dein P’chen kann nur profitieren von diesem Umfeld! Aber was sind bloss cisFrauen und -Männer?
    Liebe Grüsse
    Nora

Schreibe einen Kommentar zu Teeniemutter Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.