Vom Eierschaukeln und vom Gefühl, nackt zu sein

Muttermythen

Elternschaft kann sehr intensiv sein – unabhängig von den ganzen Emotionen ist da auch noch die viele Arbeit, die damit einhergeht und zeitlich, physisch und gedanklich in Beschlag nimmt. Da geht manchmal verloren, dass man nicht nur Elternteil und Bezugsperson ist. Das gilt besonders für Mütter, denen eine entsprechend eindimensionale Identität nicht selten auch von außen auferlegt wird. Für “umstandslos” reflektiert eine alleinerziehende Mutter, was ihre Identität abseits genau dieser Zuschreibung ist. Vorübergehend “verpflichtungsfrei” zu sein schafft für sie immer wieder neben “Genuss” und “ein bisschen Traurigkeit” auch “Verwirrung”.

von Elisa-Marlene
Ich habe meine Kinder fast immer um mich. Die paar Stunden, in denen sie am Vormittag in der Schule sind, brauche ich für Erledigungen, Haushalt, Uni und dergleichen und wenn sie am Wochenende ‘mal bei ihrem Papa oder bei der Oma schlafen, hab’ ich ganz sicher die ganze Zeit über zu tun oder geh ‘mal wieder abends aus oder zum Sport. Es kommt so gut wie nie zu dem Moment, in dem mir langweilig werden könnte. Die Ausnahme stellen ungefähr eine Woche nach Weihnachten und eine Woche im Sommer dar. Da fahren die Kinder gern mit ihrem Papa in ein anderes Bundesland.
Ohne Identität unterwegs?
Die ersten beiden Tage fühlen sich an wie Wochenende. Da treffe ich vielleicht Bekannte, unternehme etwas oder putze die Wohnung richtig durch. Seltsam wird es dann ab dem dritten Tag ungefähr. Ganz plötzlich überkommt mich irgendwo ein komisches Gefühl. Ich fühl mich dann plötzlich so komisch nackt – als wär ich ohne Identität unterwegs.

(c) Angela Kelly

(c) Angela Kelly


Ich heiße ja in der Schule die-Mama-von-… und bin auf der Uni die Mama, die man aufgrund der Mutterpflichten zeitlich berücksichtigen muss. Bei beruflichen Zeiteinteilungen bin ich die, die die Umstände macht, und bei den Freunden die, die eher nur selten ganz lange mit ausgeht. In den meisten längeren Gesprächen, am Spielplatz oder im Schwimmbad, da bin ich eine Mama. Beim Einkaufen bin ich meistens alleine – aber man sieht im Wagerl quasi, dass ich Kinder haben muss. Und wann immer Mütter in einer größeren Runde keinen Gesprächsstoff haben, wird sofort auf das Thema Kinder zurückgegriffen. Es scheint alles auszufüllen. Ein Grund gestresst zu sein, in Hektik zu sein, glücklich zu sein, besorgt zu sein …
Da stell ich mir nicht die Frage was noch bliebe, wenn ich die beiden nicht hätte. Deshalb ist es komisch, wenn ich länger ohne sie bin. Da fühl ich mich eben nackt und suche Orientierung im Wissen um den genauen Tag ihrer Rückkehr oder der Verplanung meiner Freizeit mit Wanderungen für Erwachsene, weiteren Radfahrten oder Konzerten.
Eine Frau im roten Auto
Als ich letztens vom großen Parkplatz beim Einkaufszentrum rausfahren wollte, hat mich ein Mann angelächelt, als wollte er mit mir flirten. Vielleicht war er auch einfach nur freundlich. Die Kindersitze waren nicht hinten drin. Ich hab ausgesehen, wie eine Frau, die ganz alleine in einem roten Auto sitzt. Das nimmt man bestimmt ganz anders wahr. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es sich in Zukunft anfühlen wird, mehr alleine zu sein und mehr Freizeit zu haben. Die Kinder werden schon bald selber Freund_innen besuchen gehen und Wege zurücklegen.
Zum Glück geht das mit dem Abnabeln ganz langsam. Es könnte auch gar nicht anders funktionieren. Der Mensch ist doch so stark an seine Gewohnheiten gebunden und lässt sich schwer aus seine Routine reißen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zum ersten Mal ohne Kinderwagen aus unserer Siedlung spaziert bin. Nach zwei Kindern und fast fünf Jahren Kinderwagenschieben, ertappte ich mich dabei, die Hände in Kinderwagengriffposition halten zu wollen. Das ist schon ganz witzig. Den Papa meiner Kinder hab ich beim “Eierschaukeln” ertappt. (Ich weiß auch nicht, warum mir heute nur Einkaufsbeispiele einfallen.) Jedenfalls standen wir vor dem Kühlregal. Ich hatte den Kinderwagen und er einen Karton Eier. Diesen schaukelte er rhythmisch, wie man es mit kleinen Babys macht, um sie zu beruhigen: instinktgetriebenes Elterntier beim Eierschaukeln im Supermarkt.
Es fällt mir von Mal zu Mal etwas leichter, die Kinder auch über mehrere Tage in Obhut zu geben. Dennoch habe ich jedes Mal irgendwann den Moment, in dem ich mich nackt fühle, so ganz ohne Kinder.
(c) Angela Kelly

(c) Angela Kelly

3 Replies to “Vom Eierschaukeln und vom Gefühl, nackt zu sein”

  1. Friederike sagt:

    Danke Dir für diese Beschreibung. Du sprichst mir aus dem Herzen. Das Nacktsein ohne Kinder – – – ich kenne das Gefühl nur zu genau!
    Wie denkst Du dann weiter? Ist das Muttersein ein so raumgreifender Identitätsmarker, dass daneben kein Platz für mehr Ich ist? Was passiert mit Deinem Ich, wenn es den Raum bekommt? Meines flüchtet meistens in irgendein Netz: Internet, Bücher, Handy – dreimal im Jahr sogar auch vor den Fernseher. Vor kurzem hatte ich darüber eine richtige Sinnkrise, die sich auch aus der Beziehung zu IHM speiste: ER hat klare Hobbies, Neigungen, denen er nachgehen kann, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Ich hatte auch mal Hobbies, glaube ich. ABER ich habe keine Lust mehr, diesen nach jahrelanger Pause wieder nachzugehen und befinde mich dementsprechend wahrscheinlich unglaublich auf der Suche. Nach Neigungen. Aber nur, wenn ich Zeit dazu habe… Wahrscheinlich muss ich einfach noch üben – wie du sagst, Gewohnheiten brauchen Zeit.
    Ich sende Dir herzliche Grüße aus dem Breisgau
    Friederike

  2. Liebe Friederike! Ich fühle mich zu keiner Zeit “nur” in der Identität der Mutter. Ich bin so gerne Mutter. Aber durchschnaufen und kleine Pausen sind auch oft ganz gut. Ich bin stark begeisterungsfähig. Bei manchen Dingen bin ich wieder ganz das Kind in mir- beim Umgang mit Tieren, beim Malen oder beim Alleine-vor-mich-hinträumen. In manchen Auszeiten, wenn etwa die Kids beim Papa oder bei der Oma sind, geh ich wieder abends aus wie vor 10 und mehr Jahren und trinke schönes kühles Bier bis weit nach der Schlafenszeit. Trage ich gerade Verantwortung, dann bin ich erwachsen, erfahren und klug. Darf ich mich gehenlassen, bin ich auch unvernünftig und riskiere Fehler. Mit den Kindern Bewegung treiben ist ein Erziehungsauftrag und Spaß. Sie sollen Freude an Natur und Sport behalten und ich fühl mich als Familie. Alleine gehe ich beim auch gern wieder an meine Grenzen wie es mit Kindern nicht ginge, ganz für mich. Das ist dann wieder ein Egotrip, bei dem ich nur an mich alleine denken muss (Erreichbarkeit für Notfälle vorausgesetzt). Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat sich dem Rollenset angenommen. Du bist so vieles, aber nie alles gleichzeitig- und selten nur eine deiner Rollen. Ich denk, die Besinnung auf eine einzige der alltäglichen Rollen für einen spürbaren Zeitraum, ist das was wir Entspannung nennen. Such nach Neigungen. Kunst, Sport, Freunde, …. Probier ganz viel. Das bracht Zeit und ist sicher ein gesunder Prozess.

    • Friederike sagt:

      Liebe Elisa Marlene – das klingt sehr, sehr schön, was du schreibst. Den Herrn Dahrendorf muss ich mir wohl nochmal genauer angucken ;). Ich freue mich schon darauf, meine anderen Rollen wieder hervorzukramen: Kids und Jobdasein sind derzeit meine zwei Hauptpfeiler – und damit es nicht missverständlich klingt: Auch ich bin voller Liebe und Leidenschaft Mutter – aber eben auch noch anderes, das ich nur derzeit irgendwie nicht richtig greifen kann. Aber ich werde es entdecken, darauf freue ich mich. Danke für die schönen Worte. Du hast ja vollkommen Recht: Kommt Zeit, kommt – Entspannung.
      Macht weiter so mit Eurem großartigen Blog!

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