von Cornelia
Avital Norman Nathman (Hg., 2014). The good mother myth. Berkeley: Seal Press. (Unentgeltlich zur Verfügung gestelltes Rezensionsexemplar)
Das bislang nur auf Englisch erschienene Buch “The good mother myth” ist eine Sammlung von 35 Essays, die unterschiedliche Perspektiven auf Eltern- und speziell Mutterschaft werfen – und zwar abseits vom Mainstream-gestützten Mythos der “guten Mutter”. Das Buch gibt intime, subjektive Einblicke und nimmt den eigenen Anspruch von Diversität erfreulich ernst: Die Autor*innen, von der Wissenschaftlerin über eine Massagetherapeutin und Musikerin zur Pornoregisseurin, geben ehrliche, manchmal lustige, manchmal berührende Einblicke in ihre Welt der Mutterschaft. Sie sind lesbisch, hetero, schwarz oder weiß und schreiben aus unterschiedlichsten Lebensrealitäten über Adoption, Sexualität, Teenage-Schwangerschaft, Fehlgeburt, Sorgerechtsverlust, über das Stereotyp der “Bad Black Mother”, über postpartale Depression, über das Alleinerziehen und über unerwartete Schwangerschaft. Neben den “großen” Geschichten hält das Buch auch (vermeintlich) kleine bereit: von der Schwierigkeit, mit zwei Kleinkindern gleichzeitig einkaufen zu fahren, über den Wunsch, dass der eigenen “parenting style” als cool wahrgenommen wird, und verbale Bosheiten unter Müttern bis hin zu Gedanken zu Facebook-Alltagsdokumentationen.
Jede kleine Geschichte kann ein Eintauchen in eine unerwartete neue Welt sein. Dieser Überraschungsmoment, nicht zu wissen, wohin ein Essay führt, macht einen großen Wert des Buches aus. Denn er steht metaphorisch für den Abgleich der Realität mit dem glitschigen Idealbild der guten Mutter: Mutterschaftserlebnisse sind eben so – unverhofft, ungeahnt, plötzlich, zufällig, überraschend, anders. Ich habe die jeweils ersten Sätze der einzelnen Beiträge dafür geliebt.
“The first time I dropped my daughter Sonya on her head from a great height, she was about eight months old.”
“For me, having children was like being run over by a small, fast locomotive.”
“How bad a mother am I? So bad that my children call me Daddy.”
“Motherhood brings out the best and the worst in me.”
“After my first child was born, I became obsessed with death.”
“Some people think having twins makes you badass.”
“The third time my daughter almost died from a sip of milk was entirely my fault.”
“Pregnant women are subject to a litany of things that they are ‘supposed’ to do, or ways that they are ‘supposed’ to be, some more legitimate and well-intentioned than others.”
“I never wanted children.”
Manche Sätze bringen zum Lachen – “Mama, why does your vagina have a tail?” [Spoiler: die Tochter entdeckt ein Tampon] –, andere wiederum erzählen so viel vom eigenen Verdruss – “Where the hell had all the men gone? (…) At the grocery store or at school, on the playground or in the doctor’s office. I’m usually surrounded by other women.” –, andere lassen zustimmend nicken – “Strength through sisterhood.” – und wieder andere lassen erstarren, wie “I had lost my baby. And now I had to tell everyone” oder “With great care, I placed him back in his crib as he continued to bawl and walked into the bathroom, locking the door behind me. I slid down the wall and leaned my elbows deep into my thighs. I took my index fingers and dug them into both ears to drown out all the noise. Then I closed my eyes and wished that he would just disappear.”
Erstarren, weil es weh tut, schreckliche und traurige Mutterschaftsmomente mitzuerleben, aber auch, weil es diese Sätze sind, die so wichtig sind, niedergeschrieben und weitergegeben zu werden. Denn so einzigartige und individuell Mutterschaftserlebnisse sein können, so viele viele Erfahrungen sind so vielen anderen auch vertraut. Das Buch erzählt von dutzenden möglichen Erlebnissen und die große Bandbreite erlaubt vermutlich sehr, sehr vielen Müttern* sich selber und die eigenen Erlebnisse in dem einen oder anderen Essay wiederzuerkennen. Jede neu erzählte Facette von Mutterschaft, die am Mythos der “guten Mutter” kratzt, ist wertvoll und begrüßenswert.
Ach ja, nur um keine Verwirrung zu stiften, möchte ich abschließend aus der Einleitung des Sammelbandes zitieren: “But make no mistake, the women who have lent their voices to this collection are good mothers.”
Über die Herausgeberin
Avital Norman Nathman ist freie Autorin, schreibt u.a. für “Ms. Magazine” und “The Frisky” und betreibt den Blog The Mamafesto. In ihren Texten beschäftigt sie sich mit Themen wie Mutterschaft, Gender und reproduktive Rechte aus feministischer Perspektive.
[…] sind auch immer wieder die Buchrezensionen etwa zum englischsprachigen Sammelband ‘The good mother myth‘, zum Kinderbuch ‘Elsa und der Bär‘ oder zu (kein Buch) Repräsentationen […]