von Antonia
Rike Drust hat nach Muttergefühle Gesamtausgabe ein „überaus freches, komisches Roadmovie“ (Klappentext) mit dem Titel Familiensafari geschrieben.
Der Roman handelt von einer Familie, die dem Idealbild der deutschen Mittelschichtsfamilie wohl sehr nahe kommt. Vater Alexander ist Fotograf und betreibt einen eigenen Laden, Mutter Jutta arbeitet in der Bank und die beiden Teenagerkinder Lars und Anna gehen zur Schule und versuchen möglichst von den Eltern in Ruhe gelassen zu werden. Dann gibt es da noch Rose, sie ist Juttas Mutter und Lars und Annas Großmutter, möchte aber keinesfalls so genannt werden. Rose hat eine sehr enge und gute Beziehung zu Anna, zum Rest der Familie, besonders zu ihrer Tochter Jutta, eher weniger.
Der Sommer steht vor der Tür, alle Familienmitglieder bis auf Jutta haben voneinander unabhängige Pläne, doch durch ein einschneidendes Ereignis für Jutta (sie erlebt einen Schock durch einen Überfall in der Bank in der sie arbeitet) beschließt die Familie eine gemeinsame Reise zu starten. Eigentlich beschließt vor allem Jutta, dass ihr das gut tun würde und die anderen sind ihr zu Liebe schließlich auch dabei.
Alexander will zum 25 Jährigen-Abitreffen und dort seinen ehemaligen Schulkolleg_innen beweisen, dass er doch kein Loser und außerdem total junggeblieben und gut aussehend ist. Lars will zu einem Skatekontext um dort der von ihm verehrten Steamy seine Liebe zu gestehen und Anna will zu einem Moderationscasting. Ihr großer Traum ist es als Fernsehmoderatorin durchzustarten.
Allesamt Ereignisse bei denen mensch nicht unbedingt die gesamte Familie dabei haben will. Zwischendurch entschließt sich Rose dann noch einen Zwischenstopp bei ihrer ehemaligen Hippiekommune einzulegen, wo sich die Ereignisse überschlagen und das Roadmovie seinen Höhepunkt erreicht.
Der Clou der Geschichte ist, dass sie so angelegt ist, dass jedes Familienmitglied die Chance bekommt seine Anliegen mit den anderen zu teilen und erstmals (oder seit langer Zeit erstmals wieder) die anderen dazu in der Lage sind sich ernsthaft dafür zu interessieren und Verständnis oder gar Begeisterung für die Sache der anderen aufzubringen. Sie bestärken sich gegenseitig und sind stolz aufeinander.
Das ist nett zu lesen und fühlt sich ein bisschen an wie eine Fabel über die schönen Seiten des Familienseins. Beim Lesen kommt zwischenzeitlich immer wieder das Gefühl auf von: Ja, dieses Familiending ist ja doch sehr schön und es ist gut, dass unsere Gesellschaft so strukturiert ist.
An dieser Stelle kommt mein Aber. Ich habe beim Lesen ein paar Dinge vermisst. Am Anfang macht es den Anschein, dass Jutta einiges ändern möchte. Als es zur Frage kommt, was sie den zwischen den einzelnen Terminen auf der Reise machen wollen, sagt sie: „Mit fällt gar nichts ein. Freie Tage mit meiner Familie und ich habe keine Idee, was wir tun könnten. Das gibt’s doch nicht.“
Die anderen analysieren die Situation für sie:
Jetzt ist Lars und Alexanders Mitleid nicht mehr höflich. Es ist echt. Und auch Anna findet Juttas Erkenntnis viel schlimmer als den Banküberfall. Dass ein Vollhorst mit einer Gotchapistole auf einen schießt, ist eine Geschichte, mit der man auf einer Party gut Eindruck machen kann. Aber mit Mitte vierzig zu merken, dass man vor lauter Familie vergessen hat, sich für andere Dinge zu interessieren, das muss echt hart sein. Außer Laufen hat sie kein einziges Hobby. Freunde hat sie auch keine, höchstens ein paar gute Bekannte. Sie interessiert sich für nichts außer für uns, stellt Anna fest und fragt sich, was ihre Mutter machen wird, wenn Lars und sie ausziehen und kein Essen und keine saubere Wäsche mehr brauchen werden. (29)
Jutta lebt ihre Mutterrolle sehr in Abgrenzung zu dem wie ihre eigene Mutter das gemacht hat und es ist spannend, wie sie sich im Laufe des Romans damit auseinandersetzt. Ich finde es schade, dass diese Auseinandersetzung hier ihren Kindern und ihrem Mann in den Mund gelegt wird. Im weiteren Verlaufe des Romans bleibt Jutta das einzige Familienmitglied, für das kein eigenes Ziel angesteuert wird. Das unterstreicht noch einmal, dass sie sich den Zielen anderer unterordnet.
Was ich außerdem nicht gut finde ist, dass der Text im generischen Maskulinum verfasst ist. Das ist besonders absurd, wenn Frauen direkt in der männlichen Form angesprochen werden, wie zum Beispiel wenn Anna zu Jutta sagt: „Warst du eigentlich schon immer so ein Bedenkenträger, oder hat Rose das aus dir gemacht?“
Das angebliche zu Dicksein von Anna für das Showgeschäft ist immer wieder Thema. Ihr Umgang damit soll mutmachend oder bestärkend rüberkommen. Das gelingt nicht immer. Anna beschäftigen zum Beispiel folgende Fragen:
Kann sie Moderatorin werden? Ist sie vielleicht gar nicht gut genug, und es reicht bei ihr eben nur zu lustigen Spaßmoderationen wie mit Robin? Und würden es diese ganzen Dickhosen und Magermädchen vielleicht doch irgendwann schaffen, sie zum Aufgeben oder zum Abnehmen zu bringen? (203)
Das Thema wird so verhandelt, dass sich die Frage stellt, ob Anna dem Druck gewachsen ist, sich nicht dem Schönheitsideal zu beugen. Das Schönheitsideal des Dünnseins wird dabei weniger problematisiert. Die Lösung scheint zu sein, dass Menschen einfach so stark sein müssen sich nicht zu unterwerfen, dann wir das Ideal des Dünnseins schon verschwinden.
Resümee: Wer auf der Suche nach einem leichten, lockeren Buch, das Familienthemen in ein positives Licht rückt ist, für die_den ist Familiensafari eine gute Empfehlung. Wer sich tiefergehend kritisch mit Familienidealen auseinandersetzen will, ist hier nicht an der richtigen Stelle.
Familiensafari
Rike Drust
carl’s books, München, 2014
ISBN 978-3-570-58525-2
€ 12,99 [D] | € 13,40 [A] | CHF 18,90