Ganz oder gar nicht

Elternativ

von anonym
Ich habe intensiv überlegt, ob ich diesen Text, der nun viel persönlicher wurde als geplant, überhaupt veröffentlichen soll. Aber warum nicht? Weil unser gelebtes Familienmodell derzeit nicht besonders gut funktioniert? Weil alle anderen scheinbar viel leichter als Familie zusammenfinden als wir? Weil mensch nicht darüber spricht, wenn es mal nicht so gut läuft? Ich will aber genau darüber sprechen! Würde es nur mich allein betreffen, stünde dort oben auch mein Name, doch so bleibe ich lieber anonym.
 
Mein Mann reist sehr viel. Meistens aus beruflichen Gründen, aber oft auch aus privaten.
Anfangs dachte ich, wir seien die einzige Familie weit und breit, die so eine Art Familienleben hat, aber dieser Gedanke stellte sich schon sehr bald als naiv heraus. Ich kenne mittlerweile einige Frauen, die zumindest unter der Woche mit den Kindern allein sind, manche aber auch drei Monate am Stück. Die umgekehrte Variante, nämlich dass der Vater mit den Kindern zu Hause ist und die Frau das Land regelmäßig verlässt, ist mir noch nicht untergekommen.
In unserem “System” gibt es keine Regelmäßigkeit. Mal ist er wenige Tage weg, mal wieder drei Wochen, mittlerweile frage ich schon gar nicht mehr so genau nach, wann er denn wie lange hier und wieder weg sein wird. Anfangs war das alles wahnsinnig schwierig und ich hätte an dieser Stelle nun gern geschrieben, dass wir nach harten Monaten endlich unseren Weg gefunden haben damit umzugehen und sich alle immer selig in den Armen liegen, aber dann würde ich lügen. Derzeit läuft es nicht besonders gut und das hat verschiedene Gründe:
Wir sind nie lange genug zusammen, um einen gemeinsamen Alltag aufbauen zu können, mit so kleinen Kindern ändern sich Dinge und Tagesabläufe manchmal rasend schnell und bis er sich an all die Veränderungen gewöhnt hat, muss er schon wieder weg.
Wir freuen uns immer wahnsinnig aufeinander, die Erwartungen sind hoch – ich fiebere einer Auszeit von den Kindern entgegen, doch er ist genauso müde wie ich und die Kinder sosehr daran gewöhnt, dass Mama alles mit ihnen macht und Papa daher gar nicht alles übernehmen darf. Ich verabschiede mich still und leise von meiner Auszeit und mache in meiner Frustration über die geplatzte Hoffnung eine schnippische Bemerkung, die er viel zu persönlich nimmt und antwortet: “Mich braucht hier sowieso niemand, nur zum Rchnungen bezahlen! Ihr kommt ja ohne mich gut zurecht!”
Was soll ich darauf sagen? Er sieht doch, dass der Zustand der Wohnung während seiner Abwesenheit wahnsinnig gelitten hat und ich manchmal so erschöpft bin, dass ich beim Frühstück schon ans Schlafengehen denke. Wir kommen ohne ihn zurecht, weil wir das müssen.
Wir sprechen außerdem in einer Sprache miteinander, die weder seine noch meine Muttersprache ist. Nun finde ich streiten, diskutieren, Hoffnungen und Wünsche zu formulieren schon auf Deutsch recht schwierig, wenn es darum geht, dass der Partner es nachvollziehen und verstehen können soll. Auf englisch? Wie war das nochmal mit den if clauses?
Und dann ist da noch die Müdigkeit…ich bin fest davon überzeugt, dass viele Kommentare gar nicht fallen, wir uns vieles nicht so zu Herzen nehmen würden, wenn wir beide genug Schlaf hätten. Er fliegt von einem Jetlag in den nächsten, kaum ist sein Rhythmus in einer Zeitzone angekommen, ist er schon in der nächsten. Ich werde nachts in etwa 8 mal geweckt. Die Tage mit den Kindern beginnen um 5:00 Uhr, wenn das eine Kind aufwacht und enden um 22:00 Uhr,  wenn das andere Kind ins Bett geht. Dazwischen schlafen sie abwechselnd.
Unsere Nerven sind gespannt vom Schlafmangel und dem ständigen Hin und Her zwischen unseren zwei Leben. Er verpasst viel vom ersten Jahr unseres jüngeren Kindes und bekommt kaum mit, wie unser älteres Kind eine Sprache zu sprechen beginnt, die er nur sehr begrenzt versteht. Es schmerzt ihn, dass sie die Sprache, die er mit ihnen spricht, langsamer erlernen als meine und fürchtet, sie werden eines Tages nicht mehr mit ihm reden (können). Dazu kommt, dass er sich in diesem Land nicht sehr wohl fühlt – nach den letzten beiden Wahlergebnissen noch etwas weniger. Ich fühle mich manchmal eingesperrt zwischen Sandkiste und Familienbett und bin oft genug frustriert, weil meine eigene Arbeit entweder tagelang stillsteht oder nur im Schneckentempo voran geht.
Heute Früh ist er wieder aufgebrochen und wir haben wieder den Vorsatz: Nächstes Mal wird es besser laufen! Nächstes Mal geben wir uns beide mehr Mühe, werden geduldiger miteinander sein und nicht auf Kleinigkeiten herum reiten! Nächstes Mal bekommen wir das bestimmt hin mit dem harmonischen Familienleben und Uns-in-Windeseile-Zusammenfinden.
Ich klammere mich an die Hoffnung, dass es besser und leichter wird, wenn die Kinder etwas größer sind, es nicht mehr ganz so körperlich anstrengend mit ihnen ist und das Verhältnis zwischen Familienarbeit und Beruf etwas ausgeglichener ist. Dann werden sie aber alt genug sein, um zu verstehen, dass Papa ständig fort muss und damit werden neue Probleme kommen.
Auf lange Sicht gesehen, wird es (und dieses “es” ist immerhin unsere Beziehung) so nicht gutgehen und das bedeutet, dass wir umziehen müssen. Irgendwohin, wo sich alle wohl fühlen, wir mehr Zeit miteinander haben und die Kinder vielleicht eine Schule besuchen können, an der auch die Sprache ihres Vaters unterrichtet wird. Mich schmerzt der Gedanke, mein soziales Netzwerk, das zwar nicht besonders groß, aber großartig ist, zurückzulassen.
Bis dahin werden wir uns weiter Mühe geben und wenn er in zehn Tagen zurück kommt, wird es sowieso besser laufen! Hoffentlich…

7 Replies to “Ganz oder gar nicht”

  1. Nagama sagt:

    Hallo Anonyme, danke für Deine ehrlichen Worte. Holt mich total ab, auch wenn ich (noch) keine Kinder habe (but trying). Ich weiß nicht wo ihr seid, aber ich nehme genau das in Berlin bei vielen Bekannten/Familien/Kollegen wahr, besonders bei Freiberufler, wo – die Männer – arbeitsbedingt für Projekte, Filme, Kunden wochen- und monatsweise in anderen Städten oder Ländern sind. Aber halt auch mal 4 Wochen zur WM nach Brasilien fliegen. Ich wunderte mich immer wie das gutgehen kann – nach der Lektüre Deines Textes, denke ich grade: geht vermutlich gar nicht gut, kriegt man nur nicht so mit. Jedenfalls möchte ich genau so einen Text hier lesen – vielleicht schreibst Du ja noch eine Fortsetzung, wäre schön.

  2. Nagama sagt:

    Ach so was mich noch interessieren tät: wie sieht denn Dein Mann das?

  3. Eva sagt:

    Oh mensch, das hoert sich echt stressig an! Ich hoffe, dass es bald besser wird fuer Euch!
    Eine ganz banale Frage. Da es so klingt, als braeuchtet Ihr beide, und insbesondere Du, Entlastung: Habt Ihr denn Babysitter_in oder Freund_innen, die Euch regelmaessig zu Auszeiten verhelfen? Ich versuche mir gerade so eine Situation fuer mich vorzustellen, und glaube ich braeuchte da dringend im Alltag, ob dem mit oder dem ohne Partner, z.B. einen Nachmittag pro Woche zum Nichtstun, um nicht durchzudrehen.

  4. Berit sagt:

    *Eiskaffee rüberreich*
    Ich kenn die Situation nur aus der Kindesperspektive. Meine beiden Eltern sind zur See gefahren; meine Mama blieb ab der Schwangerschaft dann zuhause und mein Papa fuhr noch bis ich zur Schule ging. Mir bleibt auch noch in Erinnerung das meine Mama öfter geweint hat und sich alleine gefühlt hat, weil die Familie meines Papas am Wohnort gegen sie war und es schwierig ist, immer alles allein machen zu müssen und da waren wir nur zu zweit und ich habe (angeblich) eh immer geschlafen; sprich es dürfte für sie einfacher gewesen sein. Keine Ahnung wie sie das für sich gelöst hat, soll ich sie mal fragen?

  5. Lolo sagt:

    Danke für diesen ehrlichen Beitrag, der mich sehr berührt. Du hast nicht nach Hilfe gefragt, aber mein Eindruck ist auch, dass Entlastung wichtig wäre. Die Zeit vergeht so schnell und später bereut man leicht, dass man nicht früher gehandelt hat. Eine Freundin von mir macht gerde eine Paar-Coaching, auch auf englisch und sehr gute Erfahrungen. Man merkt direkt wie die beiden sich zusammenraufen und jeder für sich gestärkter ist, weil sie lernen besser mit der schwierigen Situation umzugehen… ich wünsch dir alles Gute.

  6. Anonym sagt:

    Danke für eure aufmunternden Worte (und den Eiscafe! :-))!
    Nagama, mein Mann sieht das sehr ähnlich, allerdings fehlt ihm eine entscheidende Perspektive: Nämlich wie es ist mit zwei so kleinen Kindern allein zu sein und dass das doch tatsächlich höllisch anstrengend sein kann.
    Eva, seit Kurzem haben wir eine Babysitterin, die einmal in der Woche (das werden wir aber steigern) mit dem größeren Kind loszieht. Auch meine Mutter verbringt fast jede freie Minute bei uns, wofür ich ihr sehr dankbar bin, aber das Baby klebt an mir wie eine Klette. Ich habe einmal zwei Stunden ohne die Kinder verbracht (arbeitsbedingt), davon hat er 1.5 Stunden gebrüllt wie am Spieß. Die Kinder sind es sosehr gewohnt, dass Mama ständig da ist, dass andere Bezugspersonen nur sehr langsam akzeptiert werden. Ich bin also im Dauereinsatz und dementsprechend müde und frustriert. ABER irgendwann muss er ja mal aufhören zu brüllen, sobald ich den Raum verlasse. Das wird doch besser mit so circa einem Jahr (die Hoffnung hab ich halt…). Irgendwann schlafen sie dann vielleicht durch und lassen mir mal einen ganzen Abend Zeit für mich.
    Berit, ja bitte, frag doch mal 🙂 würde mich wirklich interessieren, wie sie es gemeistert haben.

  7. Sabine42 sagt:

    Vielen Dank für Deinen ehrlichen Text! 2 kleine Kinder sind eine Herausforderung, auch wenn der Partner “nur” normal berufstätig ist ohne Reisen. Wenn frau noch oft alleine ist, umso mehr. Hast Du schon mal daran gedacht, die Kinder ab Herbst in der Krippe anzumelden? Hier in D gibt es ja den Rechtsanspruch für Einjährige, wie es in Österreich ist, weiß ich nicht. Wenn sie zum Bsp. vormittags in die Krippe gingen, könntest Du in der Zeit beruflich aktiv sein, in Ruhe Haushaltsdinge erledigen, die mit Kindern schwierig sind und auch mal Zeit für Dich persönlich haben. Die Nachmittage könntest Du dann immer noch mit den Kindern verbringen.
    Die Kinder profitieren meiner Meinung nach auch sehr von der Zeit in der Krippe, mein Kind kam mit 8 Monaten in die Krippe und das war eine gute Entscheidung.
    Wenn Du beruflich am Ball bleiben willst, lohnen sich auch ein paar Stunden in der Woche. Zum Beispiel zur Kontaktpflege mit Kolleginnen / Kundinnen oder um auf dem Laufenden zu bleiben, was es Neues in der Branche gibt. Das gilt selbst dann, wenn nicht viel Geld übrig bleibt, weil ja die Beiträge für die Krippe auch gezahlt werden müssen.
    Ich wünsche Euch alles Gute!

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