von Sus
Do it yourself, richtet sich einer der lautesten Imperative des Zeitgeists an mich, und ich blicke auf das Loch in der Kinderhose und denke, Zeitgeist, du kannst mich mal kreuzstichweise.
Bei den Themen Selbermachen und Kleidung denke ich nicht zuerst an schicke Vintagekleiderschnitte, sondern vielmehr an all das, was nicht passt und klappt und ganz ist. Und Sachen flicken macht mir keinen Spaß, daran gibt es nichts zu rütteln. Kleidung aussuchen und kaufen: klar, immer wieder, waschen: ok, aufhängen: mit allergrößtem Vergnügen, legen: sehr gerne. Aber kürzen, ausbessern, Reißverschlüsse wechseln? „Nicht jede kann alles, und wenn eine sich dann quält, dann wird’s nüscht, das stimmt“, sagt meine Änderungsschneiderin, die ich auf dem Weg entdeckt habe zwischen Abendbrot, kaputter Jeans und Schlafengehen (die Alltagsvariante von Gethsemane, Golgatha und Auferstehung). Der Tipp mit dem Outsourcen der Arbeit kam von meiner Freundin Elisabeth, die mehr Erfahrung hat mit Kindern und Haushalt und allem. „Klar“, sagte sie zufrieden, „alles, was kaputt geht, packe ich in einen Beutel, und wenn der voll ist, gehe ich damit zu meiner Flickschneiderin“, meinte sie vor ein paar Jahren sichtlich aufgeräumt zu mir. Daraufhin freundete auch ich mich mit diesem Gedanken an. Das ging sehr schnell, denn das war schon die Zeit, als ich nicht mehr jeden Cent umdrehen musste und abends sehr müde war. „Seltsam”, sagt die Schneiderin, die ich im Branchenbuch fand, „die Leute geben eher Sachen zum Ändern ab, Ausbesserungen für Kindersachen sind gar nicht so oft, wie ich erwarten würde“, zuckt sie mit den Schultern. Für sie habe ich mich entschieden, weil ihre Werkstatt gleich um die Ecke liegt und die Öffnungszeiten so komfortabel wie sonst nichts sind: an vier Tagen die Woche nimmt sie bis acht Uhr abends Kleidung an. Computerstickerei, Annahme zur chemischen Reinigung und zum Schuhservice gibt es auch. Ein langes Mietshaus mit vielen Eingängen aus den Zwanzigern, damals menschenfreundlich gebaut und doch mit engen Zimmern. Die Schneiderin, Locken, eine Brille auf der Nase und in einen Strickpulli gekleidet, empfängt mich an der Wohnungstür. Ihre Werkstatt liegt in einem der Zimmer ihrer Wohnung, eine Handvoll Quadratmeter mit Auslegware und Gardinen. An der Wand hängt ein Setzkasten mit Fingerhüten aus Porzellan. Ich sitze auf dem Umkleidehockerchen neben der langen, vollgehängten Kleiderstange, und sie – näht. Herz und Lunge des Mikroorganismus sind die Nähmaschine und die winzige Freifläche, auf der die Leute sich zum Anprobieren hinstellen können. Mir gegenüber die Schneiderpuppe, die mich kopflos anblickt, und das Bügelbrett.Es kommen gleichermaßen Männer wie Frauen, vor allem Stammkund_innenschaft, erzählt die Schneiderin. Werbung macht sie keine und hat immer, wenn ich etwas in Auftrag gebe, einen vollen Kalender. Obwohl die Auftragslage ok ist, spürt sie durchaus den Konkurrenzdruck. „Aber wissen sie, die Leute wollen sich auch unterhalten, wenn sie herkommen. Ich habe nur noch ein paar Jahre bis zur Rente…bis ich in Rente gehen könnte – ich mache mir jetzt keine Sorgen mehr“. Nach der Wende kauften die Leute vor allem Fertigklamotten, erzählt sie, da kamen sie zum Ändern. Dann folgten ein paar Jahre, in denen sie vorrangig Ausbesserungen machte. Nun kommen verstärkt wieder Neuanfertigungen.

typisch: abber Henkel. Klar, könnte frau auch selbst wieder annähen, aber wenn ein Henkel reißt, reißen bekanntlich alle anderen am gleichen Tag noch ab.
„Ich denke nicht, dass die Zukunft bei den großen Ketten liegt. Da gibt es keine Individualität, keine Verantwortung. Es ist ein Umdenken nötig in Richtung kleinere Unternehmen“, sagt sie überzeugt und die Maschine schnurrt unter dem Pedaltritt ihres Fußes auf. „Und, was auch wieder verstärkt kommt: Röcke und Kleider. So würde ich mich auch gerne anziehen, schon aus Werbungsgründen, aber wenn ich dann so beim Anprobieren am Boden herumkrauchen muss, das ist blöd … und bei manchen Kunden will ich mich auch nicht so anziehen, ne?“, und blickt mich über die Brille an.Im Laufe der letzten Monate und Jahre beobachtete ich mich dabei, wie ich viel über Kleiderkreisel kaufte und dann, dank meiner Seepferdchengröße, Beine und Ärmel kürzen lassen musste. „Klar, das Zeug, das es von der Stange gibt – das passt ja alles nicht!“, sagt die Schneiderin kopfschüttelnd. Einen Teil des Geldes, das ich beim 2nd-hand-Kauf spare, lege ich dann hier drauf. Für das Einschrumpfen eines Parkas mit herausnehmbarem Futter (für ca. 30 EUR gekauft) und einer Hose (10 EUR) zahlte ich 20 Euro – das war das mit Abstand teuerste, was ich bisher habe ändern lassen. Das ist die Rechnung, die ich aufmache, um mich an der bangladeschischen Näherin vorbei mit Kleidung auszustatten.
Und das Rätsel um die kaputten Kinderklamotten? „Wenn ich früher meine Kinder mit Löchern in der Hose hätte rausgehen lassen, da hätte sofort jemand das Jugendamt angerufen. Das ist heute Gott sei Dank anders“. Dabei fällt mir ein, warum auch ich wenige Kindersachen zum Ausbessern gebe: das eine Kind macht weder Flecken noch Löcher, das andere ratzt seine Sachen dermaßen runter, dass ich sie guten Gewissens wegschmeißen kann. Mit dieser Sorte Kinder und dem kleinen Textilluxus, den ich mir leiste, habe ich den Rücken frei, um andere Sachen myself zu doen. Gewebe aus anderen Fasern zum Beispiel, Neuanfertigung, Änderung, Ausbesserung mit Do-den.
Nicht, dass ich den Inhalt dieses Artikels nicht auch sehr zu würdigen wüsste, aber über die Formulierungen “abber Henkel” und “runterranzen” hab ich mich eben so herrlich weggeschmissen, dass ich explizit dafür danke sagen muss: Danke.