Vor vierzehn Tagen wurde an dieser Stelle eine Frage zu Elterstreits im Allgemeinen und zur Anwesenheit des Kindes bei solchen Streits im Besonderen gestellt. Hier folgt nun der Expertinnenrat:
Ein Streit unter Partnern – wie geht das als Elternpaar am besten? Eine komplexe Frage, die im Alltag wichtig ist, aber trotzdem selten wirklich als Frage gestellt wird, vielleicht, weil “Streiten” so schwer ist. Sie lässt keine “so ist es richtig – so ist es falsch”- Antworten zu. So sage ich zuerst etwas zum Streiten allgemein, dann zur Stressprävention und schließlich zur Anwesenheit des Kindes bei Streits.
Das Streiten
Ja, der Kopf weiß, es ist richtig, gut, selbstverständlich: Auch in nahen Beziehungen werden nicht alle Wünsche erfüllt. Und Streiten zeigt an, dass Wünsche und Bedürfnisse auf der Strecke geblieben sind, dass es Neues auszuhandeln gibt und doch: Es ist für alle schmerzhaft, wenn das erlebt wird. Es gibt dann einerseits die Tendenz, dem Streit den Stachel dadurch zu nehmen, dass eine Versachlichung versucht wird. Der Versuch, vernünftig zu sein, die Dinge nüchtern beim Namen zu nennen. Das kann allerdings noch mehr unter Druck setzen, weil wir Menschen eben in einer emotional bedürftigen Situation wie einem Streit genau NICHT vernünftig sind. Sondern in einer Art Überlebens-Modus. Wir reagieren statt zu agieren und stehen gleichzeitig neben uns. Also können uns nicht komplett rational kontrollieren. Das ist uraltes Verhalten unter Stress, eine Art Schutzmechanismus. Aus dieser defensiven, schützenden Haltung kommen dann zum Beispiel Drohungen und bestimmte Ankündigungen beim Streiten: Wenn wir uns bedroht fühlen, gehen wir in die Offensive. Ganz nach dem Motto: Bevor ich befürchten muss, verlassen zu werden, verlasse ich selber. Hierbei spielen Vorerfahrungen eine größere Rolle als das aktuelle Thema. Wie Gespenster aus der eigenen Vergangenheit tauchen alte Ängste und die zugehörigen sogenannte Bewältigungsmechanismen von früher auf, auch wenn nur eine Kleinigkeit sich ereignet hat, die an diese uralten Erfahrungen rührt. Es braucht nicht viel, damit ein bestimmten Verhalten getriggert wird. Oft ist es natürlich nicht mehr notwendig, wie früher oder wie die Eltern zu reagieren, aber unter Stress sind diese Reaktionen eben schwer abzuschalten.
Ich sehe bei euch eine Gefahr, dass der Anspruch erhoben wird, durch Versachlichung ließe sich Streit gut auflösen. Und der Versuch einer Versachlichung ist einerseits ein wichtiger und wirksamer Weg. Wichtig dabei ist aber, nicht nur sachlich und argumentativ vorzugehen. So, wie es auch im Umgang mit frustrierten Kindern oder mit Kindern mit Schmerzen nicht möglich ist, sie durch Sachinformation zu trösten, braucht es auch beim Streiten auf Augenhöhe eine Gelegenheit, das eigene Gefühl zu beschreiben und “Resonanz” zu erleben: Mein Gegenüber nimmt mich wahr, so wie ich bin. Ich muß nicht recht haben, oder etwas genau beschreiben, ich bin einfach da und das genügt. Ein Gefühl, vom Gegenüber angenommen zu sein und ernstgenommen. – Beim Streit geht das nicht so recht, und es entsteht eine große Angst. Wenn ein Streit eskaliert, dann deshalb, weil es eine symmetrische Stressreaktion gibt, beide Seiten sind an wunden Punkten getroffen und reagieren eher automatisch.
Zeit für sich und Zeit gemeinsam. Entstressen. Erholen.
Darum ist die Frage auch: Was tut Ihr, um euch als Basis als Paar ein möglichst geringes Stress-Level zuzumuten? – Und wie könnt Ihr einander sonst, außerhalb von Streit-Kontexten, zeigen, dass Ihr gestresst, ausgepowert, bedürftig seid? Ist da auch Zeit und Raum, einander zu zeigen, wie gut es miteinander ist? Wenn Ihr lange nicht streitet, was tut ihr dann stattdessen? Kann man sagen, Ihr tut Dinge, die Streiten “überflüssig“ machen, also z.B. gemeinsame schöne Dinge, Zeit für jeden zum Erholen? Wie sagt Ihr sonst “Stopp”, wenn’s zu viel wird….?
In der Praxis hat sich einerseits bewährt, sich füreinander und für sich selbst Zeit im Kalender zu reservieren. Klappt klappt so etwas bei Euch?
Ich habe andererseits auch gute Erfahrungen mit dem sogenannten Zwiegespräch gemacht. Das geht auf einen Psychologen namens Möller zurück. Der Grundgedanke hierbei ist: Im Wechsel nimmt sich 4 Mal jedes 10 Minuten Zeit, diese 10 Minuten sind einfach da. Zum Schweigen, zum Reden, immer mit dem Ziel, bei sich selber zu bleiben. Und das Gegenüber hört zu, ist einfach da – und bleibt in dieser Rolle aufmerksam bei eigenen Empfindungen. In diesem Wechsel entsteht diel Raum, dem/ der Gegenüber wirklich zuzuhören und sich einzuspüren. Das hilft nicht beim Streit aktuell, aber stabilisiert eine gute Basis, so dass das Streiten dann kleiner wird, weniger Raum einnimmt und vielleicht sogar seltener vorkommt.
Streiten in Anwesenheit des Kindes
Als weiterer Punkt eures Problems kommt das Mitdabeisein des Kindes beim Streit ins Spiel. Zuvor aber noch eine Bemerkung: Wenn sich der Streit um den richtigen Umgang mit dem Kind/ den Kindern entzündet, das Kind also Gegenstand des Streites ist, ist für Kinder der Stress besonders hoch. Ich habe bei Euch den Eindruck, das ist nicht das Kernthema.
Habt ihr eine Vorstellung, was ihr braucht, um einen Streit als normales Beziehungs-Ereignis wahrzunehmen? Woran würdet Ihr erkennen, dass es ein unaufgeregter, ein undramatischer Streit ist?
Am leichtesten ist es ja, wenn das Kind das mitkriegt – dass es normal ist, zu streiten. Und hierbei auch hört, was Ihr euch wünscht: Ein kurzer Schlagabtausch, emotional, aber ohne offene Rechnungen. Der ereignet sich und wird beigelegt. Für eine zuversichtliche und gelassene, Spannungen nicht vermeidende Lebenserfahrung wäre das die beste Ausgangslage: Ihr streitet Euch, das Kind kriegt mit: “Oha, das passiert und geht vorbei – mehr passiert nicht, es gibt genug Zeit, wieder ruhig zu werden”.
Selbstschutz. Einbeziehung des Kindes. Kommunizieren.
ABER: Was, wenn es doch knackiger wird? Zuerst denke ich, es geht dann darum, dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen: Ist es für Euch WIRKLICH ok, dass das Kind dabei ist? Oder gibt es auch eine Art Privatsphäre, wo Ihr Euch selbst schützen möchtet, Eure Gefühle und Reaktionen als fragil empfindet und Ihr deshalb nicht wisst, ob Ihr euch mir selbst zumuten wollt, dass es Zuhörer gibt? Was für ein Szenario entsteht, wenn Ihr Euch vorstellt, der Streit würde ohne Kind stattfinden: Spielt das Kind auch eine Rolle in der Dramaturgie des Streites, und was passiert, wenn diese Rolle unbesetzt bleibt? Wenn bei diesen Fragen keine Antworten auftauchen, die darauf hindeuten, dass das Kind in diesem Streit doch eine wichtige Rolle spielt ( z.B.als Anlass, weil vielleicht deutlich wird, dass nach einem Tag mit Kind und diesen und jenen Unternehmungen Anfälligkeit für Streit größer….) stellt sich wieder eine der Ausgangsfragen:
Besser aufschieben, bis – ja, bis wann eigentlich? Oder gleich klären? Ich denke, es ist für alle unangenehm, Zeuge von einer Sache zu sein, die sich irgendwie unangenehm anfühlt. Und es ist unangenehm, zu spüren, mit meiner Mama/ meinem Papa/ anderen Bezugspersonen ist irgendwas komisch, aber die sagen mir nix dazu…..
Aber ich meine, es braucht keine entweder-oder-Lösung. Oft hilft es den Kindern, auch in diesem Alter, eine klare Ansage zu kriegen, was das Kind denn nun selber machen kann/soll. Toll wäre es, wenn Ihr spontan die Möglichkeit anbieten könnt, dass es sich anderweitig geschäftigen kann, bis Ihr etwas geklärt habt, Ihr also in der Nähe beieinander seid, aber das Kind eine eigene Aufgabe kriegt ( Kinder verziehen sich oft spontan, wenn dicke Luft herrscht). Damit bekommt das Kind die Chance, die erlebte Spannung körperlich loszuwerden. Es ist dann schön für das Kind, mitzuerleben, dass die Bezugspersonen wieder gut sind miteinander, und in diesen Momenten ist das Kind dann auch bestimmt emotional und im Handeln mit einbezogen. Es könnten sich dann alle umarmen, aber die Streitenden zuerst.
Es gibt Entwicklungen, wo sich die Kinder verantwortlich dafür fühlen, dass nichts Schlimmes passiert, dass sie die Eskalation verhindern müssen. Das geschieht dann dadurch, dass sich versuchen, die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu ziehen, indem sie etwa vom Streit ablenken, oder sich besonders brav verhalten. Für die Zeit vor der Versöhnung bleibt es schwierig, einen Ratschlag zu geben, denn Separierung in solchen Spannungsmomenten kann Verlustängste triggern, aber das kann auch passieren, wenn diese Spannungen als Kind durchlebt werden.
Ich glaube, es ist entscheidend, wie Ihr Erwachsenen Euch dabei fühlt. Und dann dem Kind zu sagen, dass Ihr jetzt Raum braucht, dass es einen Moment nicht optimal und feinfühlig und gespiegelt behandelt werden kann, weil da grade keine Reserven bei Euch sind. Dass Ihr Raum und Zeit braucht, um Etwas zu klären. So, wie wenn grade beim Kind ein kleines Unglück passiert ist und Ihr eure Arbeit unterbrecht, um da zu klären und zu trösten: Störungen haben Vorrang. Und die größeren Themen – auch ohne Streit – nicht vergessen! Und für das Kind, das jetzt 2 1/2 Jahre alt ist, besteht eine Übung darin, zu erleben, wie es ist, nicht Urheber und Zentrum allen Tuns zu sein. Und auch das ist, na ja, immer wieder furchtbar aufregend, und schmerzhaft, aber ich denke, eine wichtige und auch eine unvermeidliche Erfahrung in diesem Alter.
TuLa hat Medizin und Psychologie studiert und ist viel mit den Fragen beschäftigt, wie im Zusammenleben und in der jeweils eigenen Innenwelt Erfahrungen so verarbeitet werden, dass es Gefühle von Kohärenz ( “Ja, das ist stimmig für mich/ uns”) und Akzeptanz mit Ideen und Mut zur eigenen Lebensgestaltung gibt. In ihrer Arbeit als Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen ( und deren persönlichem Umfeld) arbeitet sie dabei in einem ganzen Team in eigener Praxis.