anonym
Gleich werde ich über private Dinge berichten. Es wird um meine Sexualität und meine mütterliche Körperlichkeit gehen. Ich fühle mich ehrlich gesagt etwas unwohl dabei. Daher ist dieser Artikel anonym.
Ich empfand schwanger zu sein und einen Säugling zu haben als tiefen Einschnitt in mein körperliches und speziell mein sexuelles Erleben. Dass das so sein könnte, habe ich sonst nirgends thematisisert gefunden. Mich mit anderen in ähnlicher Situation über diesen Einschnitt auszutauschen, hätte mir sicher geholfen. Tatsächlich habe ich aber nicht mit meinen Freundinnen darüber gesprochen. Dabei ist das Thema eigentlich mindestens ebenso besprechenswert wie (sagen wir ‘mal) die ersten Zähne oder nicht durchgeschlafene Nächte.
Es geht um meine Mutterbrust. Meine Brüste wuchsen während meiner ersten Schwangerschaft zu einer solchen heran. Ich brauchte Umstands-BHs. Dann kam die Geburt, dann das Stillen. Nachdem das Kind per Kaiserschnitt rausmusste, war ich froh, dass wenigstens das Stillen so klappte, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Als ich noch schwanger war, kam mir der Gedanke, ob es nicht komisch sein würde, dass meine Brüste, die sonst ausschließlich als erogene Zone zum Einsatz kommen, jetzt zur Trinkgelegenheit für einen Säugling umfunktioniert werden sollten.
Als es soweit war, ging das Umschalten auf Mutterbrust und Milchquelle aber umstandslos: Ich empfand das Stillen schon als etwas sehr Intimes (und auch sehr Schönes). Aber eben auf Nähe-zum-Kind-Art, nicht auf Sex-mit-dem-Partner-Art.
Andererseits fand ich es während der Stillzeit sehr befremdlich, dass meine Mutterbrust wieder beim Sex mit meinem Partner eine Rolle spielen sollte. Gerade saugte noch das Kind daran (Muttergefühle …) und kurz darauf (Umschalten! Umschalten!) der Partner auf dem Weg zum Miteinander-Schlafen?
Besonders in der Anfangszeit mit dem ersten Kind ist es mir in dieser Hinsicht echt schwer gefallen, von meiner Muttertier-Identität wieder in meine sexuelle-Partnerin-Identität zurückzufinden. Mit der Zeit wurde das besser, ich vermute, durch stetes Üben. In der Stillzeit mit dem zweiten Kind habe ich das Umschalten nicht mehr als problematisch empfunden.
Dafür fiel mir während meiner zweiten Schwangerschaft auf, dass Schwangersein und Stillen nicht nur für Brustwachstum sorgten, sondern auch für eine größere Empfindlichkeit meiner Brüste. Voller Einsatz als erogene Zone also. Vorspiel mit Mutterbrust fühlte sich viel besser an als mit nichtschwangerer Brust. Irgendwann habe ich mein zweites Kind abgestillt – mir war etwas nostalgisch zumute, da keine weiteren Kinder geplant sind.
Mit dem Abstillen schrumpften meine Brüste. Gefühlt sind sie jetzt kleiner als vor der ersten Schwangerschaft. Das finde ich ganz ok. Leider jedoch schrumpfte auch ihre Empfindlichkeit. Ich bin ernüchtert: Jetzt habe ich an Stelle meiner Mutterbrust nur noch – so fühlt es sich jedenfalls an – ein erogenes Zönchen.
danke für deine erfahrungen. ich finde es immer wieder interessant, wie unterschiedliche dinge rund um schwangerschaft/geburt/elternschaft (v.a. der körperliche teil) so unterschiedlich wahrgenommen werden. ich konnte es nie, dieses “umschalten” und mochte meinen stillbusen nicht sehr. es war so eigenartig, plötzlich größere brüste zu haben, ich fühlte mich körperlich nicht sehr wohl, darum war der busen während der stillzeit auch fast tabuzone.
Vielen Dank für diesen Artikel. Er löst einen umfassenden Gedankenschwall bei mir aus, den es erstmal zu ordnen gilt. Ich entschuldige mich vorneweg für die möglicherweise zu weit greifenden Einflüsse meiner momentanen Lektüre von Texten der Gender Studies.
Meine persönliche Erfahrung mit der ‘Mutterbrust’ war sehr positiv. Einerseits in ‘erotischer’ Hinsicht – größere Brüste haben, sensibler sein. Auf der anderen Seite habe ich Stillen als sehr befriedigend empfunden. (Wenn es nicht anstrengend war, was sehr wohl auch vorgekommen ist.) Warum genau aber ‘auf der anderen Seite’?
Es ist doch so, dass Schwangerschaft und Stillzeit als a-sexuell betrachtet wird, nicht? (So erklärt sich mir dein ‘unwohl-Sein’ angesichts eines Artikels über die Mutterbrust als erogene Zone.) Und gleichzeitig hält beides extreme/neue/befriedigende/lustvolle körperliche Erlebnisse für frau bereit. Es sind meines Wissens auch die gleichen Hormone, die für sexuelle Lust und Wehen/Milchfluss zuständig sind. Rein körperlich erscheint mir eine Trennung in a-sexuelles Muttersein und sexuelles Frausein daher an den Haaren herbei gezogen. Was konstituiert diese Trennung? Ich tippe auf das Verbot von Inzest als eine kulturelle Voraussetzung zur Ausbildung stabiler (Geschelchts-)Identitäten. Außerdem trägt womöglich die Konstituierung der Sexualität/Befriedigung als überwiegend genital und die dementsprechende Definition von erogenen Zonen zu einer derartigen Trennung bei.
Dieser Gedanke läuft darauf hinaus, dass frau das Umschalten zwischen Mutter und Sexualpartnerin schwer fällt, weil es vielleicht eigentlich gar keinen Unterschied gibt. Zumindest keinen, der nicht kulturell/gesellschaftlich/diskursiv geschaffen ist. (Das ganze wird jetzt zum Knoten, wenn ich hinzufüge, dass es vielleicht gar nichts gibt, was nicht auf diese Art geschaffen ist… Hm.)
Jedenfalls ist es wohl so, dass verschiedene Probleme auftreten, wenn Stillen als (sexuelle) Befriedigung betrachtet wird, insofern dass es sich um eine nicht-genitale, inzestuöse Befriedigung handelt.
Nun kann man einfach ihren sexuellen Charakter verneinen, um diese ‘kulturellen Probleme’ zu umgehen.
Obschon ich nicht angetreten bin, um das Inzesttabu grundsätzlich infrage zu stellen, weiß ich nicht, ob ich es richtig finde, die Erfahrungen der Mutterschaft partout nicht mit irgendwas Sexuellem in Verbindung zu bringen.
‘Sexueller Charakter’ hin oder her, die lustvolle Seite vom Gebären/Stillen ansich sollte meiner Minung nach nicht in Abrede gestellt werden.
Komisch, dass die weibliche Brust als erogene Zone und Merkmal von ‘Weiblichkeit’ (im Hinblick auf Größe) konstituiert ist – eigentlich aber erst in einem Zusammenhang dazu wird, in dem sie es (zumindest ersteres) nicht sein soll.
Liebe Julie, liebe Hannah, vielen Dank für Eure Kommentare. Ich habe wie gesagt beide Erfahrungen gemacht, zuerst, dass ich es schwer und irgendwie verstörend fand, dass meine Brüste für Stillen UND Sex herhalten können sollten. In meiner zweiten Schwangerschaft und Stillzeit hatte ich dann statt dessen die erfreuliche Erfahrung von größerer Brust-Empfindlichkeit und mehr Spaß beim Sex.
Von meinen Erfahrungen scheint mir, wo ich jetzt so drüber nachdenke, ziemlich viel Kopfsache gewesen zu sein: Mein Erleben hing stark an meinen Einstellungen zu mir selbst, meinen Vorstellungen von meiner körperlichen Identität. Am Anfang viel es mir schwer, mit meinen körperlichen Veränderungen durch Schwangersein und Stillen zurechtzukommen. (Das scheint mir eher an mir allein zu hängen als an der Gesellschaft.) Ich musste mich da reinfinden, wie das zu meinem alten körperlichen Selbst passt, und zu meiner alten Sexualität. In meinem späteren ‘Stadium’ habe ich den körperliche-Identitäts-Wandel schon hinbekommen gehabt und habe mir diese Gedanken einfach nicht mehr gemacht.
Aber auch da war es Kopfsache, und das spricht jetzt Hannahs Punkt über “Stillen ist doch nichts A-Sexuelles” an. Ich glaube, was den Unterschied für mich macht zwischen sexuell oder nicht, ist, ob ich im Kopf meine Brust-Aktivität als etwas Sexuelles betrachte/bewerte oder nicht. Damit will ich nicht leugnen, dass Stillen etwas Schönes und Lustvolles für mich gewesen ist, von dem ich am Ende gar nicht gerne Abschied nehmen wollte. Aber dadurch, dass es körperliche Nähe zu einem Säugling war, habe ich es ganz anders erlebt als Sex mit dem Partner.
Vielen Dank für diesen tollen Artikel! Ich wollte ebenfalls schon mal über dieses Thema schreiben, hab mich aber nicht getraut (obwohl ich anonym blogge, aber zu viele Leute wissen einfach schon Bescheid).
Bei mir war die Situation so, dass mein Mann Schwierigkeiten mit dem “Umschalten” hatte, was ich als sehr, sehr schade empfand …
Ich finde die Thematisierung von Sexualität und Stillen auch super und vor allem unglaublich wichtig, denn irgendwie wurde Sexualität beim Stillen total tabuisiert. Deshalb gibt es sie aber trotzdem. Nur weil niemand darüber spricht, heißt es nicht, dass wir beim Stillen nicht erregt sein können oder auch durch die ständige Berührung keine Lust auf Sex bzw. Penetration mehr haben können. ich habe selbst schon viel darüber nachgedacht. Stille viel, war früher oft dabei erregt und habe keine bis wenig Lust auf Sex. Das ist ok. Was hingegen nicht ok ist, ist die Definition von Sexualität mit der wir ständig konfrontiert sind und die wir leben. Im Grunde sollte doch einfach mal nachgedacht werden was Sexualität eigentlich ist. was dazugehört und was nicht. welche Bedürfnisse sie nach sich zieht. Welche Formen sie für ihr Ausleben bedarf. Womöglich werden dabei Grenzen gesprengt werden müssen, die eine breitere Form von Sexualität mit sich bringen und dann geht das vielleicht mit dem Umschalten zumindest leichter, denn die Trennung von Mutterbrust und Sexbrust löst sich zumindest ein Stück weit auf. Am Ende ist eben alles die selbe Brust.
Danke für den Beitrag. Durch Zufall über den Artikel gestolpert, bringt es wieder meine eigenen Gedanken zum Thema hoch (bin gerade schwanger):
Ich hatte immer wunderschöne, kleine Brüste. Damit war ich glücklich und zufrieden, denn das Wichtigste an meinen Brüsten war für mich immer: sie stören nicht. Diese ganzen Anspielungen in Film und Literatur auf die Brust als sexuell relevantes Objekt habe ich noch nie verstanden, denn für mich ist das einfach keine erogene Zone. Meine Partner wussten das und haben das stets respektiert: nicht anfassen, nicht beachten, dann ist alles gut. Generell habe ich ein tolles Körpergefühl und wie ich bisher fand, immer sehr schönen Sex, nur Brüste hatten für mich einfach nichts damit zu tun. Streifte sie doch mal jemand im Eifer des Gefechts, war das halt kurz einfach störend und abtörnend.
Jetzt ist es allerdings so, dass von Anfang an jeder – ob nun fremd oder befreundet -, der erfährt, dass man schwanger ist, gleich über diesen meinen Körper verfügen möchte – zumindest verbal. Angefangen damit, dass einem die beste aller Geburtsmethode kategorisch vorerzählt wird (natürlich sieht von Person zu Person unterschiedlich aus) und man sich bei eventuell abweichender Meinung sofort mit Angriffen auseinandersetzen muss, die an Grabenkämpfe erinnern, geht es weiter mit Bemerkungen wie “wenn Du erstmal stillst…”, “beim Stillen ist ja dann…”, “ich hab damals beim Stillen…”, ohne dass man ein einziges Mal gefragt wird, o b man denn Stillen m ö c h t e.
Ich möchte nicht.
Allein der Gedanke daran lässt mich fast würgen. Und nein, das hat sich auch mit den Kindsbewegungen nicht geändert. Meine Brüste sind – für mich gesehen – ins Unermessliche gewachsen (C-Cup) und wackeln nun beim Gestikulieren wie ultrafester Wackelpudding, was mich total anekelt und meine Freude am eigenen Körper völlig zum Erliegen gebracht hat. Ich freue mich so sehr auf diesen neuen kleinen Menschen, aber: an die Brust möchte ich ihn auf keinen Fall pressen müssen, schon gar nicht: zum Füttern. Meine Horrorvorstellung ist, dass ihn mir jemand im Krankenhaus ungefragt an die Brust legt (alles schon gehört) und ich dann auf dieses wunderbare Wesen mit Ekel herabsehe… Aber sagt man das in einem Raum mit Müttern (und sogar Nicht- oder Noch-Nicht-Müttern), kann man gleich die Beine in die Hand nehmen. Was mich verwundert, denn es muss doch noch mehr Frauen geben, die das ähnlich sehen, aus welchen Gründen auch immer? Sagen die auch nichts mehr, aus Angst vor einem Shitstorm? Wenn Artikel wie der o.g. schon anonym veröffentlich werden (müssen), drängt sich diese Frage fast schon auf.
Die meisten meiner engen Freundinnen (mit denen man zum Glück ganz offen über alles reden kann), verstehen zwar nicht, dass ich nicht Stillen möchte, respektieren diesen Wunsch aber. Und keine von ihnen hat das erwähnte “Umschalten” geschafft, da ist Sex unter Einbeziehung des Busens erst nach dem Abstillen möglich. Bei einigen fällte es auch den jeweiligen Partnern, egal ob Mann oder Frau, schwer, das Bild nach der Stillzeit aus dem Kopf zu bekommen, so dass es länger gedauert hat, bis der Busen der Partnerin wieder als “erlaubt” oder “schön” und damit begehrenswert einsortiert werden konnte.
So oder so, ein komplexes Thema. Schön, dass hier mal jemand eine andere Perspektive darauf geworfen hat.
Liebe adi, danke fuer deine Reaktion auf meinen Beitrag. Ich kann dich voll verstehen – ich war von den koerperlichen Veraenderungen in der Schwangerschaft auch nicht gerade angetan. Ich fand vor allem das Bauchwachstum richtig aetzend, da war der Busen im Vergleich voellig abgeschlagen. Ich habe mich als Walross in meinem Koerper nicht richtig wohl gefuehlt, und die Erwartung meiner Gespraechspartner_innen, dass frau mit allen Veraenderungen in der Schwangerschaft total gluecklich zu sein hat, habe ich wo moeglich im Keim erstickt.
Von daher: Lass dich nicht von anderen unter Druck setzen. Wenn du nicht stillen magst, gibst du halt Flaeschchen. Du bist nicht verpflichtet, dich in eine glueckliche Stillmama zu verwandeln, wenn das nicht deine Sache ist. Und obwohl ich dazu keine Statistik habe, scheint es mir nach meinen eigenen Erfahrungen sehr wahrscheinlich, dass du nach der Geburt, wenn du nicht stillst, sehr schnell zu einem Brustformat zurueckkehren wirst, mit dem du dich wohl fuehlst.